Süddeutsche Zeitung

Teenager-Schwangerschaften:Flucht in die Sexualität

In dieser Woche brachte eine Zwölfjährige in Hamburg ein Baby zur Welt. Die Zahl junger Mütter ist stark gestiegen und oft sind es Mädchen mit geringer Bildung, die sich aus Angst vor der Zukunft nach einer eigenen Familie sehnen.

Cathrin Kahlweit

Das Baby ist süß und gesund, und es hat noch keinen Namen. Gemeinsam mit Mama Patricia, der mit zwölf Jahren jüngsten Mutter Deutschlands, und dem mutmaßlichen Kindsvater, dem 17 Jahre alten Kevin, ist das Neugeborene seit seiner Geburt am Mittwoch ein öffentliches Thema, rückt es doch das Problem "Teenager-Schwangerschaften" ins Blickfeld.

Glücklich sei das Paar über den Buben, heißt es offiziell, man wolle das Kind, irgendwie, gemeinsam großziehen. Die Großmutter soll dem Vernehmen nach weniger enthusiastisch sein; die Eltern von Patricia leben getrennt, ihre 33-jährige Mutter hat selbst gerade erst von ihrem neuen Lebensgefährten ein Kind bekommen. Der 34 Jahre alte Großvater, der aus Polen stammt, zeigt sich peinlich überrascht.

Nur einen Tag nach der Geburt des Hamburger Babys folgte dann eine Nachricht aus Brandenburg. Dort hat eine erst 16-Jährige heimlich ein Baby entbunden und in einen Papiercontainer geworfen; das Kind ist tot, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Details sind bislang nicht bekannt.

Trotz Verdacht blieb Schwangerschaft unbemerkt

Die Fälle haben einiges gemein: Beide Schülerinnen kommen aus einfachen Verhältnissen, beide verheimlichten die Schwangerschaft. Und in beiden Fällen blieb die Schwangerschaft tatsächlich unentdeckt - selbst wenn bei Patricia aus Hamburg offenbar sowohl Eltern als auch Mitschüler und Lehrer einen starken Verdacht hegten.

Teenager-Schwangerschaften beschäftigen seit einigen Jahren die Forschung - nicht zuletzt, weil ihre Zahl seit Mitte der neunziger Jahre steigt und Sexualforscher wie Familienpolitiker nach Erklärungen sowie nach Gegenmitteln suchten.

Erst in den letzten Jahren hat sich die Zahl der Geburten stabilisiert, während die Abtreibungen zunehmen: 7000 Mädchen, die 18 oder jünger waren, brachten 2004 Kinder zur Welt. Vor zehn Jahren waren es noch fast 50 Prozent weniger. Im selben Jahr gab es 7854 Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen unter 18 Jahren.

Baby als "etwas Eigenes"

Die Forschungsergebnisse, die Bundesfamilienministerium und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in jüngster Zeit präsentiert haben, werfen ein deprimierendes Bild auf - nein, nicht auf das Sexualverhalten von Jugendlichen, denn die Mehrheit weiß, wie man verhütet.

Sondern auf die soziale Schichtung, die bei besonders jungen Müttern auffällig ist: In Sachsen etwa, wo die Zahl der Teenager-Schwangerschaften über dem Bundesdurchschnitt liegt, ist die Mehrheit der Mädchen oft ohne berufliche Perspektive.

Sabine Wienholz, Soziologin an der Universität Leipzig, berichtet, dass in Chemnitz unter den minderjährigen Müttern fast ausschließlich Förder- und Hauptschülerinnen waren, die von einer unerreichbaren Karriere träumten, aber keinen anderen Weg als die Mutterschaft wussten, um sich Anerkennung und "etwas Eigenes" zu verschaffen.

Noch drastischer waren die Daten, die Wienholz gemeinsam mit Kolleginnen in Leipzig erhob: Die Wissenschaftlerinnen entdeckten unter den jugendlichen Müttern in der sächsischen Großstadt ausschließlich Mädchen, die auf eine Lernförderschule gingen. Ein Kind in jungen Jahren werde oftmals unbewusst gewünscht, glaubt Wienholz, um "Lebenskrisen zu bewältigen".

Mädchen mit geringer Bildung treiben seltener ab

Zu vergleichbaren Erkenntnissen ist auch eine Forschergruppe vom Institut für Sexualforschung am Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) gekommen.

Die Ergebnisse der Studie zu ungewollten Schwangerschaften bei unter 18-Jährigen, für die 1500 Mädchen befragt wurden, werden zwar erst Ende März präsentiert, doch klar ist bereits: "Die soziale Benachteiligung hat einen großen Einfluss auf die Entscheidung, ob ein Teenager ein Kind bekommt", sagt Silja Matthiesen vom UKE; sozial benachteiligte Mädchen mit geringer Schulbildung würden häufiger schwanger als andere - und entschieden sich häufiger, das Kind nicht abzutreiben.

Institutsdirektor Wolfgang Berner findet das "Besorgnis erregend". Er sieht eine "Flucht von Kindern in die Sexualität" und folgert aus den neuesten Erhebungen, dass gerade Jugendliche aus problematischen Familiensituationen sich in den Traum einer funktionierenden Beziehung mit Kind flüchteten. "Ich gehöre nicht zu denen, die in solchen Fällen froh sind, dass überhaupt Babys geboren werden."

Praktisch überhaupt keine Erkenntnisse gibt es bislang über Teenager-Väter, die plötzlich mit einem Baby konfrontiert sind. Immerhin hat eine Studie über junge Paare mit Kind festgestellt, dass eine "unerwartet hohe Zahl" von Männern ihre schwangeren Freundinnen nicht verlasse und Verantwortung übernehme. Insofern liegen Patricia und Kevin aus Hamburg - vorerst - im Trend.

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Quelle:
SZ vom 4./5.März 2006
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