Süddeutsche Zeitung

Taiwan:Der grobe Bruder

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Nach dem Ende der Militärdiktatur ist aus der Insel eine erfolgreiche, liberale Demokratie und einer der progressivsten Staaten Asiens geworden. Doch China versucht mit fast allen Mitteln, Taiwan zu schwächen. Und auch Deutschland sieht feige weg.

Von Lea Deuber

Wahlen in Taiwan, wie sie an diesem Samstag stattfinden, könnten die Geschichte eines Landes erzählen, das sich allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz friedlich demokratisiert hat. Sie könnten die Geschichte einer Gesellschaft erzählen, die wenige Jahre nach Ende der Militärdiktatur einen der progressivsten Staaten Asiens und eine der modernsten Demokratien der Welt geformt hat.

Doch wenn Taiwan Thema ist, geht es immer erst um China. Das Regime in Peking erhebt Ansprüche auf den liberalen Inselstaat, der nie zur Volksrepublik gehörte. Trotz der Absurdität der Forderung nach einer Vereinigung, die der Großteil der Bevölkerung Taiwans ablehnt, zwingt Peking andere Länder, die diplomatischen Beziehungen zu Taipeh zu kappen, die Taiwaner in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken und den souveränen Staat wie eine chinesische Provinz zu behandeln. Wie überall, wo es Geld zu verdienen gibt, macht auch die deutsche Industrie mit. Wer mit der Lufthansa nach Taipeh fliegt, bucht so angeblich eine Reise in die Volksrepublik. Dabei hat Taiwan seine Währung, sein Rechtssystem und Staatsgebiet. Es ist de facto ein unabhängiger Staat, der mit dem heutigen China nichts zu tun hat.

Bei Pekings Tiraden geht es manchmal nur um die Teilnahme der Republik an einer internationalen Konferenz, dann wieder droht das Regime mit der Eroberung der Insel. Das ist meist nur Säbelgerassel. Peking wird kaum einen Krieg mit den USA riskieren, die die Sicherheit Taiwans garantieren. Doch es braucht keine offene militärische Auseinandersetzung. Peking tut alles, um Taiwan politisch und wirtschaftlich zu schwächen und dessen Gesellschaft zu vergiften. Ein Beispiel ist die umfassende Desinformationskampagne, mit der China dieses Jahr die Wahlen stört. Auf Druck Pekings unterhält auch Deutschland keine offiziellen Beziehungen mit Taiwan. Seit den 1990er-Jahren war kein deutscher Minister mehr in der Vorzeigedemokratie.

Taipehs erfolgreiche Demokratie wird von Peking bedroht - und auch Berlin schaut feige weg

Im Streit um die Insel geht es Peking nicht einmal um das kleine Fleckchen Erde. Das Regime beansprucht in Wirklichkeit die Deutungshoheit über das, was chinesisch ist. Die KP behauptet, Demokratie sei ein westliches Konzept, das für den chinesischen Kulturkreis nicht gelte. Taiwans vielfältige Zivilgesellschaft widerlegt das mit einer Leichtigkeit, die Peking rasend macht. Taiwan, das nach Freiheit und Demokratie strebende Hongkong, all jene, die sich gegen den Alleinvertretungsanspruch der KP stemmen, sind dadurch Feinde des Regimes.

Pekings Aggressionen lenken zu häufig davon ab, dass Taiwan mehr ist als nur ein Opfer der KP. Seine Entwicklung ist ein Vorbild für Staaten im Umbruch. Und Taipeh treibt die Digitalisierung voran wie kaum ein zweites Land. Als erster asiatischer Staat hat Taiwan die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren legalisiert. Anstatt sich vom Gerede Pekings einlullen zu lassen, China biete ein nennenswertes Alternativmodell, sollte der Westen Taiwans progressivem Kurs viel Beachtung schenken. Das gilt auch bei der Frage, wie man mit Chinas Führung umgehen soll, die sich zunehmend aufführt, als sei auch Deutschland nur eine abtrünnige Provinz. Taiwans Wille, keinen Zentimeter Freiheit aufzugeben im Tausch gegen kurzfristige Gewinne - davon kann man etwas lernen.

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SZ vom 11.01.2020
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