Tarifrecht im Baugewerbe:Nahles hilft und will es nicht gewesen sein

Baustelle

700 000 Bauarbeiter gibt es in Deutschland - der Urlaub von vielen wäre durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zweifelhaft geworden.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Auf Drängen von Arbeitgebern und IG Bau lässt die Arbeitsministerin ein Gesetz schreiben, das ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aushebelt. Sie rettet damit unter anderem den Urlaub und die Ausbildung am Bau.

Von Detlef Esslinger

Nur mal so als Frage: Kann Folgendes sein? Eine Ministerin schreibt ein Gesetz, von dem Hunderttausende profitieren werden, und sie macht keinerlei Reklame dafür? Ja, mehr noch, sie legt nicht den geringsten Wert darauf, in der Öffentlichkeit als die Urheberin dieses Gesetzes zu gelten. So etwas kommt in der Politik sehr, sehr selten vor. Aber manchmal offenbar doch. Das "Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe" zeigt, welch trickreiches Geschäft die Gesetzgebung gelegentlich ist.

Alles an diesem Gesetz ist ungewöhnlich. Der Anlass, die Geschwindigkeit, das Verfahren, der Umfang. Am 21. September erklärte das Bundesarbeitsgericht drei Entscheidungen des Bundesarbeitsministeriums für unwirksam. In ihnen hatte das Ministerium in den Jahren 2008, 2010 und 2014 drei Tarifverträge des Baugewerbes für allgemeinverbindlich erklärt. Eine solche Erklärung führt dazu, dass sich auch all jene Firmen an diese Tarifverträge halten müssen, die sie nicht unterschrieben haben. Die drei Tarifverträge regeln die Sozialkassen des Baugewerbes. Diese sind ein Unikum in der deutschen Industrie, und sie können nach Meinung von Ministerium, Industriegewerkschaft Bau und Arbeitgeberverbänden nur funktionieren, wenn wirklich alle Baufirmen an ihrer Finanzierung mitwirken müssen.

Das Urteil hätte die Sozialkassen des Baugewerbes in ihrer Existenz bedroht

Denn das Baugewerbe unterscheidet sich sehr von anderen Branchen. So hat dort jeder zweite Beschäftigte innerhalb von zwölf Monaten mehrere Arbeitgeber. Würde man immer nur den Resturlaub nehmen können, den man jeweils noch hat - nie käme einer etwa auf drei zusammenhängende Wochen Urlaub. Die Sozialkasse (Soka) ermöglicht dies über eine Art Fonds. Eine weitere Besonderheit ist die äußerst geringe Umsatzrendite; sie liegt im Schnitt zwischen einem halben und einem Prozent. Viele Betriebe sparen deshalb, wo sie nur können; die wenigsten bilden aus. Würde die Soka Bau nicht die verbliebenen Ausbildungsbetriebe über ein Umlageverfahren bezuschussen - die Ausbildung in der Branche bräche zusammen.

Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom September lösten daher Entsetzen aus, sowohl bei der IG Bau als auch bei den Arbeitgebern. Sie befürchteten das Ende der Soka Bau, wenn viele Firmen sich nun aus deren Finanzierung zurückziehen könnten - oder gar, noch schlimmer, die Rückzahlung längst gezahlter Beiträge verlangten. Wie kämen in einem solchen Fall künftig 700 000 Bauarbeiter zu bezahltem Urlaub, wie kämen 35 000 Azubis zu ihrer Ausbildung? Die Richter störten sich nicht an der Soka als solcher. Sie fanden jedoch, das Arbeitsministerium habe die Tarifverträge dazu am geltenden Recht vorbei für allgemeinverbindlich erklärt.

Ende Oktober hatten Gewerkschafter und Arbeitgeber daher einen Termin bei Ministerin Nahles. Das Ziel: schleunigst ein neues Recht zu schaffen. Nahles versprach einen "harten Schlag", eine Lösung, die keinen "Schönheitspreis" gewinnen werde. So steht es in einem Protokoll, dass einer der Teilnehmer angefertigt hat.

Der "harte Schlag" ist nun ein Gesetz, das aus 18 Seiten plus 694 Seiten Anhang besteht. Es kopiert quasi alle Tarifverträge, die je zur Soka Bau geschlossen worden waren, in das Gesetz hinein. Es legt sogar fest, dass alle Bestimmungen dieser Tarifverträge "unabhängig davon" gelten, ob sie einst "wirksam abgeschlossen wurden". Anders gesagt: Diesem Gesetz ist es völlig egal, ob an den Tarifverträgen womöglich rechtlich etwas auszusetzen wäre. Ihr Inhalt soll jetzt einfach gelten, basta.

Die Basta-Lösung war nach Meinung von Nahles und ihren Gesprächspartnern die erste Voraussetzung, um die Soka Bau zu retten. Die zweite: dass das Gesetz sehr bald kommt. Denn Soka-Vorstand Gregor Asshoff sagt der Süddeutschen Zeitung, es seien bereits "in großer Zahl" Rückzahlungen von Beiträgen verlangt worden; mehrere Anwaltskanzleien hätten darin ein Geschäftsmodell entdeckt. Nahles schlug in der Runde im Oktober vor, ihr Ministerium werde das Gesetz zwar schreiben - ins Parlament solle es jedoch nicht von ihr, sondern von der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion eingebracht werden. Sie werde das mit den Fraktionschefs Thomas Oppermann und Volker Kauder besprechen. Der Vorteil: So müsse sich nicht zunächst das Kabinett damit befassen, so müsse auch keine Stellungnahme des Bundesrats eingeholt werden - so spare man bis zu acht Wochen Zeit. All das steht in dem Protokoll über die Runde. Im Arbeitsministerium werden die Angaben darin nicht bestritten; dass es jedoch ein Gesetz ist, das ihre Beamten verfasst haben, kann Andrea Nahles selbstredend nicht hinausposaunen. Ihr Haus habe eine "Formulierungshilfe" erstellt, lässt sie auf Anfrage mitteilen.

Publizität wurde bei dem Thema nicht gesucht. "Alle Teilnehmer des Spitzengesprächs waren sich einig, dass das Thema nicht öffentlich gemacht werden solle, solange der Gesetzentwurf nicht vorliege", steht in dem Protokoll. Wenn man heute im Kreis der Beteiligten nachfragt, heißt es, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sei so überraschend gekommen, danach habe man sich "erst mal sammeln müssen". Zudem lag auf der Hand, dass schon lange kein Oberster Gerichtshof so ausgehebelt wurde wie hier; hehrer Zweck hin oder her. Die Runde bei Nahles verständigte sich darauf, das Gesetz "nicht als politische Angelegenheit zu bewerten, sondern allein als eine notwendig gewordene technische Korrektur". Die Fraktionschefs Kauder und Oppermann haben es inzwischen in den Bundestag eingebracht. Am 15. Dezember war die erste Lesung. Ende Januar soll der Bundestag es beschließen, im Februar könnte es in Kraft sein.

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