Terror: Der IS setzt alles daran, die ägyptische Gesellschaft zu spalten

Terror: Szene einer Trauerfeier für die Anschläge der Toten. Bei einem Doppelanschlag auf zwei Kirchen kamen am Wochenende in Ägypten mehr als 40 Menschen ums Leben.

Szene einer Trauerfeier für die Anschläge der Toten. Bei einem Doppelanschlag auf zwei Kirchen kamen am Wochenende in Ägypten mehr als 40 Menschen ums Leben.

(Foto: AP)
  • Die Angriffe auf zwei Kirchen haben die christliche Minderheit in Ägypten in Angst und Schrecken versetzt.
  • Der IS reklamierte die Anschläge für sich und versucht mit solchen Taten gezielt, Zwietracht in der ägyptischen Bevölkerung zu sähen.
  • In anderen Ländern gerät der IS mehr und mehr unter Druck, Ägypten könnte sein nächster Rückzugsort werden.

Von Moritz Baumstieger

Eigentlich ist es unmöglich, nach dem blutigen Palmsonntag in Ägypten auch nur den kleinsten versöhnlichen Aspekt zu finden. Bei dem Doppelanschlag auf zwei voll besetzte Kirchen starben mehr als 40 Menschen, mehr als 100 wurden verletzt. Als die Bomben in Alexandria und der Stadt Tanta im Nildelta explodierten, zerplatzte für die koptischen Christen auch die Hoffnung, wenigstens ein friedliches Osterfest feiern zu können. In den vergangenen Monaten war die Minderheit, die ungefähr zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmacht, so heftig angegriffen worden wie lange nicht. Der Sonntag schien nur voller Entsetzen zu sein, voller Hass und Verzweiflung.

Und doch verbreitete sich am Abend ein Bild in den sozialen Medien und über die ägyptischen Fernsehsender, das hoffen lässt, obwohl es traurig ist. Das Foto zeigt Polizei-Brigardegeneralin Nagwa el-Haggar kurz vor dem Anschlag, sie bewachte am Sonntag den Eingang der Sankt-Markus-Kirche in Alexandrias Innenstadt. Gemeinsam mit einem Kollegen hielt sie den Selbstmordattentäter davon ab, mit seinem tödlichen Gepäck in das Innere der Kirche vorzudringen, in der das Oberhaupt der Kopten, Papst Tawadros II., gerade die Messe gehalten hatte.

El-Haggar ist eine kleine Frau in schwarzer Uniform, mit einer dicken Sonnenbrille - und mit einem Kopftuch. Sie griff ein und starb durch die Bombe des Attentäters. Doch dass sie als Muslimin ihr Leben gab, um die Leben ihrer christlichen Mitbürger zu schützen, zeigt, dass die islamistischen Hetzer mit ihrer spalterischen Rhetorik und die Dschihadisten mit ihrer grausamen Gewalt noch nicht am Ziel sind. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Anschläge am Sonntag für sich, veröffentlichte in Blutrot gehaltene Infografiken, auf denen die getöteten "Ungläubigen" aufgelistet wurden.

Auf dem Sinai haben Dschihadisten bereits viele Kopten durch Terror vertrieben

Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi wandte sich ebenfalls noch am Sonntag in einer Fernsehansprache an die Nation und kündigte an, den Ausnahmezustand zu verhängen. Er gilt seit Montagmittag für drei Monate, setzt die Verfassung außer Kraft und gibt den Sicherheitskräften weitgehend freie Hand. Gleichzeitig beorderte er das Militär auf die Straßen, um öffentliche Gebäude und christliche Einrichtungen zu schützen.

Hatte sich das Land bisher vor allem auf der Sinai-Halbinsel im Krieg mit IS-Zellen befunden, befindet es sich jetzt wieder in einer Art innenpolitischem Belagerungszustand. Menschenrechtler befürchten seit Langem, dass sich Ägypten wieder auf dem Weg in die Diktatur befindet, schon heute sitzen Tausende säkulare und islamistische Oppositionelle ohne Anklage in Haft. Wenn Polizei und Geheimdienste nun noch rabiater gegen Regierungsgegner vorgehen, könnte das langfristig eher mehr Terror provozieren, als die Repression verhindern wird. Am Montag musste sich bereits die Zeitung al-Bawaba einer strengen Zensur beugen: Ihre Ausgabe, in der sie den Innenminister zum Rücktritt aufforderte, wurde konfisziert.

Trotz aller Härte, mit denen die ägyptischen Behörden schon vor dem Palmsonntag gegen vermeintliche und mutmaßliche Islamisten vorgingen, reichen offenbar immer noch wenige Kilogramm Sprengstoff und zwei verblendete Todeswillige, um ein ganzes Land zu destabilisieren. Für die Terrormiliz IS, die in ihren Kernländern Syrien und Irak große Teile ihrer Territorien verloren hat und aus Ägyptens Nachbarland Libyen schon weitgehend vertrieben wurde, ist diese Option sehr verlockend.

Anleitung zum Zwietracht sähen

In einer Art Thesenpapier aus dem Jahr 2014 legt ein IS-Ideologe namens Abu Mawdud al-Harmasy dar, wie sich der Dschihad endlich auch an den Nil tragen lasse. Bisher nämlich waren die Rekrutierer des IS-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi vergleichsweise erfolglos im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt. Während Ägypter bei al-Qaida und anderen islamistischen Terrororganisationen die höchsten Positionen bekleideten, spielen sie beim IS eine eher untergeordnete Rolle. Schritt eins in al-Harmasys Anleitung: Zwietracht sähen in der Bevölkerung, und zwar durch Attacken auf Minderheiten wie Sufis und Kopten: "Am wichtigsten ist es, jeden Christen zum Ziel zu nehmen, ohne Ausnahme", schreibt er. Sobald der Konflikt zwischen den Religionsgruppen ein gewisses Ausmaß annehme, würden die "latenten Gefühle der Muslime gegenüber den Christen" ausbrechen, schreibt der IS-Hetzer.

Genau nach diesem Plan verfuhren IS-Anhänger zuletzt in Ägypten: Neben Attacken auf Repräsentanten des Staates nahmen sie vor allen die Kopten ins Visier. Sie verübten spektakuläre Anschläge, etwa auf eine Nebenkapelle des koptischen Patriarchensitzes in Kairo im Dezember 2016, bei dem fast 30 Gläubige starben. Gleichzeitig versuchten sie in manchen Gegenden Alltagsterror zu verbreiten: Im Norden des Sinai, wo der ägyptische Ableger des IS am stärksten ist, kursierten Todeslisten koptischer Einwohner, an manche Mauern wurden Plakate mit Fotos und Namen von Christen angeschlagen, die umgebracht werden sollten.

Terror: SZ-Karte

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Das Gefühl der Verwundbarkeit war immens, da die ägyptischen Christen meist in gemischten Nachbarschaften gemeinsam mit ihren muslimischen Mitbürgen leben und nicht abgeschottet in eigenen Dörfern und damit zumindest ein wenig geschützt. Nachdem Anfang des Jahres immer mehr koptische Ladeninhaber am helllichten Tag von IS-Todeskommandos umgebracht worden waren, flohen Ende Februar fast alle christlichen Bewohner aus dem Nordsinai. Ägyptische Medien sprechen von bis zu 350 Familien, die sich nun westlich des Suezkanals ein neues Leben aufbauen müssen. Auf die Wohnungen, die ihnen die Regierung versprach, warten die meisten bis heute.

Nicht nur unter diesen Kopten wächst mittlerweile die Wut auf den Staat, der offenbar nicht in der Lage ist, seine Minderheit zu schützen. Dabei zählten die ägyptischen Christen bisher zu den größten Unterstützern des Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, der sich als Schutzherr der Minderheit zu inszenieren versuchte: Als er - damals noch Armeechef - 2013 die Absetzung von Präsident Mohammad Mursi verkündete, der zu den Muslimbrüdern zählt, stand neben dem Großscheich der al-Azhar-Universität auch der koptische Papst Tawadros II. demonstrativ hinter ihm. Zwei Jahre später, nun schon Präsident, schlenderte Sisi unangekündigt in die Weihnachtsmesse in der Sankt-Markus-Kathedrale in Kairo und besuchte damit als erstes Staatsoberhaupt in der jüngeren ägyptischen Geschichte einen Gottesdienst. Diese öffentlich bekundete Nähe ließen viele Kopten bisher über einige Diskriminierungen hinwegsehen, die sich auch unter Sisi nicht änderten.

Offen gegen Sisi stellen sich bisher jedoch die wenigsten Kopten. Wie sehr sie aber das Vertrauen in den Staat verloren haben, zeigte sich bei einer Trauerfeier für die Anschlagsopfer in Tanta. Als der lokale Geheimdienst-General am Montag kondolieren wollte, trieben ihn die wütenden Gläubigen mit Schlägen aus der am Sonntag angegriffenen Sankt-Georgs-Kirche.

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