Außenpolitik:Die T-Frage der Union

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Oppositionsführer Friedrich Merz schlug am Mittwoch dieser Woche im Bundestag vor, Russland ein Ultimatum zu stellen. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Friedrich Merz hat die Forderung nach „Taurus“-Marschflugkörpern für die Ukraine wieder ins Zentrum der Debatte gerückt. Warum tut er das? Und wie gut kommt es in den eigenen Reihen an?

Von Georg Ismar, Henrike Roßbach, Berlin

Die K-Frage in der Union ist geklärt, nun aber ist die T-Frage wieder aufgetaucht: die Forderung nach Taurus-Marschflugkörpern für die Ukraine. Ein paar Monate lang war es still geworden um dieses Thema. Bis zum Mittwoch dieser Woche, als Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag nicht nur abermals die Lieferung besagter Langstreckenwaffe verlangte – sondern auch, und das war neu, ein Ultimatum in Richtung Wladimir Putin vorschlug: Wenn dieser nicht innerhalb von 24 Stunden aufhöre, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, „dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch Taurus-Marschflugkörper geliefert werden“, um die Nachschubwege des Regimes zu zerstören, so Merz. Sprich: um Ziele bis weit hinein in russisches Territorium zu treffen.

Die Frage ist: Wie gut kommt das an in Merz’ Fraktion? Beliebt nämlich ist diese Haltung an der Basis nicht, vor allem im Osten.

Ein langjähriger Unionsabgeordneter schätzt, dass womöglich bis zu einem Viertel der Fraktion nicht hinter Merz’ abermaligem Taurus-Vorstoß steht. An der Basis seien Taurus-Lieferungen hochumstritten und die Position von CDU und CSU teilweise schwer zu vermitteln. Viele treibe die Sorge um, Deutschland und die Nato könnten in einen Konflikt mit Russland gezogen werden. Deshalb seien viele in der Union froh gewesen, als es in der Sache zuletzt ruhiger geworden war.

Der Kanzler wirft Merz vor, er folge einer „Eskalationslogik“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiß das natürlich, weshalb er am Tag nach Merz’ Auftritt prompt dagegenhielt. Es stelle sich die Frage, sagte er am Rande des Europäischen Rates in Brüssel, ob es verantwortlich sei zu sagen, wenn dies nicht passiere, „dann machen wir das“. Das sei eine „Eskalationslogik“, von der er nicht glaube, dass sie besonnen und „klug bedacht“ sei.

Diejenigen in der Union, die für eine stärkere Unterstützung der Ukraine plädieren, loben den Fraktionschef dagegen: „Das ist der alte Merz wieder“, sagt einer. Es sei sehr wichtig, dass er die Position noch einmal klargezogen habe – gegenüber der eigenen Partei und gegenüber dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), mit dem die CDU in Sachsen, Thüringen und Brandenburg derzeit über die Bildung einer Regierung verhandelt. Zu hören ist, dass Friedrich Merz wenig begeistert gewesen sein soll über einen Gastbeitrag von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Thüringens CDU-Chef Mario Voigt und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), in dem die drei sich – zur Freude von BSW-Chefin Wagenknecht – für Verhandlungen hin zu einem Waffenstillstand ausgesprochen hatten.

An der Front in der Ukraine wünscht man sich schon länger Waffen, die weiter entfernte militärische Ziele in Russland treffen könnten. (Foto: Evgeniy Maloletka/dpa)

Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter war in der Ukraine-Frage mit Merz öfter aneinandergeraten; mit seinen ständigen Forderungen nach immer mehr Waffen ging er ihm durchaus auf die Nerven. Nun aber ist Kiesewetter voll des Lobes. „Friedrich Merz hat hier klare Haltung gezeigt und Orientierung gegeben, wofür Deutschland sicherheitspolitisch stehen muss und wofür die Union steht.“ Es gehe um „Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“.

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der Taurus-Lieferungen ebenfalls entschieden befürwortet, sagte der Süddeutschen Zeitung, die Union sei bei dem Thema nie von ihrer Linie abgewichen. Nur weil die Unionsfraktion nicht jeden Monat einen neuen Taurus-Antrag einbringe, heiße das nicht, „dass es an dieser Stelle jemals eine Relativierung gegeben hätte“. Ja, die Stimmungslage in dieser Frage in Ost- und Westdeutschland sei unterschiedlich, was die CDU im Osten auch berühre. Das aber habe nicht dazu geführt, dass die CDU ihre Ukraine-Position weniger deutlich vorgetragen hätte.

Manche in der Union wollen an Überzeugungen festhalten, AfD und BSW zum Trotz

Kanzler Scholz sieht das anders. Merz habe „monatelang geschwiegen, als die Landtagswahlen in Sachsen, in Thüringen und in Brandenburg waren“. Jetzt, wo diese Wahlen zu Ende seien, äußere er sich plötzlich „in der ganz umgekehrten Richtung“. Mit „klarer Haltung und Konsistenz“ habe das wenig zu tun, „und das ist noch das Wenigste, was man dazu sagen kann“.

Röttgen empört dieser Vorwurf. Fast ein Jahr lang habe die Union gefordert, der Ukraine Marschflugkörper zu liefern. „Wir haben ihn doch damit geradezu gejagt“, sagt der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. „Zu sagen, wir hätten unsere Position vor den Landtagswahlen nicht mehr vertreten, ist schlicht falsch. Man könnte auch sagen: gelogen.“

Ende Februar und Mitte März waren im Bundestag zwei Taurus-Anträge der Union abgelehnt worden; danach gab es in Teilen der Fraktion den Wunsch, erst mal nicht mehr so viel über dieses Thema zu reden. Jetzt aber wird von einigen selbstkritisch eingeräumt, dass gerade dieses Schweigen zum eigenen Ukraine-Kurs den Raum für AfD und BSW weiter geöffnet habe. Wer die Ukraine-Unterstützung kritisch sehe, wähle ohnehin das Original, also BSW oder AfD. Merz wolle nun mit einem stärkeren eigenen Profil, auch gegen den Kanzler, gegenhalten. Ein Unionsabgeordneter sagt: „Merz bereitet sich aufs Kanzleramt vor.“ Es sei nicht abgesprochen gewesen, dieses Thema noch einmal zu bringen. Aber Merz setze jetzt auf die großen Linien, und in Sachen Taurus sei seine Haltung nicht Strategie, sondern Überzeugung.

Von seinem „24-Stunden-Ultimatum“ aber wird Merz jetzt nur noch schwer abrücken können. Sollte Donald Trump die US-Wahl gewinnen und sich die Lage für die Ukraine wegen ausbleibender Waffenlieferungen aus Amerika weiter verschlechtern, stünde ein potenzieller Kanzler Merz vor der Frage, ob er trotzdem Marschflugkörper liefern würde – samt einseitig erhöhtem Eskalationsrisiko für Deutschland. In der SPD wird derweil kalkuliert, Scholz könne sich im Wahlkampf als „Friedenskanzler“ inszenieren, wenn ein Ende des Krieges gelinge – gegen Taurus-Fan Merz.

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