Team Six über ihren Bin-Laden-Einsatz:Wie die Navy Seals Bin Ladens Ende schildern

Die Bin-Laden-Jagd, wie sie wirklich war: In einem Buch erzählen Mitglieder des berühmt gewordenen Team Six der Navy Seals, wie sie den Terrorführer getötet haben. Ihre Version widerspricht in einem elementaren Punkt jener des Weißen Hauses - und zeigt den Zorn der Soldaten: Sie fühlen sich "schäbig" behandelt.

Wie starb Osama bin Laden? Inzwischen gibt es neben der offiziellen Version des Weißen Hauses noch eine andere Schilderung der Kommandoaktion, bei der der Al-Qaida-Chef am 2. Mai im pakistanischen Abbottabad getötet wurde. Es handelt sich um die Sicht der beteiligten Elitesoldaten vom Navy Seal Team Six. Chuck Pfarrer, ein früherer Kommandeur der Einheit, hat sie gesammelt und das Buch "Seal Target Geronimo" daraus gemacht.

Zwei Versionen gibt es zu den Todesumständen von Osama bin Ladens, der Ort ist unumstritten: Er starb vor seinem Bett.

Zwei Versionen gibt es zu den Todesumständen Osama bin Ladens, der Ort ist unumstritten: Er starb vor seinem Bett.

(Foto: Reuters)

Die nun von der Sunday Times vorveröffentlichten Auszüge haben es in sich: Veteran Pfarrer macht sich zum Sprachrohr für die Kommandosoldaten - und artikuliert deren Zorn auf die Politiker: "Die Männer haben etwas Besseres verdient", grollt er und fügt hinzu: "Es ist eine ziemlich schäbige Weise, mit diesen Jungs umzugehen." Schäbig, das waren seiner Ansicht nach Schilderungen des Einsatzes, die die Soldaten als kaltblütige Mörder hinstellten.

Im Namen der Beteiligten widerspricht Pfarrer dem offiziell geschilderten Ablauf der Mission mit dem Codenamen "Neptuns Speer". Demnach wurde Osama bin Laden in der Garnisonsstadt Abbottabad nicht, wie bislang behauptet, bei einem Feuergefecht am Ende der Aktion getötet, sondern zu Beginn: Nur 90 Sekunden, nachdem das Kommando gelandet war, starb demnach der islamistische Terroristenchef.

In diesen eineinhalb Minuten geschah nach Aussage der Soldaten Folgendes: Zwölf Seals seilen sich von einem Hubschrauber ab, der knapp über dem Gebäude schwebt. Die Männer treten Türen und Fenster im Obergeschoss ein und schlüpfen ins Gebäude.

Als Erstes sehen sie Khaira, Bin Ladens dritte Frau. Vom Licht geblendet taumelt sie, ein Elitesoldat reißt sie zu Boden. Dann öffnet sich die Tür zum Schlafzimmer. Osama bin Laden erscheint. Nur kurz schaut er hinaus, dann schlägt er die Türe zu. "Geronimo, Geronimo, Geronimo", funkt ein Soldat - der Name des legendären Indianerhäuptlings ist der Codename für Bin Laden - und: "Ziel im Blickfeld".

Zeitgleich schaltet jemand Licht in der unteren Etage ein. Ein junger Mann rennt die Treppen herauf, auf die Seals zu. Sie erschießen ihn. Es ist Bin Ladens Sohn Khalid. Dann treten zwei Amerikaner die Türe ein, die Bin Laden gerade zugeschlagen hat. "Es roch nach alter Kleidung", werden sich die Soldaten später erinnern, "wie ein Gästezimmer in dem Haus einer Großmutter."

Warum die Seals Bin Laden nach ihrer Ansicht töten mussten

Bin Laden drückt seine jüngste Frau Amal vor sich als menschlicher Schutzschild. Er streckt sich über sein Bett, zur Kalaschnikow AK-47. Die Frau schreit, "Nein, nein, tu das nicht." Gleichzeitig feuern die Seals. Ein Schuss trifft die Matratze, ein anderer die Wade von Amal. Bin Laden versucht mit der Hand, seine AK-47 zu erreichen, die Soldaten schießen noch einmal. Diesmal treffen sie ihn: Ein Projektil trifft sein Brustbein, das andere zerfetzt seinen Hinterkopf. Osama bin Laden ist sofort tot.

In Pfarrers Buch wird der weitere Verlauf der Aktion beschrieben: Wie Bin Ladens Kurier Abu Ahmed al-Kuwaiti das Feuer eröffnete und ein Scharfschütze ihn erschoss, wie ein Hubschrauber verlorenging. Angeblich haben die US-Soldaten lediglich zwölf Schüsse abgegeben.

"Für eine 'kill mission' braucht man keine Seals - sondern eine Kiste Handgranaten"

Weit weniger aufschlussreich sind Informationen wie diese: Ein Hund namens Cairo habe zum Team gehört, auch er trug eine Art Körperpanzer. Und: Die Soldaten nannten den hochgewachsenen Osama bin Laden "Bert" - nach der hageren Figur aus der Kindersendung Sesamstraße.

Es ist außergewöhnlich, dass Elitesoldaten offenherzig über solch eine heikle Aktion reden, die gerade mal ein halbes Jahr her ist. Die Beweggründe der Seals liefert Ex-Kommandant Pfarrer: Die Soldaten ärgerten sich, dass die Politiker sie als kaltblütige Mörder hinstellen würden. Sie hätten Bin Laden gefangen genommen, wenn er sich ergeben hätte.

Pfarrer sagt, er habe in seinen 30 Dienstjahren noch nie die Bezeichnung kill mission gehört. Dies sei ein "Phantasiewort", schimpft der Ex-Soldat: "Für eine kill mission hätte man nicht das Seal Team Six gebraucht, sondern eine Kiste Handgranaten."

Auch Barack Obama selbst kommt bei den Elitesoldaten nicht gut weg. Der Präsident strebt nach einer Wiederwahl. Dass in seiner Amtszeit Bin Laden ausgeschaltet werden konnte, schmückt seine durchwachsene Bilanz. Doch ausgerechnet hier setzt offenbar der Zorn der Soldaten an: Die Männer seien geschockt, dass Präsident Barack Obama den Tod des Terrorchefs am selben Abend verkündet hat.

"Es gibt keinen Politiker, der der Versuchung widerstehen könnte, das Verdienst einzustreichen, Bin Laden erwischt zu haben", so Veteran Pfarrer. Aber es habe die Informationen entwertet, die man in Bin Ladens Versteck gefunden habe, denn nun seien alle anderen Al-Qaida-Mitglieder gewarnt gewesen: Sie hatten nun Zeit, sich ein anderes "Schlupfloch" zu suchen.

Immerhin haben die Elitesoldaten eine Trophäe behalten. Osama bin Ladens Kalaschnikow ziert nun die Wand ihres Teamraumes im Hauptquartier in Virginia Beach, Virginia. Daneben hängen Fotografien von einem Dutzend Kollegen - sie wurden in den vergangenen 20 Jahren im Einsatz getötet.

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