Öffentlicher Dienst:Das Virus entzweit die Tarifparteien

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Verdi fordert von den Bundesländern einen Mindestbetrag für eine Lohnerhöhung, um Bezieher niedriger Einkommen zu unterstützen. (Foto: Jan Zawadil/imago)

Die Gewerkschaften fordern mehr Geld für Hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Bundesländer. Doch die Arbeitgeber dämpfen wegen der angespannten Haushaltslage die Erwartungen. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit bei den Verhandlungen.

Von Henrike Roßbach, Berlin

In Sachen Tarifstreit beanspruchen derzeit die Lokführer alle Aufmerksamkeit für sich. Im Schatten des Bahnstreiks aber beginnt diese Woche eine weitere große Tarifrunde: die für den öffentlichen Dienst der Länder. Am Donnerstag wollen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Beamtenbund (DBB) ihre Entgeltforderung bekannt geben, erstmals verhandelt wird am 8. Oktober. Das Problem: Die Beschäftigten weisen auf die Strapazen durch die Pandemie hin - und die Länder auf ihre strapazierten Haushalte.

"Wir werden keine Reallohnverluste hinnehmen", sagte DBB-Chef Ulrich Silberbach der Süddeutschen Zeitung. "Die Inflationsrate steigt, die Kolleginnen und Kollegen der Länder haben in der Corona-Krise Hervorragendes geleistet. Sie werden jetzt nicht allein die Zeche der Pandemie bezahlen und über Einkommensverzicht die Haushaltssanierung schultern." Der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), der für die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) verhandelt, versucht hingegen, die Erwartungen zu dämpfen: "Die Spielräume sind gering", sagt er der SZ. Die Pandemie habe die Länder nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch finanziell getroffen. Sie hätten große Ausgaben tätigen müssen, um das Gesundheitswesen zu stärken, die Wirtschaft zu stützen, Kommunen unter die Arme zu greifen und den Bürgern zu helfen. "Die Gesamtverschuldung ist gestiegen", so Hilbers.

Gleichzeitig kämen wegen der schwächeren wirtschaftlichen Lage strukturelle Steuermindereinnahmen auf sie zu. Die Wertschätzung für die Beschäftigten sei hoch. "Aber der Staat muss trotzdem seine Handlungsfähigkeit bewahren." Mittelfristig müssten die Länder zurück auf einen Konsolidierungskurs.

Die Frage also ist: Was ist drin für die Beschäftigten? Betroffen von einem Abschluss sind laut TdL 845 000 direkt Tarifbeschäftigte der Länder, dazu 1,2 Millionen Beamte und 875 000 Versorgungsempfänger, also Pensionäre. Ein Prozent mehr Gehalt koste die Länder für die Angestellten demnach mehr als 460 Millionen Euro, mit Übertragung auf die Beamten seien es 1,4 bis 1,5 Milliarden, so Hilbers.

Nur 15 Bundesländer sitzen am Tisch

Als Orientierungspunkt für die Länderrunde gilt meist der vorangegangene Abschluss von Bund und Kommunen. Der lag 2020 bei 1,4 Prozent mehr Gehalt - mindestens aber 50 Euro - von April 2021 an, plus weitere 1,8 Prozent im April 2022. Hinzu kamen Zuschläge für Beschäftigte in der Intensivmedizin, der Pflege oder den Gesundheitsämtern sowie eine Corona-Prämie. In der Länderrunde könnte zusätzlich die gestiegene Inflation eine Rolle spielen. Verdi-Chef Frank Werneke etwa sagt, dass sich gerade bei niedrigen und mittleren Einkommen höhere Preise, etwa für Energie, stark bemerkbar machten. Auch deshalb liefe es darauf hinaus, dass die Gewerkschaften neben einer prozentualen Lohnforderung auch einen Mindestbetrag verlangen würden, sagte er der SZ - was für kleine Einkommen eine überproportionale Erhöhung bedeuten würde.

Auf einen Tarifabschluss wie vor drei Jahren - der damalige Verdi-Chef Frank Bsirske sprach vom "besten Ergebnis seit vielen Jahren" - dürften in der Tat nicht mal die Gewerkschaften hoffen. Damals holten sie in drei Stufen acht Prozent mehr Geld heraus; die Länder bezifferten die Kosten auf 7,3 Milliarden Euro - ohne Übertragung auf die Beamten.

Dabei sind Tarifrunden im öffentlichen Dienst in der Regel kompliziert. Selten geht es nur um mehr Geld, meistens auch um das ohnehin diffizile Tarifgeflecht. Die Vertracktheit fängt mit der Frage an, wer von dieser Länderrunde überhaupt betroffen ist. Es geht damit los, dass nur 15 Länder dabei sind. Hessen trat 2004 im Zuge von Tarifstreitigkeiten aus der TdL aus. Mittelfristig könnte dem Arbeitgeberbündnis ein weiteres Mitglied abhandenkommen: Im Herbst 2020 beschloss die Mitgliederversammlung der TdL, Berlin rauszuwerfen. Der Grund: Das Land hatte beschlossen, seinen Bediensteten weiterhin die sogenannte Hauptstadtzulage zu zahlen, was aus Sicht der anderen Länder gegen die Satzung der TdL verstößt.

Neben dem Streit ums Geld vor der Kulisse der Pandemie könnte in den Ländern dieses Mal der Wunsch der Arbeitgeber für Ärger sorgen, über den "Arbeitsvorgang" zu verhandeln. Dieser beschreibt das, wofür ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst zuständig ist - zum Beispiel die Bearbeitung einer Akte. Dabei gilt: Je anspruchsvoller die Arbeitsvorgänge, desto höher die Entgeltgruppe. Das klingt nach einem öden Verwaltungsdetail, Verdi aber übersetzt dieses Ansinnen kurzerhand mit "Angriff auf das gesamte Eingruppierungssystem".

Je nach "Arbeitsvorgang" werden die Beschäftigten in Entgeltgruppen eingeteilt

Den Arbeitgebern geht es um die "großen Arbeitsvorgänge". Anstatt einen Verwaltungsvorgang in kleine Arbeitsschritte zu zerlegen und zum Teil verschiedenen Leuten zuzuweisen, sind etwa Justizfachangestellte inzwischen oft für den kompletten Vorgang zuständig: vom Akteneingang in der Poststelle bis zur finalen Bearbeitung. Weil dabei naturgemäß unterschiedlich komplexe Tätigkeiten anfallen, stellt sich die Frage: In welche Entgeltgruppe wird so jemand einsortiert?

Das Bundesarbeitsgericht habe entschieden, sagt Verdi-Tarifexperte Oliver Bandosz, dass diese Beschäftigten grundsätzlich höher eingruppiert werden müssten. Jedenfalls dann, wenn sie in einem "rechtserheblichen Ausmaß" - dafür reichten 13 oder 15 Prozent - schwierige Tätigkeiten erledigten. Die Eingruppierungsverfahren von Angestellten beschränkten sich aber allein auf den Justizbereich, sagt Verdi-Chef Werneke. Dass die Arbeitgeber das Thema derart in den Vordergrund rücken, hält er daher für unangemessen.

Die Gewerkschaften wollen verhindern, dass der Arbeitsvorgang überhaupt thematisiert wird in den Tarifgesprächen. TdL-Chef Hilbers aber sagt: "Wir wollen, dass das, was früher mal mit den Gewerkschaften vereinbart wurde, weiterhin gilt: Dass Beschäftigte mit anspruchsvollen Tätigkeiten mehr verdienen als diejenigen, die weniger schwierige Arbeit verrichten." Dafür aber brauche man kleine Bewertungseinheiten statt eines großen Arbeitsvorgangs. Es könne doch nicht gerecht sein, so Hilbers, dass schon ein geringer Anteil anspruchsvoller Aufgaben reiche, um insgesamt in eine höhere Entgeltstufe eingruppiert zu werden. "Mit einer leistungsgerechten Bezahlung ist das nicht vereinbar."

Geht es nach der TdL soll deshalb im Tarifabschluss klargestellt werden, dass trotz Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine untergeordnete komplizierte Tätigkeit nicht mehr reicht für eine automatische Hochstufung. Gleichzeitig hat die TdL auch das Bundesverfassungsgericht angerufen, um die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu überprüfen.

Werneke dagegen sagt: "Wenn wir in eine Richtung gingen, wie die TdL das fordert, dann würde das Tür und Tor öffnen für eine niedrigere Eingruppierung von Zehntausenden Kolleginnen und Kollegen - oder zumindest für das Einfrieren des Gehaltsniveaus." Allein schon durch die Digitalisierung würden Arbeitsabläufe stärker integriert. "Die tayloristische Aufteilung von Arbeit in viele kleine Schritte gehört der Vergangenheit an."

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