Taiwan:Insel unter digitalem Bombardement

Die Taiwanesen wählen ihr Staatsoberhaupt und ihr Parlament. Deshalb überschwemmt China die Bürger mit Falschmeldungen. Welche Gefahr das für ihre Demokratie bedeutet, ist den meisten nicht bewusst.

Von Lea Deuber, Taipeh

Supporters of Kuomintang party's presidential candidate Han Kuo-yu attend his election rally in Kaohsiung

Wahlkampf in Taiwan: in der Hafenstadt Kaohsiung im Süden der Insel jubeln Anhänger der Kuomintang-Partei dem Kandidaten Han Kuo-yu zu.

(Foto: Ann Wang/Reuters)

Wenn Tai-Li Wang nachts vor ihrem Computer sitzt, kommen der Professorin die Falschmeldungen manchmal vor wie Seetang. Sie überschwemmen das Internet in Taiwan in diesen Tagen förmlich. Herausfischen lässt sich das Zeug kaum. Und selbst wenn die Betreiber der sozialen Netzwerke Artikel erwischen, die dort nicht hingehören. Irgendetwas davon verfängt immer.

Die Flut an Falschmeldungen, mit der Peking den Inselstaat in den vergangenen Wochen bombardiert hat, haben den Wahlkampf der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan, die dieses Wochenende stattfinden, beeinflusst wie noch nie in der Geschichte der ostasiatischen Demokratie. In Taiwan, dessen Unabhängigkeit nur von einer Handvoll Staaten anerkannt wird, geht es bei Wahlen immer auch um das Verhältnis zur Volksrepublik, die Ansprüche auf die Insel vor ihrer Küste erhebt. Chinas Präsident Xi Jinping drohte erst im vergangenen Jahr mit einer gewaltsamen Eroberung Taiwans.

Doch das ist längst mehr Theater als Realität. Die größte Gefahr sind keine Raketen mehr oder eine militärische Invasion, sondern der Angriff im Verborgenen. Der Versuch, das Vertrauen in die Demokratie von innen zu zerstören und das Land damit langfristig gefügig zu machen. Chinas Wahlbeeinflussung in Taiwan dürfte auch ein Testballon sein für andere Regionen, in denen Peking langfristig hofft, seine Macht auszuweiten - auch in Europa.

Nicht einmal die Hälfte der User erkennt Falschmeldungen

In Taiwan ist das Ausmaß von Chinas Beeinflussung schon heute desaströs für das demokratische System, sagt Wang, die an der Universität Taiwan lehrt. In ihrem Büro stapeln sich die Papierberge mit Belegen über Chinas Attacken. Bevor sie eine Zahl zitiert, besteht sie darauf, die entsprechende Studie noch einmal hervorzusuchen, um die genannte Ziffer mit einem roten Stift zu unterstreichen. Häufig haben bis zu 80 Prozent der Teilnehmer an ihren Untersuchungen von den chinesischen Falschnachrichten gehört, die sie ihnen zum Test vorlegt. Meist ist aber nicht mal die Hälfte in der Lage, sie als Fälschung zu erkennen. Bei jüngeren, progressiveren Wählern ist der Schnitt etwas höher. Viele Taiwanern seien sich aber weiterhin nicht einmal bewusst, welche Dimension die chinesische Desinformationskampagne angenommen hat.

In den gefälschten Nachrichten, die Wang bei ihren Recherchen zuletzt identifizierte, ging es fast immer um die Regierung von Tsai Ing-wen, die mit der Fortschrittspartei DPP seit 2016 das Land regiert und am Wochenende zur Wiederwahl antritt. Vor vier Jahren hatte sie die Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen gewonnen, anders als ihre Vorgänger wieder stärker auf Distanz zur Volksrepublik zu gehen. Tsais Weigerung, eine abgeschwächte Form des Ein-China-Prinzips zu unterstützen, hatte Peking damals veranlasst, die Beziehungen zu Taipei nach ihrem Sieg einzufrieren.

Offiziell gilt zwischen den Ländern seit 1992 ein Konsens, wonach beide zu einem China gehören, aber unterschiedlich auslegen, was das bedeutet. Peking schickt seitdem wieder häufiger Militärschiffe durch die Taiwanstraße. Es hat den politischen Druck auf Staaten erhöht, die an ihren diplomatischen Beziehungen zu Taiwan festhalten und gängelt westliche Firmen, welche die Insel beispielsweise auf ihren Internetseiten als eigenständigen Staat aufführen. Mit wirtschaftlichen Sanktionen versucht es gleichzeitig, Taiwans Unternehmen auszubluten.

Der Erfolg des Informationskrieges, den es systematisch nachweislich seit der Lokalwahl im vergangenen Jahr in Taiwan führt, hat auch viel mit der Medienbranche im Land zu tun. Diese ist im Gegensatz zu Chinas eigener Medienwelt, in der Zeitungen und Onlineplattformen zensiert werden, offen, frei - und damit verwundbar. Viele Medien hat China inzwischen wie in anderen Teilen der Welt mithilfe pro-chinesischer Mittelsmänner infiltriert oder aufgekauft. Einige Journalisten veröffentlichen Berichte zudem auch selbst in namhaften Medien ungeprüft. Über soziale Netzwerke wie Facebook und die in Taiwan populäre Plattform PTT sind Nachrichten schnell geteilt.

Die Fälschungen richten sich meist gegen progressive Politiker, die auf die Distanz zu China gehen wollen

Inzwischen gibt es mehrere Initiativen, die versuchen, Informationen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Auch die Regierung bemüht sich gegenzusteuern. Doch die Faktenprüfer kommen in Angesicht der Masse kaum hinterher.

Zwei Aspekte haben die Fälschungen fast immer gemein: Sie richten sich einerseits meist gegen progressive Politiker, die mehr Distanz zu China fordern. Gleichzeitig führen ihre Spuren häufig direkt oder indirekt in die Volksrepublik. Die Beispiele für Falschmeldungen sind zahlreich. Ein besonders tragischer Fall im September 2018 war der Bericht über das angeblich erfolgreiche Krisenmanagement Chinas während eines Taifuns in Japan. In dem Artikel, deren Urheber nachweislich in der Volksrepublik saßen, wurde behauptet, chinesische Staatsbürger seien unmittelbar von Peking aus der schwierigen Situation gerettet worden.

In Taiwan wurde daraufhin Kritik an dem vermeintlich ungenügenden Beistand für die eigenen Gestrandeten laut. Der Druck auf die Beamten in Taiwans Repräsentanz in Osaka war schließlich so hoch, dass der Leiter Suizid beging. Später stellte sich heraus, dass die Geschichte erfunden war.

Viele Fälschungen kurz vor den Wahlen am Wochenende richten sich gegen die Kandidaten der Parlamentswahlen, die am selben Tag wie die Präsidentschaftswahlen stattfinden. Dort ist es bei den meisten Kandidaten deutlich knapper als auf Präsidentschaftsebene. Gleichzeitig spielt die Weltpolitik eine kleinere Rolle als im Wettstreit zwischen Tsai Ing-wen und ihrem Gegenkandidaten der China nahen KMT Han Kuo-yu. In einem Fall wurden zum Beispiel Gerüchte über die sexuelle Orientierung einer Kandidatin gestreut. In Taiwan ist die Entscheidung der Regierung, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu legalisieren, immer noch höchst umstritten.

Wie weitreichend die Desinformationskampagne für das Ergebnis der Wahlen ist, wird sich erst zeigen, wenn alle Wahlergebnisse vorliegen. Im Wettstreit zwischen Tsai und Han hatten zuletzt vor allem Fakten für eine spektakuläre Aufholjagd gesorgt. Nachdem Präsidentin Tsai Ing-wen vor einem Jahr noch als politisch erledigt galt, profitierte sie besonders von den Protesten in Hongkong. Das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" gilt in der chinesischen Sonderverwaltungszone, in der Peking zunehmend die Freiheiten der Bürger einschränkt, nach mehr als einem halben Jahr mit gewaltsamen Ausschreitungen als gescheitert. Mehr denn je zweifeln die Taiwaner an dem Modell, das Peking bis zuletzt auch als ein Angebot an die Bewohner der Demokratie darstellte.

Eine Antwort auf die versuchte Wahlbeeinflussung fehlt bisher. Es bräuchte mehr Medienkunde, mehr guten Journalismus und ein größeres Bollwerk gegen den Einfluss Chinas, sagt Tai-Li Wang. Dieses Jahr dürfte erst ein Vorgeschmack gewesen sein auf das, was noch kommt. Da ist sich die Wissenschaftlerin sicher.

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