Terror:Der dunkelste Tag

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Eine junge Mutter der Nation: Nach dem Anschlag von Christchurch zeigt Neuseeland, wie eine offene Gesellschaft Hass und Gewalt begegnen sollte.

Von Roman Deininger

Von Europa aus betrachtet liegt Neuseeland am anderen Ende der Welt, zwei Inseln, die man beim flüchtigen Blick auf die Karte leicht für Treibgut im Pazifik halten könnte. Die Neuseeländer hatten sich ganz gut eingerichtet in ihrer paradiesischen Abgeschiedenheit, von globalen Problemen fühlten sie sich nur sehr bedingt betroffen. Am 15. März 2019 änderte sich das jäh und grausam. Der 15. März ist für Neuseeland nun das, was für die USA der 11. September ist: der dunkelste Tag, der alles trennt in ein Davor und ein Danach.

Nach dem Anschlag mit 51 Todesopfern: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern umarmt eine Frau – und trägt wie diese Kopftuch. (Foto: Hagen Hopkins/Getty Images)

In zwei Moscheen in Christchurch, der größten Stadt der Südinsel, erschoss ein rechtsradikaler Terrorist 51 Menschen. Die Lokalzeitung verkündete: "Das Ende unserer Unschuld". Der Täter, ein 28 Jahre alter Australier, übertrug den Massenmord per Helmkamera live bei Facebook: 16 Minuten und 56 Sekunden Horror. Der Anschlag von Christchurch war insofern ein globaler Anschlag - und die Radikalisierung des Täters auch Produkt der weltweiten Vernetzung von Rassisten in den dunklen Ecken des Internets. Den Ort seiner Tat hatte der Terrorist aber wohl nicht zufällig gewählt. Er nahm auch die Buntheit, Fortschrittlichkeit und Lebensfreude der neuseeländischen Gesellschaft ins Visier: Wenn es euch dort erwischen kann, kann es euch überall erwischen - das mag seine zynische Botschaft gewesen sein.

Polizist vor der Masjid Al Noor-Moschee in Christchurch. (Foto: Michael Bradley/AFP)

Die Neuseeländer freilich gaben in den Tagen und Wochen nach dem Anschlag ein großes Beispiel dafür ab, wie eine offene Gesellschaft Hass, Hetze und Gewalt begegnen kann. Neuseeländer aller Herkunft trauerten gemeinsam um die Opfer. In vielen Städten versammelten sich Schüler zum Haka, dem Kriegstanz der Ureinwohner, der Maori; auf einmal war der Haka ein Friedenstanz. Nur eine Woche nach dem Anschlag kehrten die Muslime von Christchurch zum Gebet in die Al-Noor-Moschee zurück, sie verstanden das als Signal ihrer Unbeugsamkeit. "Unsere Herzen sind gebrochen", sagte der Imam Gamal Fouda, der das Morden überlebt hatte, "aber wir sind nicht gebrochen."

Nach dem Erdbeben war es so, und jetzt auch wieder: Die Bewohner von Christchurch trauern gemeinsam, Nachbarn sitzen nächtelang zusammen, keiner will alleine sein. (Foto: Anthony Wallace/AFP)

Der Schock von Christchurch erschütterte Neuseeland so sehr, dass das Parlament in der Hauptstadt Wellington mit überwältigender, überparteilicher Mehrheit einem Vorschlag von Premierministerin Jacinda Ardern folgte: Halb automatische Waffen, wie sie der Terrorist benutzte, sind in Neuseeland jetzt verboten. Bis Ende des Jahres hatten die Bürger Zeit, ihre einst legal erworbenen Schnellfeuerwaffen bei den Behörden abzugeben, gegen eine faire Entschädigung.

Auch das Jahr 2020 wird in Christchurch mit Sicherheit noch im Zeichen der Bewältigung der Untat stehen. Der Prozess gegen den Terroristen, der derzeit in einem Hochsicherheitsgefängnis in Auckland einsitzt, soll im Juni beginnen.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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