Tatverdächtiger:"Starker Ausländerhass"

Bei den Ermittlungen zu dem Anschlag in Bottrop verdichten sich die Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv des Mannes.

Von Benedikt Müller

In Bottrop brechen Schausteller am Mittwoch die Zelte eines Festes ab, das nie stattgefunden hat. Weiße Pavillons hatte sich die Stadt auf ihren zentralen Berliner Platz stellen lassen, mit Biertischen und Heizpilzen darin, wollte sie doch an Neujahr die Ernennung zur Stadt vor 100 Jahren feiern. Doch dieses Fest hat Bottrop abgesagt, "angesichts der furchtbaren Ereignisse" in der Silvesternacht, wie Oberbürgermeister Bernd Tischler (SPD) sagt. Er sei "entsetzt und tief getroffen."

Als die Menschen auf den Straßen gerade den Jahreswechsel feierten, soll ein 50-Jähriger aus Essen sein Auto gezielt in vier Passantengruppen gesteuert haben, die ihm ausländisch erschienen. Dabei wurden mindestens acht Menschen verletzt, eine Frau aus Syrien schwebte zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Ein Richter erließ inzwischen Haftbefehl gegen den Mann, wegen mehrfachen versuchten Mordes. Der 50-Jährige, der vor seiner mutmaßlichen Amokfahrt in psychiatrischer Behandlung war, sitze mittlerweile in Untersuchungshaft, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit.

Mann fährt in Fußgängergruppe

Polizeiabsperrung, mitten in Bottrop: Auf dem Berliner Platz soll der Tatverdächtige seinen Wagen in eine Fußgängergruppe gesteuert haben.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

In den Vernehmungen habe der mutmaßliche Täter Ausländer "für alles verantwortlich" gemacht, sagt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch. "Da war offensichtlich ein starker Ausländerhass." Bislang gebe es allerdings keine Hinweise, dass der 50-Jährige Teil eines rechtsextremen Netzwerks sein könnte. Doch noch ermitteln die Behörden, durchsuchen die Wohnung des mutmaßlichen Täters, die Polizei befragt Zeugen in Bottrop.

Vor der Festbühne der abgesagten Stadtjubiläums-Feier liegen am Mittwoch noch Böllerreste, Zigarettenschachteln und Holzstäbe von Raketen. Wer Silvester zentral in der Stadt feiern will, der komme Jahr für Jahr hierher, erzählen die Passanten auf dem Berliner Platz, einem der Tatorte zwischen dem alten Postamt und dem Busbahnhof, mit Cafés und Apotheke, Supermarkt und Arztpraxen.

Hier ist der mutmaßliche Täter laut den Behörden kurz nach Mitternacht mit seinem silberfarbenen Mercedes in eine Menschengruppe gefahren. Er traf eine syrische Familie mit zwei Töchtern, eine Frau aus Afghanistan mit ihrem vierjährigen Sohn. Von diesem Moment an fahndete die Polizei nach dem Autofahrer. Bereits wenige Minuten zuvor hatte der mutmaßliche Täter demnach im Westen Bottrops versucht, auf einer Einfallstraße einen einzelnen Fußgänger anzufahren. Der Passant konnte sich gerade noch retten.

Straftaten durch Rechtsextreme

Der Vorfall von Bottrop wirft Fragen nach rechtsextremistisch motivierter Gewalt in Deutschland auf. Der Täter soll zwar die Absicht gehabt haben, Ausländer zu töten, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), Hinweise auf eine Verbindung zur rechtsextremen Szene gebe es bislang jedoch keine. Damit könnte der Täter in eine Kategorie fallen, die im jüngsten Verfassungsschutzbericht als "weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial" bezeichnet wird. Gemeint sind Menschen, die keiner rechtsextremen Organisation oder Partei angehören. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte bei der Vorstellung des Berichts im Juli 2018, diese Gruppe stelle den Verfassungsschutz vor neue Herausforderungen. Täter weisen oft "keine 'rechtsextremistische Karriere' auf, lassen sich keiner festen Struktur zuordnen und radikalisieren sich in kürzester Zeit", sagte Seehofer. Insgesamt vermutet der Verfassungsschutz etwa 24 000 Rechtsextremisten in Deutschland. Damit ist die Szene um rund 900 Personen gewachsen. Mehr als die Hälfte gilt als gewaltorientiert, was etwa regelmäßige Waffenfunde belegen. Mit 29 500 gibt es zwar mehr Linksextremisten, allerdings wird ein sehr viel geringerer Anteil von ihnen (9000) als gewaltorientiert eingestuft. 2017 verübten Linksextremisten 499 Körperverletzungen, Rechtsextremisten 904. Bei den Motiven für rechtsextremistische Gewalt handelt es sich oft um rassistische oder antisemitische Einstellungen. 2016 wurden 153 Asylunterkünfte Ziel rechtsextremistischer Angriffe. Ein Jahr später waren es 42, nach wie vor machen fremdenfeindliche Gewalttaten aber den Großteil der Gewaltdelikte aus: 774 von 1054, so die im Verfassungsschutzbericht aufgeführten Zahlen des Bundeskriminalamtes. Insgesamt sank die Anzahl der rechtsextremistischen Straftaten von 22 471 auf 19 467. Dieser Rückgang sollte dennoch nicht über das anhaltend hohe Gefährdungspotenzial hinwegtäuschen, heißt es im Verfassungsschutzbericht. tpa

Die mutmaßliche Amokfahrt erschüttert eine Stadt, in der gut jeder fünfte der 116 000 Einwohner einen Migrationshintergrund hat. Der 38-jährige Hamdi Salah ist am Mittwoch aus der Nachbarstadt Gladbeck nach Bottrop gefahren, er war auch schon am Neujahrstag zur Gedenkminute auf den Berliner Platz. "Das ist das Mindeste, was man tun kann", sagt der Sohn eines einstigen Gastarbeiters. Für Salah ist die mutmaßliche Amokfahrt ein trauriges Beispiel dafür, dass die Stimmung gegenüber Zuwanderern in ganz Deutschland schlecht geworden sei. "Als Migrant hat man die Arschkarte gezogen", schimpft er, allzu oft würden alle über einen Kamm geschoren.

Die Ermittler kennen im Bottroper Fall mittlerweile die Identitäten der Verletzten. Demnach flüchtete der mutmaßliche Täter vom Berliner Platz die wenigen Kilometer zurück in seine Heimatstadt Essen. Dort soll er einen Menschen mit türkischen Wurzeln angefahren und ihn am Fuß verletzt haben. Und auch dort habe er versucht, in eine Fußgängergruppe hineinzusteuern, die an einer Bushaltestelle gewartet hatte. Doch sei er dort so auffällig gefahren, sagt Minister Reul, "dass offensichtlich die Leute das geahnt haben und sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten". Eine Straße weiter hielt die Polizei den Mann nach eigenen Angaben an und nahm ihn fest. Bereits da habe sich der Mann fremdenfeindlich geäußert.

Bislang gehen die Ermittler davon aus, dass der Tatverdächtige spontan gehandelt hat, ohne genauen Plan. Dies seien jedoch nur vorläufige Erkenntnisse, sagt Reul. "Da muss man abwarten, was die Untersuchungen ergeben." Der mutmaßliche Täter sei früher in psychiatrischer Behandlung gewesen, polizeilich sei er zuvor aber nicht in Erscheinung getreten.

Damit reiht sich der Fall in eine traurige Folge ein, die Behörden in Nordrhein-Westfalen zunehmend besorgt. In Münster fuhr im vergangenen April ein 48-Jähriger mit einem Kleinbus in eine Passantengruppe, damals starben vier Menschen und der Fahrer, im Oktober dann erschütterte ein Brandanschlag und eine Geiselnahme im Hauptbahnhof die Stadt Köln. Und im Dezember steuerte ein Fahrer in Recklinghausen sein Auto in eine Menschengruppe an einer Bushaltestelle, dabei starb eine Frau. Alle mutmaßlichen Täter hatten psychische Probleme, waren den Behörden aber nicht als mögliche Gefährder bekannt.

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