Taiwan:Gespaltene Insel

Der Anti-China-Kurs der Regierungschefin geht nicht auf. Als Reaktion auf die Wahlschlappe kündigte Tsai Ing-wen ihren Rückzug an. Profiteur könnte nicht nur die chinafreundliche Oppositionspartei KMT sein.

Von Lea Deuber

Schnell und mit klaren Worten zog Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Samstag Konsequenzen aus der Wahlniederlage ihrer Partei. Nur sechs der insgesamt 22 Städte und Regionen, in denen am Samstag bei Kommunalwahlen abgestimmt wurde, konnte die Demokratische Fortschrittspartei DPP für sich gewinnen. Bei den Wahlen ging es nicht nur um Bürgermeisterposten, sondern auch um Tausende Ämter auf Lokalebene sowie Bezirksräte. Als Reaktion auf die Wahlschlappe kündigte Tsai ihren Rückzug als Chefin der Partei an. "Die Menschen haben höhere Standards gesetzt", sagte sie am Samstag. Als Parteichefin übernehme sie die volle Verantwortung für das Debakel.

Das Ergebnis hat zwar keine unmittelbaren Konsequenzen auf ihre Regierungsfähigkeit. Es wird aber Folgen für Tsais Chancen bei den Nationalwahlen im Januar 2020 haben. Die Kommunalwahlen galten als Stimmungstest 18 Monate nach ihrem Amtsantritt. Damals hatte sie mit dem Versprechen gewonnen, anders als die Vorgängerregierung wieder stärker auf Distanz zu China zu gehen. Peking hatte daraufhin den Ton gegenüber Taipeh verschärft und offiziell den Kontakt abgebrochen. Profiteur der Wahlschlappe könnte nicht nur die chinafreundliche Oppositionspartei Kuomintang (KMT) sein, sondern auch ihre Widersacher innerhalb der eigenen Partei, die Tsais Kurs gegenüber China für zu nachgiebig halten.

Vor allem junge Menschen fühlen sich primär als Taiwaner, nicht als Chinesen

Taiwan steckt in einem Dilemma. Von China wird die vorgelagerte Insel seit dem Ende des Bürgerkrieges 1949 als abtrünnige Provinz betrachtet. Als Reaktion auf Tsais Weigerung, eine abgeschwächte Form des Ein-China-Prinzips zu unterstützen, kappte es 2016 die offiziellen Kanäle, führte mehrfach Militärübungen vor der Küste des Landes durch und forderte von Unternehmen weltweit, die Länderkategorie "Taiwan" aufzugeben und unter dem Begriff "VR China" zu führen. Fünf der 22 Staaten, die Taiwan zuletzt noch offiziell anerkannten, kamen zudem Pekings Aufforderungen nach und beendeten ihre diplomatischen Beziehungen mit dem Inselstaat. Das harte Vorgehen hatte in Taiwan Proteste ausgelöst. Tausende Demonstranten forderten die formale Unabhängigkeit von China, um sich von den ständigen "Gängelungen" des Nachbarstaats zu befreien. Vor allem junge Menschen fühlen sich primär als Taiwaner, nicht als Chinesen. Wie emotional die Debatte geführt wird, zeigte sich bei den Golden Horse Awards diesen Monat, den chinesischen Oscars. Dort hatte eine taiwanische Filmemacherin in ihrer Dankesrede unter Tränen erklärt, sie hoffe, dass Taiwan eines Tages als eine "unabhängige Entität" anerkannt werde. Es gab lauten Beifall aus dem Publikum in Taipeh - und versteinerte Gesichter unter den chinesischen Gästen. In Festlandchina wurde die Übertragung zensiert. Chinesische Staatsmedien verurteilten den Auftritt harsch.

Eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans gilt für China als rote Linie, so Präsident Xi Jinping

Die Fortschrittspartei DPP wird nun überlegen müssen, wie sie im kommenden Jahr ihren Wahlkampf führt. Die KMT propagiert eine wirtschaftsfreundliche Politik und die Wiederannäherung an China. Hardliner innerhalb der eigenen Partei kritisieren Tsai, weil sie sich zwar für mehr Unabhängigkeit von China einsetzt, aber die formale Unabhängigkeit bisher nie offiziell gefordert hat. Eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans gilt für China als rote Linie, die man "niemals akzeptieren" und mit "ganzer Kraft" verhindern werde, wie Präsident Xi Jinping im Herbst 2017 erklärte. In mehr als 30 Fällen untersuchen Taiwans Behörden zudem mögliche illegale Finanzierungen von taiwanischen Politikern durch Peking sowie aus China gesteuerte Desinformationskampagnen in sozialen Netzwerken. Peking bestreitet die Vorwürfe bisher.

Auch die Befürworter der Homo-Ehe erlitten am Wochenende eine Niederlage. Parallel zu den Wahlen hatte der Inselstaat über zehn Referenden abstimmen lassen. Darunter über das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe und andere Rechte für Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender. Mehr als sieben Millionen Wahlberechtigte stimmten gegen die Öffnung der Ehe für alle. Mehr als sechs Millionen stimmten für eine rechtliche Sonderbehandlung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die Befürworter kamen nur auf die Hälfte der Stimmen. 2017 hatte Taiwans oberstes Gericht die Homo-Ehe legalisiert. Unter Druck konservativer Aktivisten hatte die Regierung die Umsetzung zunächst verschleppt.

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