Taiwans Präsident nach Wiederwahl:Pekings treuer Freund

Nach seiner überraschend deutlichen Wiederwahl will Taiwans Präsident Ma Ying-jeou die wirtschaftlichen Beziehungen zu China ausbauen. Politisch bleibt das Verhältnis zum großen Nachbar allerdings diffus.

Christoph Neidhart, Taipeh

"Zuerst die Wirtschaft, die Politik kommt später", sagte Taiwans Präsident Ma Ying-jeou nach seiner Wiederwahl am Samstagabend. Mit 52 Prozent der Stimmen schlug er seine Herausforderin Tsai Ing-wen deutlicher als erwartet. Die Wahl war zu einem Referendum über den "1992er-Konsens" geworden. So nennt man in Taiwan die stillschweigende Vereinbarung mit Peking, wonach es nur "ein China" gebe, die beiden Seiten sich aber einig sind, dass sie sich nicht einigen können, wofür diese Formel steht: Für Peking heißt es, irgendwann komme es zur Wiedervereinigung. Diese Perspektive lehnt die Mehrheit der Taiwaner ab, doch sind sie sich nicht einig, wie sie sich zu China positionieren sollen.

Supporters of Democratic Progressive Party Chairperson and presidential candidate Tsai Ing-wen cry while watching Tsai on the podium at their campaign headquarters in Taipei

Schmerzhafte Niederlage: In der Wahlkampf-Zentrale der unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-wen weinen deren Anhängerinnen. 

(Foto: Reuters)

Auf der Basis des 1992er-Konsenses hat Ma in seiner ersten Amtszeit mit Peking 16 Abkommen aushandeln lassen, die der zunehmenden wirtschaftlichen Integration Taiwans mit China einen Rahmen geben. Vor allem verbindet die zwei Seiten jetzt ein Freihandelsabkommen.

Kein politischer Ausgleich mit Peking

Darauf will Ma aufbauen. Er dämpfte dagegen die Erwartungen - für viele eher die Befürchtung -, er werde seine zweite Amtszeit zum politischen Ausgleich mit Peking nutzen. Einerseits muss er sich jetzt zurückhalten, da die Opposition gestärkt aus der Wahl hervorgeht, andererseits ist die Führung in Peking noch nicht zu Konzessionen an Taiwan bereit.

Auch treffen werde er die chinesische Führung nicht. Das könnte er nur in seiner Kapazität als "Präsident der Republik China", wie Taiwan offiziell heißt, und nicht etwa als Präsident seiner Partei, der Kuomintang (KMT), die aus der nationalistischen Partei von Maos Gegenspieler Tschang Kai-shek hervorgegangen ist, wie spekuliert worden war. Die Pekinger Führung wird sich aber hüten, irgendetwas zu tun, was einem "Präsidenten der Republik China" nur zu einem Hauch von Legitimierung verhelfen könnte.

Taiwan hat sich mit Ma für die weitere wirtschaftliche Annäherung, für den Tourismus und mehr Austauschstudenten aus China, mithin für eine Festigung des Status quo entschieden. Damit ist auch die in Taiwan schwelende Debatte über die eigene Identität vorläufig entschärft.

Peking und Washington begrüßten Mas Wiederwahl als Zeichen des Willens zu Kontinuität und Stabilität. Doch schrieb eine Hongkonger Zeitschrift kürzlich, mit der wachsenden Beunruhigung in Washington über China möchten die USA auch keine zu freundlichen Beziehungen zwischen Peking und Taipeh.

Die Beziehung zu China dominiert alle politischen Fragen

Die Herausforderin Tsai Ing-wen mied im Wahlkampf zuerst die China-Beziehungen. Sie argumentierte, nur die Industrie und die Elite profitierten von Mas Öffnung. Doch in Taiwan dominieren die Beziehungen zu China alle politischen Fragen. Als sie endlich Stellung nahm, lehnte sie den 1992er-Konsens als "Fiktion" ab. Ohne konkret zu werden, warf sie Ma vor, er habe Teile von Taiwans Souveränität verraten. Das kostete sie viele Stimmen, vielleicht sogar den Sieg, meint Professor Tso Cheng-dong von Taiwans National-Universität.

Vor der Wahl hatten sich viele Unternehmer geäußert: kaum einer unterstützte Ma offen, aber alle mahnten, den 1992er-Konsens nicht aufs Spiel zu setzen. Hat Tsai einen taktischen Fehler begangen, zumal sie als Ministerin für die China-Beziehungen von 2000 bis 2004 dieses Konsens akzeptiert hatte? Sicherheitsexperte Alexander Huang meint: "Sie kann gar nicht anders, das ist ihr tiefer Glaube." Überdies erwarte ihre Demokratisch Progressive Partei (DPP) dies von ihr.

Strategisch denkende Demokraten

Taiwans Wähler bewiesen sich am Samstag als strategisch denkende Demokraten. In Umfragen waren Ma und Tsai fast gleichauf gelegen; James Soong, der dritte Kandidat, kam auf sieben Prozent. Vor 12 Jahren hatte er seiner früheren Partei, der KMT, so viele Stimmen abgenommen, dass der DPP-Kandidat Chen Shui-bien damals gewann. Anhänger der KMT hatten nun gefürchtet, das könnte sich wiederholen. Doch Soongs Anhänger ließen ihren Favoriten in Scharen fallen, um zu Ma überzulaufen. Oder eher: um Tsai zu verhindern.

In der gleichzeitigen Wahl zum Parlament, dem Yuan, verlor die KMT Mandate, sie hält aber weiterhin die absolute Mehrheit. Tsais DPP gewann Sitze; neu zieht mit der Taiwan Solidarity Union eine radikale Unabhängigkeitspartei ins Parlament ein.

Tsai trat nach der Wahl vom Vorsitz der DPP zurück, wie das in der DPP üblich ist. Dennoch ist ihr Abschneiden ein Erfolg. Vor vier Jahren war die Partei nach chaotischen Jahren unter Präsident Chen Shui-bien, der wegen Korruption den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen wird, zersplittert, verschuldet und demoralisiert. Nun ist sie der KMT fast wieder ebenbürtig: das verdankt sie insbesondere Tsai, von der man in der Partei erwartet, sie werde weitermachen. Und in vier Jahren als Favoritin um die Nachfolge Mas antreten.

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