Krieg in der Ukraine:Massive Drohungen von Putin

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Die Ukraine möchte die amerikanischen Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS ohne Beschränkungen gegen Russland einsetzen dürfen. (Foto: dpa)

Die USA und Großbritannien erwägen, der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen zu erlauben. Russlands Präsident erklärt, die Nato befände sich dann im Krieg mit seinem Land.

Von Daniel Brössler, Paul-Anton Krüger, Berlin

Der russische Präsident Wladimir Putin hat mit massiven Drohungen auf Berichte reagiert, wonach die USA und Großbritannien der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele im russischen Hinterland erlauben wollen. „Es geht um die Frage, ob die Staaten der Nato sich direkt an dem Konflikt beteiligen oder nicht“, sagte er am Donnerstag dem russischen Staatsfernsehen.

Moderne, weitreichende Systeme könnten von der Ukraine gar nicht selbst bedient werden, behauptete der Kremlchef. Sie könnten nur von Nato-Soldaten bedient werden. Der Ukraine fehlten auch eigene Satellitendaten. Es gehe daher um die direkte Beteiligung der USA und weiterer Staaten am Krieg in der Ukraine. „Das ändert die ganze Natur des Konflikts. Das heißt, dass die Staaten der Nato, die USA, die europäischen Staaten Krieg gegen Russland führen“, fügte Putin hinzu. Darauf und auf die sich „daraus ergebenden Bedrohungen“ werde man entsprechend reagieren.

US-Außenminister Antony Blinken hatte zuvor angedeutet, dass es zu der für die Ukraine lang ersehnten Wende in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland kommen könnte. Immer dringlicher bittet die Ukraine um die Erlaubnis, westliche Waffen auch gegen Ziele tief im russischen Hinterland einzusetzen. US-Präsident Joe Biden war bisher strikt dagegen, aber das könnte sich bald ändern – was auch zu neuem Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führen dürfte.

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„Wir werden nachjustieren, wir werden uns anpassen, wenn es nötig ist, auch im Hinblick auf die Mittel, die der Ukraine zur Verfügung stehen“, sagte Blinken am Donnerstag in Warschau. Eine Wende hatte sich bereits am Mittwoch während eines gemeinsamen Besuchs Blinkens und des britischen Außenministers David Lammy in Kiew abgezeichnet. Blinken kündigte an, dass die Forderungen der Ukraine Thema eines Treffens des neuen britischen Premierministers Keir Starmer mit US-Präsident Joe Biden an diesem Freitag in Washington sein würden.

„Wir wollen, dass die Ukraine gewinnt. Und wir sind vollständig entschlossen, die Hilfe bereitzustellen, die sie benötigt, damit ihre tapferen Soldaten und Bürger genau das erreichen können“, sagte Blinken. Großbritannien hat laut einem Bericht des Guardian, der sich auf Regierungsquellen beruft, eine entsprechende Entscheidung bereits getroffen, dies werde aber nicht vor dem Termin von Premier Starmer im Weißen Haus öffentlich gemacht.

Der neue ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bekräftigte den Wunsch, insbesondere US-Raketen vom Typ ATACMS sowie britische Storm-Shadow-Marschflugkörper ohne Beschränkung einsetzen zu können. „Wir müssen alle Hindernisse und Beschränkungen beim Einsatz britischer und amerikanischer Ausrüstung gegen militärische Ziele auf russischem Territorium aufheben“, forderte er. Biden hatte eine solche Erlaubnis bisher verweigert und auf die Notwendigkeit verwiesen, eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden. Übergeordnetes Ziel Bidens ist es, eine militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato zu verhindern.

Die veränderte Linie Bidens setzt Scholz nicht zwangsläufig unter Zugzwang

Lammy warf indes dem russischen Präsidenten Putin wegen der Lieferung ballistischer Raketen durch Iran eine „erhebliche und gefährliche Eskalation“ vor. Man sehe eine neue Achse aus Russland, Iran und Nordkorea – was auch in Washington zu einer Veränderung der Politik führen könnte. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte in Moskau, der Westen habe diese Entscheidung schon seit Langem getroffen. Nun suche man nach einer öffentlichen Rechtfertigung dafür.

Für die Ukrainer bedeuten die bisherigen Beschränkungen, dass sie vielfach aus großer Entfernung gestarteten Angriffen schutzlos ausgeliefert sind. Ende Mai weichten die USA und mehrere Verbündete, darunter Deutschland, die Vorgaben zumindest auf, um der Ukraine eine bessere Verteidigung gegen russische Angriffe insbesondere im Raum der ostukrainischen Stadt Charkiw zu ermöglichen. Westliche Waffen dürfen seitdem dort im grenznahen Raum auch gegen Ziele auf russischer Seite eingesetzt werden, nicht aber gegen tiefer in Russland liegende Ziele.

Bundeskanzler Scholz hat den Gleichklang mit den USA zwar immer wieder betont, eine veränderte Linie Bidens würde ihn trotzdem nicht unmittelbar unter Zugzwang setzen. Der Grund ist einfach: Deutschland hat der Ukraine bislang keine weitreichenden Waffen geliefert, weshalb es auch nicht Adressat der jüngsten ukrainischen Appelle war. Auf der Hand liegt allerdings, dass die Diskussion um die von Scholz abgelehnte Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus neu entflammen dürfte. Mit der Freigabe, Storm Shadow und ATACMS gegen Militärflughäfen einzusetzen, „von denen Putins Bomber aufsteigen, sollten wir ebenfalls die absurden Beschränkungen aufheben und zudem von knapp 600 alten Taurus einige liefern“, forderte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber (FDP), auf X.

Nicht zu erwarten ist allerdings, dass sich Scholz in dieser Frage bewegt. Die Haltung sei unverändert, wurde der Süddeutschen Zeitung aus Regierungskreisen bestätigt. Der Kanzler dürfte sich vermutlich eher noch bestärkt fühlen in seiner Annahme, den Einsatz einmal gelieferter Taurus nicht mehr kontrollieren zu können. Öffentlich hatte Scholz wiederholt auf die Gefahr einer Eskalation hingewiesen.

Aus Sicht der Ukraine verhindert die Furcht ihrer westlichen Partner vor einer Eskalation vielfach eine effektive Verteidigung gegen einen skrupellos agierenden russischen Aggressor. Mit der Besetzung grenznaher Gebiete in der russischen Region Kursk sieht sie den Beweis erbracht, dass diese Furcht unbegründet oder übertrieben ist. „Eskalation ist natürlich einer der Faktoren, die wir im Blick haben, aber sicher nicht der einzige und nicht unbedingt der leitende Faktor“, sagte Blinken nun in Kiew.

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