Taiwan und China:Herr Ma und Herr Xi

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Das erste Treffen zwischen einem chinesischen und einem taiwanesischen Präsidenten seit siebzig Jahren war zwar reich an Symbolik - aber fast völlig frei an Fortschritten.

Von Kai Strittmatter, Peking

Der Händedruck wenigstens war Stoff für die Geschichtsbücher: Fast eineinhalb Minuten hielten der Präsident des einen China, Xi Jinping aus Peking, und der Präsident des anderen China, Ma Ying-jeou aus Taipeh, einander an den Händen fest. 70 Jahre lang, seit 1945, hatte es einen solchen Händedruck nicht mehr gegeben zwischen den Führern ihrer beider Parteien, die einst Bürgerkriegsgegner waren: Die Kommunistische Partei KP eroberte 1949 das chinesische Festland und rief dort ihre Volksrepublik aus. Die Kuomintang (KMT) floh daraufhin auf die Insel Taiwan, wo sie die bis heute bestehende sogenannte Republik China regiert.

Vor allem die Pekinger Staatspresse bejubelte das Treffen am Samstag in Singapur als "historisch", als "Meilenstein" und als "Durchbruch". In Taiwan hingegen übte die Opposition scharfe Kritik. Oppositionspolitikerin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei DFP, die allen Umfragen zufolge schon im Januar zur neuen Präsidentin Taiwans gewählt werden wird, sprach von einer "Enttäuschung".

Von einem Durchbruch jedenfalls konnte tatsächlich keine Rede sein. Wie im Vorhinein von beiden Seiten angekündigt, war das Treffen reich an Symbolik, aber fast völlig frei an inhaltlichen Fortschritten; wenn man von einer Hotline für den Krisenfall absieht, die beide Seiten einrichten wollen. "Wir sind noch immer Brüder im Fleische, selbst wenn unsere Knochen zerbrochen sind", sagte Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping zu Beginn des Treffens. China und Taiwan seien "Familienangehörige mit Blutsbanden".

Für Peking gibt es nur ein China, Wiedervereinigung bleibt das Ziel

Das heikle Verhältnis zwischen China und Taiwan ist einer der gefährlichsten Konfliktherde im Fernen Osten. Peking dringt auf Wiedervereinigung, eine Option, die für die überwältigende Mehrheit der Taiwaner nicht infrage kommt. Taiwans Präsident Ma Ying-jeou betonte, "beide Seiten sollten die Werte und die Lebensweise des jeweils anderen respektieren. In den vergangenen 66 Jahren haben beide Seiten unterschiedliche Systeme entwickelt". Das war eine Anspielung darauf, dass Taiwan sich in den letzten drei Jahrzehnten in eine lebendige Demokratie verwandelt hat. Das Wort "Demokratie" allerdings nahm Ma Ying-jeou nicht in den Mund.

Auf Taiwan war das Treffen umstritten. Präsident Ma Ying-jeou trieb in seiner Amtszeit die Annäherung an China voran, der bilaterale Handel liegt mittlerweile bei 200 Milliarden US-Dollar. Vielen Taiwanern geht die Verflechtung mit dem Wirtschaftsriesen China aber zu schnell.

Präsident Ma ist in den letzten Jahren abgestürzt in der Gunst der Wähler, bei der letzten Umfrage standen nur mehr 17 Prozent hinter seiner Politik. Die Opposition wirft Ma vor, das Treffen mit Chinas Xi gesucht zu haben, um sich kurz vor seinem Abgang einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Außerdem sei es ein Versuch, in letzter Minute die katastrophale Lage der Partei Kuomintang kurz vor der Wahl im Januar noch zu drehen.

"Wir hatten gehofft, Präsident Ma werde Taiwans Demokratie, Freiheit und die Existenz der Republik China ansprechen", sagte DFP-Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-wen nach dem Gipfel. "Wichtiger noch: Dass er die Freiheit des taiwanischen Volkes erwähnt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Nichts davon wurde jedoch angesprochen." Peking fürchtet den Wahlsieg der Opposition auf Taiwan, Chinas Führer misstrauen der DFP, die ihre Wurzeln in Taiwans Unabhängigkeitsbewegung hat.

KP-Chef Xi Jinping fand am Samstag freundliche Worte und deutete an, China könne sich eventuell zu Kompromissen bereitfinden, um die Teilnahme taiwanischer Organisationen an internationalen Veranstaltungen zu ermöglichen. Gleichzeitig machte er klar, dass es nur ein China gebe und dass Wiedervereinigung das Ziel bleiben müsse. Ein Sprecher Pekings zitierte nach dem Treffen Xi Jinping mit den Worten, die größte Bedrohung für den Frieden in der Straße von Taiwan seien "taiwanische Unabhängigkeitskräfte, die spalterische Aktivitäten ausführen".

Taiwans Präsident Ma sprach auch die Stationierung von mehr als 1000 Kurz- und Mittelstreckenraketen in chinesischen Landstrichen direkt gegenüber der Küste von Taiwan an, die dort als militärische Einschüchterung verstanden werden. Die Raketen seien Teil einer "umfassenden" Strategie, antwortete Chinas Präsident Xi Jinping: "Sie richten sich nicht gegen das taiwanische Volk." Eine Antwort, die selbst Präsident Ma hinterher als unbefriedigend empfand.

Protokollarische Fragen beherrschten den Gipfel in Singapur. Die beiden Präsidenten, die den jeweiligen Staat des anderen nicht anerkennen, sprachen sich gegenseitig lediglich als "Herr" an. Die Rechnung für das Bankett teilten sich beide Seiten. Es sei denn auch nicht zu teuer geworden, richtete Präsident Ma hernach aus: "Wir haben unsere Getränke selbst mitgebracht." Er hatte mehrere Flaschen des Hirseschnapses von der taiwanischen Insel Quemoy im Gepäck.

Handshake ja, aber getrennte Getränke-Rechnungen: Ma Ying-jeou aus Taipei (links) und Xi Jinping aus Peking. (Foto: Edgar Su/Reuters)
© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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