Tegel:Tegel fliegen die Sympathien zu

Flughafen Tegel in Berlin

Einst war dies die Verbindung der Westberliner in die Welt hinaus. Bei Lärmschutz und Technik ist die Zeit über Tegel hinweggegangen.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • 2,5 Millionen Berliner stimmen am Sonntag nicht nur über die Bundespolitik ab, sondern wählen auch, wie es mit dem Flughafen Tegel weitergehen soll.
  • Die FDP hatte den Volksentscheid initiiert. Sie will, dass Tegel nach der Eröffnung des BER weiter genutzt wird.

Von Jens Schneider, Berlin

Das kann gar nicht sein, so heißt es bei Geschichten wie dieser schnell. Es sei denn, es passiert in Berlin. Ein Volksentscheid an diesem Sonntag bewegt die Berliner fast mehr als die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl, zu den hitzigen Diskussionsrunden in dieser Woche kamen Hunderte aufgewühlte Besucher. Es wird über die Frage abgestimmt, ob der 43 Jahre alte Flughafen Tegel langfristig weiter in Betrieb bleiben soll - obwohl der Berliner Senat sowie Rechtsgutachten und selbst die Bundeskanzlerin sagen, dass der Weiterbetrieb völlig ausgeschlossen sei, rein juristisch gesehen.

Der Flughafen im Norden der Stadt, nur eine kurze Fahrt vom Zentrum entfernt, sollte von Rechts wegen längst geschlossen sein, seit mehr als drei Jahren. Als vor einigen Jahren der Neubau des Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld beschlossen wurde, verständigten sich die Länder Berlin und Brandenburg mit dem Bund, dass es in der Hauptstadt nur noch diesen BER geben sollte.

33 Millionen Fluggäste im Jahr

Nur unter dieser Bedingung genehmigten später Gerichte den BER. Das Bundesverwaltungsgericht entschied eindeutig: Spätestens ein halbes Jahr nach der Inbetriebnahme des BER muss Tegel schließen. So wäre es auch gekommen, hätte Berlin den BER wie geplant 2011 eröffnen können, oder zumindest zum nächsten Termin, im Sommer 2012. Nun wird in Schönefeld immer noch gebaut. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup will Ende des Jahres einen Eröffnungstermin nennen, es könnte, mit Glück, 2019 werden. Zugleich reisen immer mehr Fluggäste von und nach Berlin, inzwischen 33 Millionen im Jahr, von ihnen mehr als 21 Millionen in Tegel, und viele Berliner wollen sich gar nicht mehr vorstellen, auf Tegel zu verzichten.

"Erhalten wir das Einzige, das wirklich funktioniert", lautete der Slogan, mit dem der Kampf um Tegel begann. Geprägt hat ihn Sebastian Czaja, die Führungsfigur der Berliner FDP. Die Partei war in der Hauptstadt seit Jahren in der Bedeutungslosigkeit versunken, vor gut einem Jahr begannen Czaja und Weggefährten, Unterschriften zu sammeln. Ihre Initiative wurde verspottet, die Idee als abwegig abgetan, auch wegen der Rechtslage.

Doch sie traf einen Nerv und half nebenher, die FDP zu reanimieren, diese zog 2016 wieder ins Abgeordnetenhaus ein. Mehr als 200 000 Berliner unterschrieben für den Volksentscheid für Tegel, zumeist in den westlichen Bezirken der Stadt.

Es gehe um das Herz der Stadt, sagt Czaja. Viele Westberliner hängen an dem Flughafen, der zu Zeiten der Teilung die Verbindung in die Welt hinaus war. Die Initiative "Berlin braucht Tegel" setzt auf diese Sentimentalität, aber sie argumentiert auch mit den seit Jahren steigenden Passagierzahlen. Der alte Flughafen werde gebraucht, weil der BER den Zuwachs allein nicht bewältigen könne. Czaja warnt vor einem Chaos am BER, auch auf dem Weg dorthin. Wenn alle Fluggäste nach Schönefeld müssten, käme es zum Verkehrsinfarkt in der Stadt.

Regierender Bürgermeister Müller wirbt im Wahlkampf für Tegel-Ende

Die FDP ist immer noch die treibende Kraft der Initiative, FDP-Kandidaten für den Bundestag werben für sich auf Plakaten als "Flughafen-Retter". Unterstützt wird die Initiative auch von der Fluglinie Ryan Air, die für 30 000 Euro Plakate aufstellen ließ. Eine drollige Rolle spielt die CDU, deren Spitzen lange erklärt hatten, dass Tegel aus rechtlichen Gründen nicht in Betrieb bleiben könne. Da gehörte die CDU noch dem Senat an. Als Oppositionspartei befragte sie im Sommer ihre Mitglieder, die sich für Tegel aussprachen. Seither hat die Parteispitze eine neue Meinung und muss wie Generalsekretär Stefan Evers bei jedem Auftritt erklären, warum plötzlich möglich sein soll, was er selbst zuvor für unmöglich erklärt hatte.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) begnügte sich lange mit dem Verweis auf die Rechtslage. Zuletzt ließ er aber kein Podium aus, um für ein Ende des Flughafens zu werben. Müller stellt heraus, was alles auf dem Gelände entstehen soll: Etwa 9000 neue Wohnungen sind geplant, dazu ein großer Technologiepark. Berlin brauche die Fläche dringend, sagt er und appelliert an die Berliner, sich nicht allein von Emotionen leiten zu lassen. Auch er sei wütend über die ewigen Probleme am BER, "und wir alle mögen Tegel". Aber es gehe hier um die Zukunft: Der alte Flughafen würde heute nicht mehr genehmigt, warnt er.

"Da muss ich sagen, dass Tegel geschlossen werden muss", sagt die Bundeskanzlerin

Begleitet wird jede Debatte von Protesten von Anwohnern aus der Anflugschneise etwa aus Pankow, die seit Jahren darauf warten, dass der Flughafen geschlossen wird. Etwa 300 000 Menschen sind von Fluglärm betroffen, so viele wie bei keinem anderen Flughafen in Europa. Weil die Schließung in Aussicht gestellt ist, wurde bisher nichts für den Lärmschutz getan. Allein dafür würden 400 Millionen Euro gebraucht, argumentieren die Gegner. Der seit Jahren nicht sanierte Flughafen sei zudem baulich ein Luftfahrtmuseum. Auf eine Milliarde Euro taxiert Flughafenchef Lütke Daldrup die Sanierungskosten. Er verspricht, dass der BER künftig alle Fluggäste bewältigen könne und arbeitet an einem Plan für dessen Ausbau auf eine Kapazität von bis zu 55 Millionen Passagieren im Jahr 2035. Der Versuch, Tegel weiter zu betreiben, würde in einen jahrelangen Rechtsstreit münden, sagt er.

Die Befürworter halten dagegen. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", sagt FDP-Mann Czaja. Laut Umfragen könnte eine Mehrheit der Berliner der Initiative folgen. Der Volksentscheid wäre freilich nicht bindend. Der Senat würde lediglich aufgefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern".

Regierungschef Müller erinnert gern daran, dass die Rechtslage nach dem Volksentscheid die gleiche sein werde wie vorher. Und dass auch die übrigen Eigentümer des Flughafens gegen den Weiterbetrieb sind, das Land Brandenburg und der Bund. Die Kanzlerin sagt: "Ich gehe von dem Faktischen aus. Und da muss ich sagen, dass Tegel geschlossen werden muss, das ist die Rechtslage." Aber es wird Müllers Aufgabe sein, einen Weg aus dem Dilemma zu finden, wenn er den Volksentscheid verliert.

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