Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Israels neuer Polizeiminister besucht trotz Warnungen den Tempelberg

Die religiöse Stätte steht unter muslimischer Verwaltung, der rechts-religiöse Itamar Ben-Gvir möchte die Rechte der Juden dort ausweiten. Der Besuch ist eine Provokation und die Hamas droht offen mit neuen Eskalationen.

Israels neuer Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, gilt als rechts-religiöser politischer Brandstifter. Er wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze und Unterstützung einer jüdischen Terrororganisation verurteilt - und steht nun der Polizei vor. Aus Sicht der Palästinenser ist eine seiner ersten Amtshandlungen eine beispiellose Provokation: Trotz Warnungen hat Ben-Gvir am Dienstag den Tempelberg in Jerusalem besucht. Israelischen Medienberichten zufolge kam er am frühen Morgen in Polizeibegleitung zu der heiligen Stätte in der Altstadt.

Ein auf Twitter veröffentlichtes Foto zeigte Ben-Gvir, wie er am Rande des Geländes spazieren ging. Zahlreiche Leibwächter und ein orthodoxer Jude bildeten seine Entourage. Nach Angaben israelischer Behörden dauerte der Besuch eine Viertelstunde und blieb ohne Zwischenfälle.

Die im Gazastreifen herrschende islamistische Palästinenserorganisation Hamas hatte zuvor vor einem solchen Besuch Ben-Gvirs gewarnt und mit einer neuen schweren Eskalation gedroht. "Eine Fortsetzung dieses Verhaltens wird alle Parteien einem großen Zusammenstoß näherbringen", hieß es von Seiten der Hamas.

Der Tempelberg, "Al-Haram al-Scharif", ist neben dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Zahlreiche biblische und religiöse Überlieferungen wie die Erschaffung Adams und Evas, die Opferung Isaaks oder auf Seiten des Islam die Himmelsreise Mohammeds sind mit dem Ort verbunden.

Der Tempelberg steht unter muslimischer Verwaltung, während Israel für die Sicherheit zuständig ist. Laut einer Vereinbarung mit den muslimischen Behörden dürfen Juden die Anlage besuchen, dort aber nicht beten. Dagegen gibt es jedoch immer wieder Verstöße. Ben-Gvir, Vorsitzender der Partei Otzma Jehudit (Jüdische Kraft), hatte diese Vereinbarung als "rassistisch" und diskriminierend gegen Juden kritisiert. Er fordert Gebetsrechte für Juden am Tempelberg und schrieb nach seinem Besuch bei Twitter: "Die israelische Regierung, deren Mitglied ich bin, wird sich einer Organisation schändlicher Mörder nicht unterordnen. Der Tempelberg steht allen offen und wenn die Hamas glaubt, ihre Drohungen könnten mich abschrecken, dann müssen sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben."

Die Palästinenser werfen Israel vor, es wolle seine Kontrolle der heiligen Stätte ausweiten und sehen den Besuch Ben-Gvirs als Schritt in diese Richtung. Auch von Seiten der Opposition in Israel gibt es Kritik: Der frühere israelische Ministerpräsident Jair Lapid hatte bereits am Montag bei Twitter geschrieben: "Itamar Ben-Gvir darf den Tempelberg nicht besuchen, dies ist eine Provokation, die zu Gewalt führen wird, die Menschenleben gefährden und Menschenleben kosten wird."

Die Zweite Intifada hatte im Jahre 2000 nach einem demonstrativen Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg begonnen. Dieser Aufstand ließ die Gewalt zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften eskalieren, durch Selbstmordattentate palästinensischer Extremisten und Vergeltungsaktionen des israelischen Militärs wurden etwa 4000 Menschen getötet. Offiziell beendet wurde die Zweite Intifada im Februar 2005 durch einen Waffenstillstand zwischen dem mittlerweile gewählten Ministerpräsidenten Scharon und dem Fatah-Politiker Mahmud Abbas.

Im von Israel besetzten Westjordanland kommt es aktuell immer wieder zu Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Am Montag hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben zwei militante Palästinenser bei Zusammenstößen in der Nähe der besetzten Stadt Dschenin im Westjordanland getötet. Die Auseinandersetzungen hatten sich am Abriss der Häuser zweier bereits im September vom Militär getöteter Palästinenser entzündet.

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