Zum Neujahrsfest hat es Böller gegeben und Blendgranaten, Steinwürfe und Straßenschlachten. An Rosch Haschana, den jüdischen Feiertagen, die privat als ruhiges Familienfest begangen werden, erlebte Jerusalem die schlimmsten Ausschreitungen seit Langem. Rund um den Tempelberg, der Juden wie Muslimen gleichermaßen heilig ist, prallen nun schon seit drei Tagen palästinensische Demonstranten und israelische Sicherheitskräfte aufeinander. Die Aussichten für das neue Jahr: düster.
Die Konfrontation begann am Sonntag, als sich nach Polizeiangaben eine Gruppe von Palästinensern mit Steinen und Feuerwerkskörpern in der Al-Aksa-Moschee verschanzte, um gerüstet zu sein für den an den Feiertagen erwarteten Andrang jüdischer Besucher. Einer latent instabilen Regelung zufolge dürfen Juden ebenso wie Touristen aus aller Welt den Tempelberg zu bestimmten Öffnungszeiten besuchen. Beten allerdings dürfen dort nur Muslime. Es gibt radikale jüdische Gruppen, die das ändern wollen - und radikale palästinensische Kräfte, die das zu verhindern trachten.
An Provokationen fehlt es nicht. Am Sonntag hatte demonstrativ auch der israelische Agrar-Minister Uri Ariel von der Siedlerpartei "Jüdisches Heim" den Tempelberg besucht. Als dann die israelischen Einsatzkräfte die Barrikaden räumten, drangen sie auch ins Innere der Moschee vor. Die Kämpfe sind seitdem nur für kurze Pausen zum Kräftesammeln abgeflaut.
Von Ramallah aus warf Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas den Israelis ein "Überschreiten der roten Linie" vor. Die Schockwellen über den Gewaltausbruch haben auch Amman erreicht. Der jordanische König fungiert als "Hüter der Heiligen Stätten". Obwohl Israel seit der Eroberung 1967 die Sicherheitshoheit über den Tempelberg innehat, ist die islamische Waqf-Stiftung dort Hausherrin und zuständig für die Religionsausübung. König Abdullah II. warnte in scharfem Ton, dass "jede weitere Provokation in Jerusalem die Beziehungen zwischen Jordanien und Israel belasten" würde. Sein Land habe dann leider keine andere Möglichkeit, als zu handeln.
USA fordern beide Seiten "dringend zur Zurückhaltung" auf
Das ist als erster, warnender Wink mit dem Friedensvertrag zu verstehen, den die beiden Länder 1994 geschlossen haben. Alarmiert zeigt sich inzwischen auch das US-Außenministerium, das alle Seiten "dringend zur Zurückhaltung" aufforderte. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon nutzte die Gelegenheit, noch einmal an die Notwendigkeit von Friedensverhandlungen zu erinnern.
Eingebettet sind die Unruhen auf dem Tempelberg in ein spannungsgeladenes Umfeld. Die Region ist seit dem Gazakrieg vor einem Jahr kaum zur Ruhe gekommen. Aufgewühlt hat die Palästinenser Ende Juli ein Brandanschlag vermutlich jüdischer Extremisten, bei dem eine dreiköpfige Familie starb. In Jerusalem häufen sich auf der anderen Seite Messerattacken palästinensischer Einzeltäter und Steinwürfe auf fahrende Autos. Am Sonntagabend kam ein 64-jähriger Israeli ums Leben, der laut Polizei wegen einer Stein-Attacke die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Zum Ende des jüdischen Neujahrsfests am Dienstagabend rief Premierminister Benjamin Netanjahu sein Sicherheitskabinett zu einer Krisensitzung zusammen. Vorab wurde bereits eine rasche Verschärfung der gesetzlichen Strafen für Steinewerfer angekündigt.