Talentshows:Eine kleine Revolution in Saudi-Arabien

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Beim Volk beliebt, beim Klerus weniger: Unter anderem durch Talentshows will Mohammed bin Salman das Leben in Saudi-Arabien etwas unterhaltsamer machen. (Foto: REUTERS)

Vize-Kronprinz Mohammed bin Salman fördert plötzlich Konzerte und Shows in dem streng konservativen Land. Der Großmufti ist alarmiert, er sieht dem Teufel die Tür geöffnet.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Eine Show mit den besten Tricks zweier amerikanischer Zauberer, gefolgt von einer Operndarbietung, Theater und Tanz - ein wildes Potpourri. In Saudi-Arabien, wo Kino und öffentliche Konzerte bislang de facto verboten waren, kommt es einer Sensation gleich, dass eine solche Veranstaltung stattfinden kann. Sie lockte Ende 2016 Tausende in die King Abdallah Economic City, eine Retortenstadt am Roten Meer, 150 Kilometer von Jiddah entfernt. Auch in der konservativeren Hauptstadt Riad traten schon Protagonisten aus TV-Talentshows vor Publikum auf, ebenso die US-Performance-Gruppe iLuminate. Männer und Frauen saßen bei Vorstellungen gemischt im Auditorium - Familien zwar, aber die sonst zumeist strikte Trennung der Geschlechter war durchbrochen.

Organisiert wurden diese Veranstaltungen von der im Mai 2016 gegründeten General Entertainment Authority. Die Behörde soll eine Unterhaltungsindustrie in dem nicht gerade als Reich des Spaßes bekannten Land aufbauen, finanzieren und regulieren - die Pläne sind Teil der "Vision 2030", mit der Königssohn Mohammed bin Salman, der Vize-Kronprinz, Saudi-Arabien umbauen will. Vergnügungsparks sollen entstehen und Kulturzentren, saudische Sänger bald in ihrer Heimat auftreten können. Bis Frauen auf die Bühne dürfen, dürfte es allerdings noch länger dauern.

Der Streit zeigt die Widersprüche eines Landes, in dem Greise lange eine junge Bevölkerung regierten

Die Pläne des 31-Jährigen, die neben Wirtschaftsreformen auch eine Öffnung der extrem konservativen und verschlossenen Gesellschaft zum Ziel haben, treffen jedoch nicht nur auf Zustimmung. Der Großmufti des Königreichs, Abdulasis Al al-Scheich, 75, warnte am Wochenende im Fernsehen, Kinos und Konzerte würden die Gesellschaft korrumpieren. Sie würden atheistische und verdorbene fremde Einflüsse und die Vermischung der Geschlechter begünstigen. Er hoffe, dass die Verantwortlichen in der Unterhaltungsbehörde die Dinge zum Guten wenden und nicht dem Teufel die Tür öffnen würden.

Der Konflikt spiegelt viel von den Widersprüchen in einem Land wider, in dem Alte und Greise lange über eine sehr junge Bevölkerung regierten; jeder zweite Saudi ist unter 25. Abschottung funktioniert in der vernetzten Welt nicht mehr, die Jugendlichen Saudi-Arabiens surfen auf ihren Mobiltelefonen so viel im Internet wie in keinem anderen Land. Sie fühlen sich von dem Prinzen verstanden, der einst ausländische Diplomaten schockierte, indem er an der Playstation Videospiele zockte, als sie ihm die Aufwartung machten. Doch die Auseinandersetzung zwischen seiner Behörde und dem Großmufti rührt an einer jahrhundertealten Grundfeste der Monarchie: das Bündnis des Hauses Saud mit dem wahhabitischen Klerus. Dieser verleiht dem König, Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina, religiöse Legitimität - und bestimmte im Gegenzug mit seiner puritanischen Auslegung des Islams bisher uneingeschränkt das gesellschaftliche Leben.

Prinz Mohammed will und kann diese Allianz nicht kündigen. Er zeigt sich vielmehr überzeugt, die Mehrheit der Religionsgelehrten durch Dialog für die Modernisierung gewinnen zu können. Nur eine kleine Zahl von Hardlinern sei zu dogmatisch, als dass man mit ihnen reden könne, sagte er dem Magazin Foreign Affairs. Sollten sie die Leute aufwiegeln oder zu Gewalt greifen, wisse man mit ihnen umzugehen. Im April 2016 hatte der Prinz bereits die Kompetenzen der bei vielen jungen Menschen ebenso verhassten wie gefürchteten Religionspolizei stark beschnitten, die Großmufti Abdulasis Al al-Scheich untersteht.

2017, das "Jahr der Unterhaltung"

Der Chef der General Entertainment Authority hat nun 2017 zum "Jahr der Unterhaltung" ausgerufen. Bis Ende Januar werde ein Veranstaltungskalender vorliegen, kündigte Amr al-Madani an. Bald werde es in Jiddah ein Konzert des saudischen Sängers Mohammed Abdo geben. Bislang traten Künstler wie er im benachbarten Ausland auf - vor zumeist ausschließlich saudischem Publikum. Zu Millionen reisen die Bürger des Königreichs nach Bahrain, Dubai, Abu Dhabi, Kairo oder Beirut, um sich zu vergnügen.

Sie geben dabei pro Jahr umgerechnet 20 Milliarden Euro aus - Geld, das künftig die heimische Wirtschaft unabhängiger machen soll vom Öl und dazu beitragen soll, 100 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Familien seien die wichtigste Zielgruppe, auch auf Jugendliche oder auf Frauen zugeschnittene Veranstaltungen soll es geben - natürlich alles im Einklang "mit unseren islamischen und kulturellen Werten sowie unseren Traditionen", wie al-Madani sagt. Mit den Zugeständnissen will man wohl auch der wachsenden Unzufriedenheit entgegenwirken, die durch Kürzungen staatlicher Leistungen für viele Saudis entstanden ist. Ob es auch Kinos geben wird, ließ al-Madani offen. Das müsse gut vorbereitet werden, sagte er. 2017, das Jahr der Unterhaltung, wird also noch ohne Filmvorführungen auskommen müssen.

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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