Süddeutsche Zeitung

Präsidentinnen in Afrika:"In Deutschland hat es auch lange gedauert"

Afrika hat mehr als 50 Länder - und nur in Tansania regiert seit Kurzem eine Frau. Der Politikwissenschaftler Alexander Stroh erklärt, woran das liegt.

Interview von David Wünschel

Samia Suluhu Hassan ist seit vergangener Woche Präsidentin von Tansania. Sie übernimmt das Amt von John Magufuli, der überraschend verstorben ist. Hassan, 61, kann das Land nun bis zur nächsten Wahl 2025 führen - und womöglich sogar darüber hinaus. Als Frau an der Regierungsspitze eines afrikanischen Landes ist sie eine große Ausnahme. Warum das so ist, darüber spricht Alexander Stroh, Juniorprofessor für Politik Afrikas und Entwicklungspolitik an der Universität Bayreuth.

SZ: Herr Stroh, Samia Suluhu Hassan ist momentan die einzige afrikanische Frau, die das wichtigste politische Amt ihres Landes innehat - bei mehr als 50 Staaten. Welche afrikanischen Präsidentinnen gab es vor Hassan?

Alexander Stroh: Bisher gab es zwölf, von denen einige jedoch hauptsächlich zeremonielle Funktionen ausgeübt haben. Andere waren nur für einen kurzen Zeitraum Interimspräsidentinnen. Dann gab es zwei Fälle, in denen eine Vizepräsidentin ins Amt nachgerückt ist, weil der Vorgänger verstorben ist: Joyce Banda 2012 in Malawi und nun Samia Suluhu Hassan in Tansania. Aber bis heute ist Ellen Johnson Sirleaf, die in Liberia von 2006 bis 2018 Präsidentin war, die einzige Frau, die in einem afrikanischen Land direkt in das wichtigste politische Amt gewählt wurde.

Sind Frauen denn in anderen wichtigen Positionen - beispielsweise in Kabinetten oder Parlamenten - besser repräsentiert?

Da gibt es sehr große Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern. Es gibt Regierungen wie beispielsweise die äthiopische, die anstreben, eine Parität auf der Regierungsbank zu schaffen. Auch im Parlament haben eine ganze Reihe von Ländern in dieser Hinsicht große Anstrengungen unternommen. In Ruanda und Namibia sind - unter sehr unterschiedlichen politischen Vorzeichen - etwa die Hälfte der Abgeordneten Frauen. Insgesamt ist auf dem afrikanischen Kontinent der Frauenanteil in Regierungen und Parlamenten aber sehr gering. In vielen Ländern bewegt er sich bei zehn bis 20 Prozent.

Woran liegt das?

Ein wichtiger Grund ist, dass alle Frauen, die es in höchste Ämter schaffen, eine lange politische Karriere hinter sich haben. Ellen Johnson Sirleaf beispielsweise war jahrzehntelang in der liberianischen Politik aktiv, unter anderem als Ministerin, hatte berufliche Stationen bei internationalen Organisationen, ist konstant zwischen den USA und Liberia hin- und hergependelt. Der Pool derer, die solche Erfahrungen sammeln, ist sehr klein, und es wird noch eine Weile dauern, bis die junge Generation sich durchsetzen kann. Daher ist es nicht überraschend, dass es nur wenige Frauen bis an die Spitze von Staaten schaffen.

Beschränkt sich das Problem denn auf die höchsten Positionen?

Nein. Es beginnt schon bei der Rekrutierung von Politikerinnen zu einem viel früheren Zeitpunkt. Es gibt zu wenige Bemühungen, Frauen in wichtige politische Ämter zu bringen. Und die Gründe dafür sind vermutlich nicht allzu unterschiedlich von denen, die man auch in Europa finden würde.

Welche Rolle spielen dabei patriarchale Strukturen?

Man sollte auf jeden Fall die Machtinteressen der Herren beachten, die sich in den hohen Positionen bequem eingerichtet haben und davon profitieren, dass die Konkurrenz nicht größer wird. Das kann schon in demokratischen Systemen ein Problem sein. Und in autoritären Systemen kommt es in der Regel darauf an, wie die alten, mächtigen Männer, gleichstellungspolitisch agieren.

Das Beispiel Ruanda haben Sie ja schon angesprochen. Wie kommt es, dass der Frauenanteil im Parlament dort so hoch ist?

Zum einen setzt die Regierung von Paul Kagame sehr stark auf Parität. Dabei handelt es sich jedoch um eine aktive Steuerung, die sicherlich auch dem Eigeninteresse dient und nicht in allen Punkten als demokratisch einzustufen ist. Zum anderen hängt das mit dem Genozid zusammen, bei dem überproportional viele Opfer männlich waren. Weil es in vielen Familien einfach keine Männer mehr gab, wurden Erbrecht, Landrecht und viele andere Gesetze angepasst. Dadurch sind die Strukturen in Ruanda vielleicht etwas weniger diskriminierend gegenüber Frauen als in manch anderen afrikanischen Ländern.

Die liberianische Ex-Präsidentin Sirleaf hat sowohl den Friedensnobelpreis als auch den hoch dotierten Mo-Ibrahim-Preis erhalten, der für vorbildliche ehemalige Regierungschefs afrikanischer Länder vergeben wird. Ist sie ein Beispiel dafür, dass afrikanische Frauen besser regieren als Männer?

Aus einer analytischen Perspektive muss man sagen, es gab schlicht zu wenige afrikanische Staatspräsidentinnen, um festzustellen, wie sich das Geschlecht auf die Qualität des Regierens auswirkt. Ich hoffe, dass wir das in einigen Jahren systematischer vergleichen können. Grundsätzlich glaube ich jedoch, dass Frauen im Großen und Ganzen sehr ähnlich handeln wie Männer in vergleichbaren politischen Positionen.

Würde sich trotzdem etwas ändern, wenn mehr Frauen in Regierungsämter kämen?

Vielleicht würde sich der Regierungsstil etwas unaufgeregter darstellen. Damit wäre in vielen Ländern sicherlich schon etwas gewonnen. Außerdem hat es natürlich eine sehr wichtige Signalwirkung, wenn Frauen solche Ämter ausfüllen. So etwas muss man ja zunächst einmal erfahren, bevor es zur Selbstverständlichkeit werden kann. In Deutschland hat es auch lange gedauert, bis Heide Simonis als erste Ministerpräsidentin ins Amt kam. Und es war ein sehr langer Prozess, bis wir zu der Situation gekommen sind, dass es kaum einen politischen Unterschied mehr macht, ob nun eine Frau oder ein Mann Spitzenkandidat ist.

Die nächsten Wahlen in Tansania finden 2025 statt. Könnte Samia Suluhu Hassan dann Sirleaf nachfolgen und die zweite direkt gewählte Präsidentin Afrikas werden?

Sie hat nun mehr als vier Jahre Zeit, um sich im Amt zu präsentieren. Außerdem gehört sie zur seit der Unabhängigkeit regierenden, dominanten Partei, die bisher alle tansanischen Präsidenten gestellt hat. Wenn sie ihre Partei davon überzeugen kann, dass sie bei der nächsten Wahl als Präsidentschaftskandidatin antreten sollte, hat sie auch gute Chancen, gewählt zu werden.

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