Süddeutsche Zeitung

Kirchen und Coronavirus:Stress am Taufbecken

Sehr viele Eltern haben ihre Kinder im vergangenen Jahr lieber nicht taufen lassen. In diesem Sommer aber herrscht ein Boom - aus Sorge vor der vierten Corona-Welle.

Von Annette Zoch

Bei Irene Geiger-Schaller und Theresa Wilcsek wird es langsam eng im Kalender. Seit Mai taufen die Pfarrerin und die Vikarin der evangelischen Kirchengemeinde Oberhaching an jedem Wochenende zwei bis drei Kinder, so viele wie lange nicht. Denn Oberhaching ist eine eher kleine Gemeinde. Auch Pfarrerin Yvonne Renner aus München-Trudering ist im Taufstress. In zweieinhalb Monaten taufte sie in diesem Jahr so viele Kinder wie sonst in einem halben Jahr.

Als vor ein paar Wochen die Kirchenstatistik für 2020 veröffentlicht wurde, die unweigerlich eine Corona-Statistik ist, klangen die Zahlen dramatisch: Fast halbiert hat sich im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Taufen in der evangelischen Kirche, auf bundesweit 81 000. In der katholischen Kirche ging die Zahl nicht ganz so deutlich, aber doch merklich zurück: Von 167 787 Taufen noch 2019 auf 158 983 Taufen im ersten Pandemie-Jahr 2020. Doch mit Blick auf die nächste Statistik, die im Sommer 2022 veröffentlicht wird, ist dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nicht bang: "Derzeit erleben wir auf jeden Fall einen regelrechten Taufboom, weil viele die Feiern während der Corona-Pandemie aufgeschoben haben und jetzt nachholen wollen", sagt er.

An konkreten Zahlen lässt sich das nicht festmachen - noch nicht. Die Matrikelämter der Kirchen, also die Stellen, die die Kirchenbücher führen, melden die sogenannten Kasualien - Taufen, Trauungen, Bestattungen - immer mit Zeitverzögerung. Erst in einem Jahr liegt eine aussagekräftige Statistik für ganz Deutschland vor. Bislang gibt es nur anekdotische Schilderungen aus einzelnen Gemeinden.

Taufen, bevor die vierte Welle kommt

Auch Ralph Saffer, Pastoralreferent für die Nürnberger Gemeinden St. Clemens, St. Hedwig und St. Thomas, erhält vermehrt Taufanfragen. "Angesichts der Sorge vor einer möglichen vierten Welle möchten viele Eltern ihre Kinder noch im Sommer taufen lassen, solange es noch mit mehr Gottesdienstbesuchern und zum Beispiel Gemeindegesang möglich ist", erzählt er. Zwar seien Taufen das ganze Jahr über möglich gewesen - aber eben nur im engsten Familienkreis. In der Gemeinde von Irene Geiger-Schaller in Oberhaching haben ebenfalls viele Eltern Termine vom vergangenen auf dieses Jahr verschoben. "Was auch auffällig ist: Viele Anfragen kommen sehr spontan, manchmal nur mit zwei Wochen Vorlauf", sagt sie. Corona macht flexibel - solange die Inzidenzen niedrig sind, greift man zu.

Und in diesem Jahr auch in den Sommerferien, wenn es in normalen Zeiten sonst ruhiger wird und nicht nur Gläubige, sondern auch Priester, Diakone und Organisten gerne Urlaub machen. Das stellt manche Gemeinden derzeit vor personelle Herausforderungen. Ralph Saffer sucht zum Beispiel gerade einen Vertretungsorganisten für eine Taufe. Und noch einen Corona-Effekt stellt er fest: Viele Täuflinge sind etwas älter als sonst. Bis so ein Lockdown mal vorbei ist, hat das Kind gerne schon mal den ersten Geburtstag hinter sich.

Die Täuflinge sind entweder ganz klein oder schon deutlich älter

Diese Erfahrung macht auch Yvonne Renner von der Friedenskirche Trudering: "Die Kinder sind entweder ganz klein, nur drei Monate alt. Die Eltern wollen eine Taufe, solange es noch geht. Oder die Kinder sind deutlich älter, von eineinhalb bis zweieinhalb." Für ältere Kinder sei es oft schwieriger, einem ganzen Gottesdienst zu folgen. Für sie macht Pfarrerin Renner deshalb gerne eine "Trockentaufe" zur Probe. "Damit sie sich schon mal an mich im Talar gewöhnen." In Trudering wird außerdem im Pfarrgarten getauft, "da stört es nicht, wenn die Kinder auch mal rumrennen", sagt Renner.

Auf den Taufritus selbst hat Corona ebenfalls Auswirkungen. Tobias Tiedeken ist katholischer Diakon in St. Laurentius in Warendorf im Bistum Münster. Wie in vielen Bistümern wird auch in seiner Gemeinde nun ein wenig anders getauft als sonst. Statt mit den Eltern zum Taufbrunnen zu gehen und dann wieder zum Altar, bleiben die Familien am Platz sitzen. Vor den Eltern wird ein Tisch mit einer Taufschale aufgebaut. Wenn Tiedeken den Kopf des Babys mit Wasser übergießt, tut er das mit weit ausgestrecktem Arm - um den Abstand zu wahren. Das Kreuzzeichen auf die Stirn des Getauften machen die Eltern ausnahmsweise selbst, genauso die Salbung mit Chrisam-Öl. "Der Kern des Taufritus ist das Übergießen mit Weihwasser und die Taufformel", sagt Tiedeken. "Alles andere drumherum ist schön und hat auch seine Bedeutung, aber ist nicht unbedingt nötig."

Der Diakon stellt allerdings keinen höheren Andrang fest - im Schnitt werden in seiner Gemeinde pro Jahr um die 70 Kinder getauft. Auch 2021 komme man wohl auf etwa 66 Kinder - aber die Taufen ballen sich derzeit. "Aus Corona-Gründen konnten wir bis zum Sommer nur Einzeltaufen anbieten", sagt Tiedeken. "Wir taufen mittlerweile samstags zu ganz verschiedenen Tageszeiten, um alles zu schaffen. Für viele Familien sind die Einzeltaufen aber besonders schön."

Die meisten Eltern, die zum Taufgespräch zu ihm kommen, sagten von sich selbst, sie seien kirchenfern, sagt Tiedeken. Die christlichen Werte fänden sie dennoch wichtig. "Ich freue mich über jede Taufe, und wenn man die Familien dann bei der Tauffeier gerührt in der Bank sitzen sieht, dann freut mich das. Auch da wirkt der Heilige Geist." Für ihre in der Pandemie geborenen Kinder wählten die Eltern derzeit vor allem "starke Taufsprüche", erzählt Pfarrerin Renner. "Mut, Kraft, Zuversicht - das sind die Themen, die den Eltern jetzt wichtig sind." Besonders ein Vers, der jahrelang kaum ausgewählt wurde, sei beliebt. Er steht im zweiten Brief des Paulus an Timotheus: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit."

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