Süddeutsche Zeitung

Tarifrunde im öffentlichen Dienst:Zahlt sich die Anerkennung in der Krise aus?

Krankenpflegerinnen oder Müllfahrer wurden in der Corona-Krise viel gelobt. Nun wollen sie für ihre Arbeit entsprechend besser entlohnt werden. Doch die Krise sorgt auch für eine prekäre Haushaltslage bei den Arbeitgebern.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Man macht sicherlich nichts falsch, wenn man das, was in den nächsten Monaten auf Gewerkschaften und Arbeitgeber im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen zukommt, unter der Kurzformel "Es ist kompliziert" zusammenfasst. Eine Tarifrunde steht an für etwa 2,3 Millionen Arbeitnehmer, hinzu kommen etwa 225 000 Bundesbeamte, auf die ein Abschluss übertragen werden soll. Es geht um Erzieherinnen, Bus- und Tramfahrer, die Müllabfuhr oder Pflegerinnen im Krankenhaus. Grob gesprochen also um jene Arbeitnehmer, die in der Corona-Krise mit vielen warmen Worten und dem ein oder anderen Balkonapplaus bedacht wurden.

Nun soll sich, so wollen es die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund, das Loben und Preisen materialisieren - in Form einer Tariferhöhung. Rückenwind erhoffen sich die Gewerkschaften auch durch den demografischen Wandel; in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes herrscht Fachkräftemangel, und ohne einigermaßen wettbewerbsfähige Gehälter, so die Argumentation der Arbeitnehmerseite, wird sich das auch nicht ändern.

Die in der Krise gestiegene Wertschätzung steht allerdings in umgekehrtem Verhältnis zur Haushaltslage. "Die finanzielle Situation der Kommunen ist wegen der Covid-19-Pandemie dramatisch", sagt Niklas Benrath, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), der SZ und verweist auf erhebliche Einbußen bei den Gewerbesteuern und darauf, dass kommunale Einrichtungen wie Museen, Bäder oder der Nahverkehr enorm belastet seien, weil ihre Erlöse während des Lockdowns komplett weggebrochen seien. Nach dem ersten unverbindlichen Sondierungsgespräch vergangene Woche forderte VKA-Präsident Ulrich Mädge, der Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber, die Gewerkschaften auf, "fair zu agieren".

Betriebsversammlungen tabu: Gewerkschaften können kaum die Stimmung an der Basis ausloten

"Aus unserer Sicht", sagt dagegen Verdi-Chef Frank Werneke der SZ, "wäre es ein Zeichen der Fairness der Arbeitgeber gewesen, den Beginn der Tarifrunde auf den Beginn des nächsten Jahres zu verschieben - mit Rücksicht auf die durch die Corona-Sperren erschwerte demokratische Willensbildung in den Gewerkschaften und mit Rücksicht auf die Belastungssituation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst." In der Tat hatten die Gewerkschaften gehofft, bei dem Termin vergangene Woche eine Verschiebung um ein halbes Jahr aushandeln zu können - freilich eine, die mit einer Einmalzahlung versüßt wird. Das aber lehnte die Arbeitgeberseite ab. Prompt warnte der Bundesvorsitzende und Verhandlungsführer des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach: "Wir wollen keinen Arbeitskampf, werden aber notfalls nicht davor zurückschrecken."

Ohne Verschiebung geht nun alles seinen gewohnten Gang - soweit es das in Pandemiezeiten überhaupt gibt. Denn eigentlich stellen die Gewerkschaften ihre Forderung nach einer ausgiebigen Befragung der Basis vor, über Betriebsversammlungen oder Zusammenkünfte von Vertrauensleuten. Mit Zusammenkünften sah es zuletzt allerdings schlecht aus, weshalb die Arbeitnehmerseite in Verzug ist. Nun sollen Online-Formate es richten in Sachen Willensbildung; am 25. August wollen Verdi und Beamtenbund dann mitteilen, welche Lohnsteigerung sie zu erstreiten gedenken, bevor am 1. September die erste Verhandlungsrunde stattfindet.

Zumindest in Kliniken oder Kitas ist die Drohung mit Streiks derzeit wohl kein Druckmittel

Womit schon der nächste komplizierte Punkt berührt ist: Trivial dürfte es in Corona-Zeiten für die Gewerkschaften nicht werden, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ein Arbeitskampf mit Abstandsgebot ist das eine, eine Kita zu bestreiken, die gerade wieder geöffnet hat, oder eine Klinik, wenn eine zweite Infektionswelle anrollt, das andere. Die Kulisse für all das dürften zu allem Überfluss die hohen Kurzarbeits- und steigenden Arbeitslosenzahlen sein. VKA-Hauptgeschäftsführer Benrath erwähnte nach der ersten Sondierung sicher nicht zufällig, dass sich gerade in Krisenzeiten zeige, "dass die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst signifikant sicherer sind als in der Privatwirtschaft". Zudem sagte er, dass die Arbeitgeber zu Beginn der Krise "im erheblichen Umfang in Vorleistung" getreten seien. Wegen einer eigens geschaffenen tariflichen Regelung bekämen kurzarbeitende Beschäftigte im öffentlichen Dienst "nahezu ihr normales Nettoentgelt".

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Verdi-Chef Werneke aber gibt sich unbeeindruckt. Sie hätten überhaupt kein Verständnis dafür, "dass die Leistung der Beschäftigten nicht angemessen honoriert werden soll", sagt er. Deutschland sei bislang auch deshalb so gut durch die Corona-Krise gekommen, weil der öffentliche Dienst funktioniere, "dank der Menschen, die dort arbeiten". Das werde von der Bevölkerung wahrgenommen, und er sei optimistisch, "dass diese Anerkennung bis zum Herbst und darüber hinaus anhält".

Sowohl für Werneke als auch für VKA- Präsident Mädge ist es die erste kommunale Tarifrunde ihrer Amtszeit. Dass sie sich deshalb gegenüber ihren Leuten bewähren müssen, dürfte die Verhandlungen nicht gerade vereinfachen. Den vorangegangenen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen hatten noch ihre Vorgänger verhandelt, Frank Bsirske für Verdi und Thomas Böhle für den VKA, die schon viele gemeinsame Stunden an Verhandlungstischen verbracht haben. Damals einigten sie sich darauf, dass die Entgelte in drei Stufen um durchschnittlich 7,5 Prozent steigen sollten. Die Nachfolger werden vermutlich mit deutlich anderen Zahlen hantieren müssen. Nach der ersten Sondierung sprach Werneke davon, dass sie ein reales Lohnplus anstrebten - also eines oberhalb der Inflation. Die lag im Mai bei 0,6 Prozent.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2020/hij
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