Terror:"Da schau her, der Nazi"

Terror: Der Angeklagte mit seinem Anwalt.

Der Angeklagte mit seinem Anwalt.

(Foto: AFP)
  • In Düsseldorf hat der Prozess um das Wehrhahn-Attentat aus dem Jahr 2000 begonnen.
  • Dem Angeklagten Ralf S. wird vorgeworfen, aus Fremdenhass eine Rohrbombe auf einem Bahnsteig gezündet zu haben.
  • Die Anklage wirft ihm zwölffachen versuchten Mord vor.

Aus dem Gericht von Joachim Käppner und Hans Leyendecker, Düsseldorf

"Nee, negativ." Das ist die erste Antwort des Angeklagten Ralf S., und sie setzt den Ton für alles Kommende an diesem ersten Prozesstag. Der 51-Jährige ist angeklagt wegen zwölffachen Mordversuchs. Er soll am 27. Juli 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Rohrbombe ferngezündet haben, die mit 200 bis 300 Gramm TNT-Sprengstoff gefüllt war. Die überwiegend jüdischen Opfer kamen vom Deutschunterricht an einer Sprachschule. Aber er sei es nicht gewesen, sagt S., ein großer, tätowierter Mann im Karohemd: "Irgendeiner hat nen Geist gesehen und will ihn nicht loslassen."

Eine Bekannte hat ihn bei der Polizei als "fremdenfeindlichen, grenzdebilen Psychopathen" bezeichnet, er galt zur Zeit der Tat als stadtbekannter Rechtsradikaler. Sein Hund soll auf das Kommando "Asylant" abgerichtet worden sein, Migranten seien für S. "Scheiß-Kanaken-Drecksäcke" gewesen, die er am liebsten mit einer 357er-Magnum erschießen würde; Schwangere "zuerst".

Aber debil wirkt seine Verteidigungsstrategie nicht an diesem Morgen im Düsseldorfer Landgericht, auf jeden Vorhalt gibt er eine Antwort. Alles sei falsch, an allem seien andere schuld. Ein "Waffennarr", wie es hieß? Er doch nicht, er habe bloß als Security-Mitarbeiter auf dem Schießstand geschossen. Er sei als "Sheriff" bekannt gewesen, der mit Militärkleidung und seinem Kampfhund durch das Viertel patrouilliert sei wie eine Ein-Mann-Bürgerwehr? "Völliger Quatsch", der Hund sei ein Rottweilermischling gewesen, "kein ausgebildeter Wachhund", er selber habe, wenn er von der Nachtschicht als Wachmann kam, morgens halt in seiner Security-Uniform "einen Kaffee am Büdchen getrunken".

Wichtiger noch: Hatte er, wie Zeugenaussagen nahelegen, in seinen vier Jahren als Zeitsoldat gelernt, mit Sprengstoff umzugehen? Sprengstoff, sagt S. leicht gereizt, "das war nicht mein Ding, weil: Ist ja gefährlich." Die Nebenkläger verziehen keine Miene, man kann nur ahnen, was in ihnen vorgeht.

Eine Frau, Tatjana W., hat damals ihr ungeborenes Kind verloren, andere wurden schwer verletzt. "Manche leiden heute noch unter den psychischen Folgen", sagt Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück, 55, der die Anklage verfasst hat. "Ich habe genug Material", sagt er kurz vor Beginn der Verhandlung. Er findet die "Beweislast erdrückend". Es gibt beispielsweise verschiedene Versionen von Ralf S., was er an diesem Tag im Juli 2000 gemacht haben will, aber aus Sicht der Anklage sind alle diese Erklärungen durch Zeugen widerlegt.

40 Verhandlungstage sind angesetzt, der Staatsanwalt sagt, er habe "genug Material"

Zwei Zeugen behaupteten nun, Ralf S. habe ihnen den Anschlag angekündigt. Früher hätten sie nicht darüber reden können, weil sie angeblich unter Druck gesetzt worden seien. Eine Zeugin berichtete, sie habe S. unmittelbar vor dem Anschlag in der Nähe des Tatorts bemerkt. Eine frühere Bekannte von ihm behauptet sogar, sie habe die selbstgebaute Rohrbombe in seiner Küche gesehen.

Aber leicht wird es für die Staatsanwaltschaft nicht, wahrscheinlich steht ein Indizienprozess bevor; 40 Verhandlungstage sind angesetzt. S. war als "Spur Nr. 81" damals schon und sogar als Hauptverdächtiger ins Visier der Ermittler geraten, doch ließ sich der Verdacht trotz Vernehmungen und Hausdurchsuchungen nicht erhärten. All die Zeit mussten die Opfer nicht nur mit den körperlichen und seelischen Folgen des Anschlags leben, sondern auch mit der Ungewissheit, wer ihnen eigentlich nach dem Leben getrachtet hatte und warum.

Ähnlich wie bei der Nazizelle NSU, deren Mordserie ebenfalls im Jahr 2000 begann, gab es in Düsseldorf kein Täterschreiben. Erst 2014 kam eine Wende in das Rätsel vom S-Bahn-Attentat. Ralf S. saß wegen einer nicht gezahlten Geldstrafe in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel ein und soll einem Mithäftling gesagt haben, er habe an einem Bahnhof "die Kanaken weggesprengt". Die Bombe habe er aus der Ferne gezündet. Der Häftling alarmierte die Anstaltsleitung.

Der Rechtsanwalt von S., Olaf Heuvens, hält nichts von dieser Geschichte: "Warum soll mein Mandant 14 Jahre später einem Mitgefangenen, den er erst ein paar Wochen kannte, so etwas erzählt haben?", fragt Heuvens und lässt durchblicken, dass S. auf der Hut vor V-Leuten gewesen sei, von denen der Verfassungsschutz und die Polizei nicht wenige auf ihn angesetzt hätten. S. zeichnet bei der Befragung durch den Vorsitzenden Richter von sich das Bild eines unschuldigen Mannes. Nie mehr sei er es losgeworden, dass "mein Name im Internet mit dem Wehrhahn-Anschlag in Verbindung gebracht wird". Bei jeder Bewerbung "googeln die mich und sagen: da schau her, der Nazi". Er wolle diese Scheiße endlich loswerden.

Das Attentat von Wehrhahn hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Vor dem Justizgebäude demonstrierten am Donnerstag Düsseldorfer Antifa-Aktivisten. Sie fragen, so zum Beispiel die Demonstrantin Sabrina Erdmann, ob "es neben S. noch weitere neonazistische Mittäter und Mitwisser gab?" Nach den Ermittlungen sollen die Sprachschüler vor dem Anschlag zwei Neonazis, die mit Hunden und Springerstiefeln vor der Schule aufgetaucht seien, verscheucht haben. Der Anschlag könnte ein Racheakt gewesen sein. Es wird ein langer Weg zur Wahrheitsfindung werden vor der Ersten Großen Strafkammer am Düsseldorfer Landgericht.

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