Taiwan:Ein Sieg als Provokation

Präsidentin Tsai Ing-wen wurde für eine zweite Amtszeit gewählt - auch weil sie sich als Garantin gegen zu viel Einfluss aus China inszenierte. Peking reagiert auf den Erfolg mit neuen Drohungen.

Von Lea Deuber, Taipeh

Tsai Ing-wen Wins Taiwan Presidential Election

Anhängern feiern in Taipeh die Wiederwahl von Tsai Ing-wen als Präsidentin mit 57,1 Prozent der Stimmen.

(Foto: Carl Court/Getty Images)

Mit deutlich mehr als der Hälfte der Stimmen ist Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Samstag für eine zweite vierjährige Amtszeit gewählt worden. Die 63-Jährige erhielt nach Auszählung aller Stimmen 57,1 Prozent. Ihr wichtigster Herausforderer Han Kuo-yu musste sich mit nur 38,6 Prozent geschlagen geben. Mit Bekanntgabe des Siegs von Tsais, die für die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) angetreten war, ging am Wochenende ein spektakuläres Wahljahr in der demokratischen Republik zu Ende.

Noch vor einem Jahr galt die nun wiedergewählte Regierungschefin als politisch erledigt. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr hatte die Juristin eine herbe Niederlage kassiert. Innenpolitisch wollte ihr wenig gelingen. Gegen ihre Rentenreform gab es massive Proteste. Um zu verstehen, wie Tsai es geschafft hat, ihre katastrophalen Umfragewerte innerhalb von nur einem Jahr in einen historischen Wahlsieg zu verwandeln, musste man am Wochenende zu Orten wie der U-Bahn-Station Zhongxiao Dunhua im Zentrum Taipehs kommen. Diese war für die Abstimmung in ein Wahllokal umfunktioniert worden.

Stunden, nachdem die Stimmabgabe beendet war, versammelten sich dort noch Hunderte Menschen. Die Stimmzettel werden in Taiwan zwar von Wahlhelfern gezählt, die Auszählung findet aber öffentlich statt. Jeder Bürger darf dabei zusehen - und mitzählen. Wie in der U-Bahn-Station in Taipeh herrschte vielerorts Volksfeststimmung. Wo es knapp wurde, machten sich Bürger Notizen, führten ihre eigenen Listen, damit ihr Kandidat oder Kandidatin keine Stimme verlieren würde.

Tausende Menschen reisten in ihre Heimatorte oder flogen sogar aus anderen Ländern ein

Wenn man in Taiwan auf etwas stolz ist, dann ist es eben dieser demokratische Prozess. Die Widerstandsfähigkeit der jungen Demokratie, die in den vergangenen Wochen gegen eine massive Desinformationskampagne aus China kämpfte, hat die Wahl in Taiwan in den vergangenen Wochen maßgeblich bestimmt. Angesichts des Drucks aus China, war die Wahl für viele fast zu einem Referendum geworden. Während Tsai sich als Garantin für die Wahrung eben dieser demokratischen Grundwerte und Freiheit in Taiwan inszenierte, trat Rivale Han von der Oppositionspartei Kuomintang (KMT) offensiv für eine Wiederannäherung an das Festland ein - aus Sicht vieler einhergehend mit dem Ende der Freiheit im Land.

Die Wahl war vielen so wichtig, dass dieses Mal deutlich mehr Menschen abstimmten als sonst. Weil in Taiwan keine Briefwahl möglich war, reisten Tausende Menschen in ihre Heimatorte, wo viele noch als Wähler gemeldet sind, oder flogen sogar aus anderen Ländern ein. Ein Trend, von dem vor allem Tsai profitierte.

Der Sieg für die Präsidentin ist in dem Sinne auch eine Niederlage für die Regierung der benachbarten Staatsmacht in Peking. Bereits nach Tsais Amtsantritt vor vier Jahren hatte die Volksrepublik die offiziellen Kanäle nach Taipeh gekappt, das Land wirtschaftlich unter Druck gesetzt, politisch isoliert und immer wieder Militärschiffe durch die Taiwanstraße geschickt. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wirkt regelrecht ungeduldig im Umgang mit der Demokratie vor seiner Küste. Er wolle die "Aufgabe", das Land mit der Volksrepublik zu vereinen, nicht von einer Generation zur nächsten reichen. Bei seiner Neujahrsansprache vor einem Jahr drohte er offensiv mit einer gewaltsamen Eroberung, wenn sich die Taiwaner seinen Plänen nicht fügten: Keiner könne die Vereinigung aufhalten, sagte Xi damals.

Die Versuche Chinas, Tsai mit Isolation zu schwächen, dürfte ihr die Wiederwahl gesichert haben. In einer Fehlkalkulation propagierte Xi nur wenige Monate vor Ausbruch der Massenproteste in Hongkong das dort etablierte Modell - "ein Land, zwei Systeme" - als seine Lösung, um Taiwan an die Volksrepublik anzuschließen. Eben jenes Konzept, das angesichts der Gewalteskalation in der chinesischen Sonderverwaltungszone für die meisten Taiwaner als gescheitert gilt.

Das Gefühl, es handele sich um ein Referendum, zeigte sich auch bei der Parlamentswahl, die zeitgleich zur Präsidentenwahl stattfand. Dort fiel das Ergebnis knapper aus. Die Fortschrittspartei (DPP) sicherte sich zwar mit 61 Sitzen die Mehrheit im 113 Abgeordnete zählenden Parlament. Die Partei verlor aber sieben Mandate, die KMT erhöhte ihre Zahl von 34 auf 38 Abgeordnete. Viele Wähler nutzen ihre Stimme im Parlament als Protest gegen Projekte Tsais, mit denen sie in den vergangenen vier Jahren nicht einverstanden waren.

Unmittelbar nach ihrer Wahl rief Tsai die Weltgemeinschaft auf zu mehr Anerkennung für die von China isolierte Inselrepublik. "Alle Länder sollten Taiwan als Partner betrachten, nicht als Problem", sagte die Präsidentin. Sie signalisierte zwar Gesprächsbereitschaft gegenüber Peking, erteilte aber einer möglichen Vereinigung erneut eine Absage. Was Taiwan damit aufgezwungen werde, sei "völlig inakzeptabel". Peking reagierte am Wochenende mit neuen Drohungen. Staatsmedien verkündeten, Taiwan solle sich auf eine baldige "Wiedervereinigung" vorbereiten. Es ist davon auszugehen, dass China in den kommenden Wochen den Druck auf Taipeh weiter erhöht.

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