Tel Aviv unter Beschuss:"Ich wollte heulen, schreien"

Tel Aviv wird beschossen. Eine junge, weltoffene Stadt, bekannt für ihre Party-Szene, für Cafés, Strand und Bauhaus-Architektur: Wie gehen die Bewohner damit um, dass nun Sirenen heulen und Raketen niedergehen? Wir haben nachgefragt.

Charlotte Theile und Antonie Rietzschel

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Tel Aviv unter Beschuss:Tel Aviv unter Beschuss

siren sounds in Tel Aviv

Quelle: dpa

Am frühen Donnerstagabend feuerte die Hamas aus dem Gaza-Streifen zwei Raketen auf Tel Aviv. Zum ersten mal seit dem Golfkrieg 1991, als der Irak Scud-Raketen auf Israel abschoss, werden die Bunker in Tel Aviv wieder gebraucht. ( Hier die aktuellen Entwicklungen ) Noch ist die Stimmung in der Stadt ruhig. Israelis wissen, was bei Alarm zu tun ist. Ausländer beruhigen ihre Familien zu Hause, Freunde, die geplant hatten, nach Israel zu fliegen, warten erst mal ab.

Auf Facebook kursiert eine Nachricht der israelischen Armee, keine aktuellen Meldungen über Raketeneinschläge zu posten - die Hamas lese mit. Wie geht es weiter? Was kommt als nächstes? Diese Fragen stellen sich alle, mit denen wir heute gesprochen haben. Protokolle aus einer Stadt im Ungewissen.

Oliver Vranjovic, 33, Altenpfleger aus Deutschland (nicht im Bild)

Das größte Problem mit dem Bombenalarm ist das Organisatorische: Ich muss zur Arbeit, meine Frau muss zur Arbeit, unsere Tochter in den Kindergarten. Das hört auch nicht auf, wenn Krieg ist, ganz im Gegenteil. Die Menschen in dem Altenheim, in dem ich arbeite, kennen den Krieg. Es sind sogar einige Holocaust-Überlebende dabei. Viele haben jetzt Angst, einige haben Familie im Süden Israels, wo die Angriffe noch viel stärker sind. Dann geht das Telefon nicht, Sirenen heulen - da ist es besser, wenn wir auch in der Nacht da sind. Falls es so weit kommt, wird das Heim dafür sorgen, dass ich meine Kinder mitnehmen kann - dann gibt es Kinderbetreuung im Bunker. Sollte es schlimmer werden, müssen wir unserer Tochter - sie ist fünf - sagen, was los ist. Wie man das macht, wird im Fernsehen immer wieder erklärt.

Unser jüngstes Kind ist gerade ein Jahr alt und unser Haus ist so alt, dass wir keinen Bunker haben. Mit der einen Minute zwischen Alarm und Bunker klappt es bei uns also nicht. Das ist natürlich schon ein bisschen ungemütlich.

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Tel Aviv Pictures Protokolle

Quelle: Privat

Niv Rafaeli, 31, Start-Up-Gründer

Sirenen sind für mich ziemlich normal. Ich kenne sie als Kind aus dem Golfkrieg, ich kenne sie aus meiner Zeit bei der Armee. In Tel Aviv ist das natürlich anders, da hat es lange keinen Alarm mehr gegeben. Die Menschen in der Stadt sitzen trotzdem noch draußen in den Cafés und Restaurants, das Leben geht weiter. Es ist zwar nicht so, als wäre nichts geschehen, von einer Atmosphäre der Angst zu reden, ist aber völlig übertrieben.

Meine Freundin ist zur Zeit in Spanien. Als Ausländerin ist das eigentlich nicht ihr Konflikt: Ich könnte verstehen, wenn sie dort bleibt. Doch sie will herkommen. Ich finde es schrecklich, wie tief die Gräben zwischen uns und den Palästinensern sind. Ich habe noch nie mit einem Palästinenser gesprochen, noch nie. Dabei würde ich das gern. Ich glaube, die normalen Menschen in Palästina und Israel könnten sich schon zusammenfinden - wenn es nur die Radikalen auf beiden Seiten nicht gäbe. Die schauen immer nur auf kurzfristige Erfolge und militärische Siege. Langfristig bringt uns das gar nichts, außer Bomben und Krieg.

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Tel Aviv Pictures Protokolle

Quelle: Privat

Sarah Stricker, 32, Journalistin und Autorin aus Deutschland

Als der Bombenalarm losging, war ich gerade bei einem meiner israelischen Freunde. Wie alle in unserem Alter hier kann er sich noch gut an den Golfkrieg erinnern. Wir sind ins Treppenhaus gegangen, haben die Fenster aufgemacht, damit kein Glas splittert. Zwischen Alarm und Einschlag lagen höchstens zwei Minuten. Den Knall selbst habe ich nicht mitbekommen, obwohl er ziemlich laut war, wie mir meine Freunde gesagt haben. Zu dem Zeitpunkt wurde ich ständig von Bekannten angerufen, die sicher gehen wollten, dass ich Bescheid weiß. Als Ausländerin bekomme ich ja zum Beispiel nicht die Warn-SMS der Regierung.

Auch meine Freunde aus Deutschland rufen mich jetzt pausenlos an, machen sich Sorgen. Meine Mutter möchte, dass ich sofort nach Deutschland fliege. Aber nach drei Jahren in Tel Aviv ist das mein Zuhause - da gehe ich nicht wegen ein oder zwei Raketen weg. Meine israelischen Freunde sind ziemlich gelassen bis zynisch. Eine Freundin hat ihr Auto während des Alarms verlassen und in einem Geschäft Unterschlupf gesucht. Als sie wiederkam, klebte ein Strafzettel an der Scheibe, "business as usual" eben.

Viele Israelis freuen sich auch, wenn die Welt davon Notiz nimmt, dass sie bombardiert werden, dass es auch hier tote Babys gibt, nicht nur in Gaza. Über die Raketeneinschläge im Süden Israels wird kaum berichtet. Über Tel Aviv schon, schließlich sind hier viele ausländischen Journalisten stationiert. Was die Menschen immer irritiert, ist, wenn die Westler fragen, wann endlich Frieden ist. Niemand hier hat wirklich Hoffnung, das noch mitzuerleben. Man glaubt einfach, dass die Hamas nicht aufgeben wird, bevor sie die Zerstörung des Judenstaats erreicht hat. Obwohl die Stimmung in Tel Aviv eher links ist, und es auch Proteste gegen die Regierung gibt, sind die meisten daher doch der Meinung, dass man hart zuschlagen muss, um die Hamas so zu schwächen. Damit der pausenlose Beschuss wenigstens ein paar Jahre gestoppt wird.

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Oded Carmeli, 27, Dichter

Mein Gott, Sirenen heulen. Die Leute rennen in die Küche oder kriechen unter Tische, erst vor fünf Minuten war es wieder so weit. Würde ich nie machen. Ich lehne mich im Café sowieso immer an die Wand, da kann nichts passieren. Gestern war ich ein bisschen enttäuscht, ich hatte echt gehofft, eine gute Party zu finden und alles war still. Sowas nervt.

Ich hoffe, heute Abend geht wieder was, man kann sich ja von den Sirenen nicht die Stimmung verderben lassen. Außerdem haben wir ja unser Raketen-Abwehrsystem. Gestern Nacht hab ich nur einen Typ getroffen, der war ziemlich besoffen - und verzweifelt, weil er um sechs Uhr morgens in Gaza sein musste. Den haben sie eingezogen, sowas ist scheiße. Mich ziehen die nicht ein, ist ja jetzt auch kein richtiger Krieg oder so. Trotzdem nervt das mit dem Alarm, das hier ist eine moderne Stadt, 2012, und dann auf einmal diese Waffen aus dem 20. Jahrhundert... naja, der erste Alarm ist immer der Schlimmste, jetzt wird es hoffentlich wieder bessere Stimmung hier.

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Miri Lazar, 27, Choreographin am Nationaltheater

Meine Familie lebt in der Nähe von Gaza. Wenn es Spannungen gibt, kommen sie normalerweise nach Tel Aviv, weil es eine der sichersten Städte in Israel ist. Das ist jetzt vorbei. Niemand ist mehr sicher. Zum Zeitpunkt des ersten Raketenangriffs musste ich zum ersten Mal hier in der Stadt in den Bunker. Ich war bei Freunden zu Besuch. Als wir da saßen, wussten wir nicht ob wir lachen oder beunruhigt sein sollten.

Ich habe selbst Militärdienst geleistet. Wenn ich keine gesundheitlichen Probleme, könnte ich im Falle eines Krieges einberufen werden. Ich würde mir wünschen, dass niemand kämpfen muss, aber nur so können wir unser Land verteidigen. Das war schon immer so, wir sind damit aufgewachsen.

Am Wochenende fahre ich zu meinen Eltern. Natürlich ist die Fahrt dorthin angesichts der aktuellen Situation gefährlich, aber an sich gibt es jetzt kaum noch einen Unterschied wo man sich in Israel aufhält. Und ich möchte jetzt bei meinen Eltern sein und nicht aus der Ferne Angst um sie haben.

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Ari Miller, 36, Koch

Ich war in der Küche des Restaurants, in dem ich arbeite, als die erste Rakete einschlug. Plötzlich strömten alle Gäste herein und riefen etwas von einem Angriff, draußen heulten die Luftalarm-Sirenen. Sie dachten, die Küche wäre in diesem Moment der sicherste Ort. Ich ging raus, weil es einfach zu eng war. Plötzlich gab es eine Explosion. Ich wollte heulen, schreien. Niemand sollte eine solche Erfahrung machen, egal welcher Nationalität man angehört.

Aber ich habe mich zusammengerissen, denn ich möchte nicht, dass die Angst Teil meines Lebens wird. Ich habe so schon genügend andere Probleme in meinem Leben. Für das, was zwischen Israel und Palästina passiert, bin ich nicht verantwortlich. Das ist die Sache derer, die diese Raketen abfeuern. Dennoch kann ich es kaum erwarten, wählen zu gehen. Das ist derzeit die einzige Möglichkeit etwas zu ändern. Allerdings weiß ich noch nicht, wem ich meine Stimme geben soll.

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Quelle: AFP

Malka Miller, 70, Rentnerin (nicht im Bild)

Mein ganzes Leben habe ich in Tel Aviv verbracht, Krieg und Raketen sind da nichts wirklich Neues. Die letzten Tage waren daher nicht erschreckend - wir waren höchstens ein bisschen überrascht. Hier in der Stadt ist die Situation ruhig. Nur die Kinder haben große Angst. Bei dem Alarm heute haben wir zwei in unseren Bunker mitgenommen. Die kennen sowas ja nicht. Die Waffen der Hamas sind allerdings nicht so gut, dass man sich zu sehr fürchten müsste. Ich glaube, die beiden Raketen heute sind einfach ins Meer gefallen. Im Süden ist die Situation schlimm, die Leute dort leiden sehr.

Ich bete jeden Tag für diese Menschen und dafür, dass es in Gaza endlich besser wird. Dieser Krieg muss endlich zu Ende gehen. Meine Kinder sind Anwälte, Ärzte - alles ist unter Kontrolle. Wenn nur die Bomben nicht wären.

© Süddeutsche.de
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