Leser-Reaktionen:Muss für den Klimaschutz das Tempolimit kommen?

Leser-Reaktionen: Deutschland, die Klimakrise und eine Streitfrage, über die schon lange diskutiert wird: Brauchen wir ein Tempolimit auf Autobahnen?

Deutschland, die Klimakrise und eine Streitfrage, über die schon lange diskutiert wird: Brauchen wir ein Tempolimit auf Autobahnen?

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Für das Diskurs-Format "Pingpong der Positionen" haben wir Leserinnen und Leser aufgerufen, eine Gegenrede zum SZ-Kommentar von Christina Kunkel (Pro Tempolimit auf Autobahnen) zu verfassen - die auch auf SZ.de und der Forumsseite veröffentlicht wird. Uns hat eine Vielzahl sehr lesenswerter Beiträge erreicht. Auszüge aus den besten Texten haben wir in diesem Artikel gesammelt.

Den Leser-Beitrag, den wir für unser "Pingpong der Positionen" ausgewählt haben, finden Sie hier - einschließlich der Entgegnung unserer Autorin. Herzlichen Dank fürs Mitmachen!

Ein aufgeladenes Stück Kultur

Wenn das Tempolimit nicht so ein aufgeladenes Stück Kultur wäre, würde es bestens im aktuellen Klimaschutzpaket einen Platz finden, zwischen all den anderen einfachen und billigen Maßnahmen, die niemandem weh tun und wenig bis gar nichts bringen. Wer hier wirklich etwas erreichen will, hört endlich auf, das Auto an allen Ecken und Enden zu bevorzugen und tut das was ein Verkehrsministerium eigentlich tun sollte: Maximal viele Bürger für minimal wenig Geld und mit einem Minimum an Emissionen von A nach B zu bewegen. Das bedeutet: ÖPNV und Fahrrad in der Stadt, die Deutsche Bahn für den urban-urban und das Auto für den urban-regional Transit.

Tobias Fink

Dieser Artikel gehört zur Werkstatt Demokratie, ein Projekt der SZ und der Nemetschek Stiftung. Alle Beiträge der Themenwoche "Klimakrise" finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Mobilität wird in allen Bereichen beschnitten

Ein generelles Tempolimit widerspricht der gesteigerten Mobilitätspflicht im gegenwärtigen Arbeitsleben. Wer wie ich täglich unter fremdbestimmtem Zeitdruck Strecken zurücklegen muss und auf ökologisch verantwortbare Alternativen schlicht nicht zurückgreifen kann, ist froh, wenigstens auf einigen der letzten noch vorhandenen Strecken Gas geben zu können - so auch auf der A 20 Richtung Polen. Wenn mir neben den unerträglichen Staus nun auch noch auf den Autobahnen das Schnellfahren untersagt würde, empfände ich dies als Eingriff in mein ohnehin sehr eng getaktetes Leben, das ich täglich mühsam ausbalancieren muss. Von Arbeitern wird Mobilität erwartet, aber gleichzeitig wird diese Mobilität in allen Bereichen beschnitten.

Zu sinnvollen Lösungen finden wir nur durch Kompromisse. Umweltschutz ja, aber bitte nicht auf Kosten derer, die ohnehin täglich um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Wer ist Fürsprecher derer, die sich täglich um Umweltschutz bemühen, aber gleichzeitig Familie, Arbeitsplatz und Freizeit unter einen Hut kriegen müssen? Einen solchen Luxus, alles der Klimarettung zu opfern, kann ich mir schlichtweg nicht leisten, und viele meiner Freunde auch nicht. Zur Errungenschaft einer Demokratie gehört in meinen Augen auch ein gerüttelt Maß an Freiheit in der Gestaltung der eigenen Lebensweise. Ich wünsche mir keinen Staat, der als Übermutter alles reguliert, sondern einen Staat, der es meiner eigenen Verantwortung überlässt, wie ich meinen Alltag gestalte. Dazu gehört auch ein Fahrttempo in Höhe von 180 km/h oder mehr.

Felix Evers

Ein Steinzeitklassiker linker Ökopolitik

Nein, die Welt wird nicht untergehen. Selbst bei nur maximal 130 km/h auf deutschen Autobahnen wird schnelle Mobilität möglich sein. Der Verkehr wird vielleicht flüssiger laufen und CO₂ - wenn auch in einem zu vernachlässigendem Maße - eingespart. Alles gut also? Vielleicht. Aber warum muss gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung ein Steinzeitklassiker linker Ökopolitik wieder auf die politische Agenda gesetzt werden, der dazu geeignet ist, ganze Wirtshäuser und Familien gegeneinander aufzubringen?

Und noch dazu mit einem Lösungsvorschlag aus den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts, dem der Muff des letzten Jahrtausends aus den Blechschildern quillt? Genügend Menschen wird frustrieren, dass dieser Staat bei allen wichtigeren und drängenderen Problemen, sich ausgerechnet dieses einen Öko-Evergreens annimmt. Und das mit einem Lösungsvorschlag, der ihnen, in den Augen vieler, das gefühlt letzte Stück Freiheit raubt.

Jörg Lamm

Es geht nicht nur um irrationale Emotionen

Natürlich ist der Bundestagsbeschluss gegen Tempo 130 ein erneutes Beispiel dafür, wie wenig ernst gemeint die Proklamationen von Regierung und Bundestagsmehrheit für den Klimaschutz ist. Für ein solches Tempolimit gibt es genügend gute, in dem Kommentar aufgeführte Gründe (und keinen vernünftigen, der dagegen spräche), darin ist Christina Kunkel voll und ganz zuzustimmen. Aber es geht beim Tempolimit nicht nur um die irrationalen Emotionen der "freie Fahrt für freie Bürger"-Raser, wie sie meint. Das Problem ist viel grundsätzlicher: Unsere Verweigerung - trotz aller besseren Einsicht - in die Ursachen der Klimakrise unseren Lebensstil grundsätzlich zu ändern (und die Angst der Politiker davor, den WählerInnen irgendetwas zuzumuten, was diesen Lebensstil in Frage stellen könnte). Nicht erst das Tempolimit, sondern der PKW selbst ist der Inbegriff dieses Lebensstils.

Eine wirkliche "Mobilitätswende" käme nur durch eine Politik voran, die konsequent den PKW- wie den Flugverkehr einschränken und kollektive Formen der Fortbewegung vorantreiben würde. Doch eine solche Politik wird so schnell nicht kommen - wohl nicht einmal mit den Grünen, wie die Verkehrspolitik so mancher Landesregierung zeigt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir - oder zumindest alle relevanten Entscheidungsträger - weitermachen wie bisher - Tempolimit hin oder her. Wenn dem so ist, könnte man zynisch sagen, kommt es auf die Raser auf den Autobahnen auch nicht mehr an.

Dr. Hartmut Stenzel

Umweltschutz mit Blechschildern?

Klimaschutz und CO₂ Reduktionen sind sinnvoll und müssen - wie im Pariser Abkommen vereinbart - eingehalten werden. Die Maßnahme Tempolimit würde nach Angaben von Frau Kunkel mehr als eine Million Tonnen CO₂ einsparen. Für den Verkehrssektor sprechen wir also im besten Fall von zwei Prozent Einsparung zum Gesamtaufkommen des Sektors. Dieser Effekt ist für die Schwere des Eingriffs eher marginal, man könnte auch sagen unverhältnismäßig.

Laut dem Duisburger Stauforschers Michael Schreckenberg sei es viel wichtiger, Staus zu vermeiden, weil diese viel größere Auswirkungen hätten. Das erreichen wir jedoch nicht durch ein Tempolimit. Stattdessen wäre es zeitgemäßer, den Verkehr dynamisch zu regeln. Dies geschieht schon heute mit flexiblen Verkehrszeichen und Hinweistafeln. Wir leben im Jahr 2019, dem Zeitalter der Digitalisierung und wollen mit Blechschildern Umweltschutz betreiben? Wohlwissend, dass eine andere Variante, die ein weniger schwerer Eingriff in die Freiheit wäre, viel mehr bringt? Für Symbolpolitik und ideologische Maßnahmen sind mittlerweile einige gern bereit, die Freiheit preis zu geben.

Norman Cappel

"Sollte nicht jeder von uns einen Beitrag leisten, ohne ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen?"

Verbote sind der Innbegriff von Mutlosigkeit

Ich fordere eine intelligente Verkehrsüberwachung mit temporären Tempolimits bei hohem Verkehrsaufkommen oder schlechter Witterung. Dann muss man niemanden gängeln, der bei freier Autobahn zügig nach Hause möchte oder einfach mal sein Fahrzeug genießen möchte. Freiheit muss man nicht rechtfertigen, denn ansonsten sind Skifahren, Reisen, Konzerte und vieles mehr nichts Notwendiges und somit nichts Schützenswertes mehr. Skifahren zeigt in dieser Hinsicht die meisten Parallelen auf. Es ist sinnlos, unökologisch und gefährlich. Also verbieten wir es? Oder schreiben wir Skifahrern vor, nur noch im Schritttempo zu fahren, statt aufeinander Rücksicht zu nehmen?

Wenn die Wirkung und Einschränkung in keinem Verhältnis stehen, dann ist es der falsche Weg, nur einzelne Gruppen zum Klimaschutz zu verpflichten. Sollte nicht jeder von uns einen Beitrag leisten, ohne ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen? Sollten wir nicht alle unseren Lebensstil verbessern, statt Lebensstile gegeneinander aufzurechnen und vorzuschreiben, wie andere zu leben haben? Manchmal reicht es eben auch Richtgeschwindigkeit zu fahren. Manchmal ist es aber auch einfach okay schnell Auto zu fahren, wenn man seinen CO₂-Ausstoß stattdessen an anderer Stelle kompensiert. Freiheit ist eben, Entscheidungen treffen zu können, aber auch Verantwortung zu übernehmen. Wir alle wollen eine lebenswerte Welt für uns und besonders für unsere Kinder. Dazu gehört aber auch eine Portion Mut und Innovationsgeist, um Verbesserungen anzustreben. Verbote sind der Inbegriff von Mutlosigkeit.

Christian Kramer

Ein Tempolimit ist Augenwischerei

Ein Tempolimit für den Klimaschutz ist Augenwischerei und inkonsequent. Wer wirklich das Tempo in den Blick nimmt, um etwas für das Klima zu tun, kommt an einem situativen Tempolimit nicht vorbei. Das Ziel muss eine konsequente Stauvermeidung sein. Meist ist schnelleres Fahren nur möglich, wenn sowieso nicht mehr viele Autos unterwegs sind. Bei dichtem Verkehr sind oft auch 130 km/h schon zu viel und es kommt zu Staus. Dabei wird im Stop and Go aller Verkehrsteilnehmer weit mehr CO₂ unnötig ausgestoßen, als durch ein paar Schnellfahrer. Ein frühzeitiges Herunterregeln durch eine intelligente Verkehrssteuerung auf 80 oder 60 km/h würde dem Klima wirklich helfen.

Alexander Brombach

Die Gesellschaftsverträglichkeit ist für den Erfolg von Klimaschutzmaßnahmen wichtig

Klimaschutz ohne Tempolimit? Geht blendend. Es gibt kaum eine bedeutungslosere Maßnahme für den Klimaschutz, als das generelle Tempolimit auf der Autobahn.

Die Klimaschutzforderungen der öffentlichen Debatte sind oft viel zu sehr von Aktionismus und oberflächlichem Denken geprägt. Häufig zeichnen sich diese Forderungen entweder durch Realitätsferne aus, wie es etwa bei der Forderung nach einem massiven Verzicht auf das Auto bei Millionen Pendlern der Fall ist, oder aber sie stellen sich bei genauerer Betrachtung als komplett wirkungslos heraus - wie eben die Forderung nach einem generellen Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen.

Doch welche Lösungen sollen dann her? Neben der Frage, wie man denn mehr CO₂ einsparen kann bleibt eine weitere Frage oft komplett außen vor: Wie kann man die CO₂-Einsparungen gesellschaftsfreundlich gestalten? Fakt ist: ohne Veränderungen der Lebensweise und des Konsumverhaltens wird es nicht gehen. Was wäre also eine probate Lösung? Fortschritt, Forschung und attraktive und überzeugende Alternativen statt Verbieten, Besteuern und Verteuern - nur ist letzteres eben leichter und bequemer als ersteres. Die Gesellschaftsverträglichkeit ist für den Erfolg von Klimaschutzmaßnahmen wichtig. Zwang hat noch nie funktioniert. Und so werden auch Klimaschutzmaßnahmen keinen Bestand haben, wenn sie mit Ach und Krach durchgedrückt werden und die Menschen finanziell und zeitlich mehr belasten.

Die Lösung ist nicht, Autofahrer durch absichtliches Wegstreichen und Verteuern von Parkplätzen, durch Steigern von Steuern und Spritpreisen quasi "herauszumobben", sondern man muss mit der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs überzeugen und mit alternativen Kraftstoffen und Antriebsarten aufwarten, die idealerweise komplett CO₂-neutral sind.

Kay Stephan

Die Politik hat keine passende Antwort parat

Schnelles Autofahren verbraucht viel Kraftstoff und produziert viele Abgase. Ich glaube, darüber braucht man nicht zu diskutieren. In der Politik wird aber immer ein neues Fass aufgemacht, wenn sie gerade keine passende Antwort parat hat. Jetzt im Moment hat es die Autobahn in die Schlagzeilen geschafft und wird vermutlich bald wieder von irgendetwas anderem abgelöst. Zumindest höre ich im Moment niemanden über Braunkohle, Recycling oder erneuerbare Energien reden. Die CO₂-Ersparnis des Tempolimits ist gering. Die Politik sollte sich auf wichtigere Projekte fokussieren, bevor sie einen Teil Kultur ausrottet. Vielleicht sollte sie dem Bürger auch entgegenkommen wie 2009 mit der Abwrackprämie, um neue und effizientere Autos auf unseren Straßen zu bekommen.

Niklas Thiel

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Bei der Veröffentlichung werden Vor- und Nachname benannt.

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Klimastreik Köln, 20.09.2019 Klimastreik Fridays for Future Demonstration *** Climate strike Cologne, 20 09 2019 Climate

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