Süddeutsche Zeitung

Teheran und der Westen:Das Dilemma mit Iran

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Der Kampf und die Macht in Iran - und die Reaktionen: Eigentlich müsste sich der Westen den Wahlbetrügern verweigern. Doch ohne sie ist kein Konflikt in Nahost zu lösen.

Joschka Fischer

Joschka Fischer (61, Grüne) war Vizekanzler und Bundesaußenminister von 1998 bis 2005. Er schreibt exklusiv für Project Syndicate und die Süddeutsche Zeitung.

Große Reden werden allzu gerne als bloße Worte unterschätzt, aber tatsächlich können sie massive Folgewirkungen entfalten. Dies gilt ganz offensichtlich für Präsident Obamas Rede an die muslimische Welt in Kairo, denn - bloßer Zufall oder hervorragendes Timing? - seitdem ist der Nahe Osten in Bewegung geraten.

Seit dieser Rede haben Wahlen im Libanon stattgefunden, bei der sich überraschenderweise die prowestliche Parteienallianz klar gegen die Hisbollah und ihre Verbündeten durchgesetzt hat. Bemerkenswert auch, dass die unterlegene Seite ihre Niederlage sofort akzeptiert hat und dass es Syrien offensichtlich ernst ist, ein neues Verhältnis zum Libanon aufzubauen.

In Iran hat ebenfalls eine "Wahl" stattgefunden, deren offensichtliche Fälschung zugunsten des amtierenden Präsidenten zu einer demokratischen Massenerhebung geführt hat. Man wundert sich, dass die Regierung nicht sofort Transparenz schafft und die Fakten, über die nur sie verfügt, sofort und umfassend auf den Tisch legt.

Denn wenn Ahmadinedschad tatsächlich eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Wählerstimmen erzielt hat, so gäbe es für das Regime nichts zu befürchten. Tatsächlich geschieht aber das genaue Gegenteil, und dafür gibt es nur eine Erklärung: Die Wahlen wurden gestohlen!

Der Wahlbetrug in Iran hat in den Städten des Landes eine Massenbewegung ausgelöst, die Iran, so viel lässt sich bereits heute feststellen, grundsätzlich verändern wird. Denn entweder wird das Regime zu brutaler Gewalt greifen, um den Massenprotest zu unterdrücken, damit jeglichen Anschein von demokratischer Legitimation aufgeben und so faktisch zu einer Militärdiktatur werden. Oder aber der subversive Geist der Demokratie wird nicht mehr in die Flasche zurückzuprügeln sein, und Iran wird sich verstärkt öffnen und reformieren.

Sollte der demokratische Massenprotest im ganzen Land durch Gewalt unterdrückt werden, dann wird sich der Westen sehr viel schwerer tun, sein Gesprächsangebot an das iranische Regime zu realisieren. Denn dem Regime werden dann nur noch die Isolation und die Konfrontation nach außen bleiben, um im Innern zu überleben. Zudem werden in einem solchen Fall Gespräche mit dem Regime in Teheran selbst erhebliche Legitimationsprobleme im Westen aufwerfen.

Selbst die chinesische Variante, nämlich politische Unterdrückung im Innern mit wirtschaftlicher Reform sowie Öffnung nach außen zu verbinden, wird sich die islamische Republik nicht erlauben können. Dafür sind ihre Strukturen zu schwach und zu wenig belastbar. Zudem wird ihre herrschende Ideologie einen solchen Schritt kaum unbeschädigt überstehen.

Im Wahlkampf ging es zwischen den wichtigsten Kandidaten neben der Innenpolitik und der Frage der inneren Freiheit auch darum, ob das Land durch Öffnung und internationale Einbindung zu einer rationaleren Außenpolitik übergehen sollte oder nicht.

Ahmadinedschad steht für die Politik der Konfrontation und partiellen Isolierung, Mussawi für die Öffnung der islamischen Republik. Das Regime wäre deshalb durch eine solche Öffnungspolitik sehr schnell wieder in seiner Existenz gefährdet.

Das Dilemma für den Westen wird darin bestehen, dass er es einerseits mit einem durch Wahlbetrug diskreditierten und delegitimierten Regime zu tun hätte, andererseits aber Iran zur Lösung nahezu aller wichtigen Probleme im Nahen und Mittleren Osten unverzichtbar bleibt: Das gilt für das iranische Atomprogramm, die Konflikte in Afghanistan, Pakistan, im Irak, am Persischen Golf, im Libanon sowie in Palästina. Und auch im Kaukasus und in Zentralasien wird Iran eine Rolle spielen.

Ein Regime in Teheran, das nach außen Stärke demonstrieren muss, um im Innern angesichts einer zerbrochenen Legitimationsgrundlage zu überleben, wird daher eine umfassende Verhandlungslösung mit ihm (um die es dem Westen letztlich geht) sehr viel schwieriger und riskanter, ja, vielleicht sogar unmöglich machen.

Das dritte Ereignis im Nahen und Mittleren Osten seit Obamas Rede ist aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu vermelden. Der US-Präsident will eine Zwei-Staaten-Lösung und hat zudem den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht, wie seine beiden Vorgänger Clinton und Bush, auf das Ende seiner Präsidentschaft vertagt, sondern gleich zu deren Beginn energisch angepackt. Er scheut dabei auch nicht den begrenzten Konflikt mit der israelischen Regierung in der Siedlungsfrage.

Die Bedingungen für ernsthafte Verhandlungen im israelisch-palästinensischen Konflikt sind jedoch alles andere als gut, denn es fehlt auf beiden Seiten an Partnern. Die Regierung Netanjahu sagt eigentlich nein zu einem Staat der Palästinenser. Und die Hamas, die den Gazastreifen beherrscht, lehnt Israels Existenzrecht nach wie vor ab.

Praktisch und parallel

Nun hat sich zwar Premierminister Netanjahu in der vergangenen Woche zu einem palästinensischen Staat bekannt, und die Hamas-Führung zu einem Palästinenserstaat in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967. Aber die parallel dazu formulierten Vorbehalte beider Seiten machen dieses Bekenntnis gleich wieder fragwürdig.

Andererseits gilt, dass nur eine Regierung der israelischen Rechten den Ausbau der Siedlungen beenden und nur die Hamas die Gewalt gegen Israel unterbinden kann. Und genau diese beiden Fragen - Siedlungen und Sicherheit - müssen praktisch und parallel gelöst werden, falls ein Neustart des Friedensprozesses gelingen soll.

Wenn Präsident Obama in diesem Konflikt ernsthaft vorankommen will, dann wird er es hinbekommen müssen, dass die Regierung Netanjahu und die Hamas miteinander verhandeln. Dies erscheint aus heutiger Sicht als ein Ding der Unmöglichkeit, aber der Schein trügt. Denn solche Verhandlungen werden dann möglich sein, wenn auf beiden Seiten - in Israel und in Palästina - Regierungen der nationalen Einheit gebildet werden.

Man sieht, Bewegung im Nahen Osten erweist sich als eine höchst ambivalente Angelegenheit, denn die Lage kann sich verbessern, aber durchaus (und wahrscheinlicher sogar) auch verschlechtern. Anderseits ist eines gewiss: Ändert sich am gegenwärtigen Stillstand nichts, so wird die Lage mit Sicherheit nur schlechter werden. Insofern ist es richtig, das Risiko der Veränderung einzugehen.

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SZ vom 22.06.2009/aho
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