Wahlen:Taiwan wird am Samstagabend ein anderes Land sein

Taiwan's Democratic Progressive Party Chairperson and presidential candidate Tsai Ing-wen greets a supporter at a campaign rally ahead of the election in Taichung

Die Vorsitzende der demokratischen Fortschrittspartei, Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-wen, trifft Anhänger in Taichung.

(Foto: REUTERS)

Bei den Wahlen wird die Kuomintang-Partei, die seit 1949 fast ununterbrochen regiert, aller Voraussicht nach verlieren. Und eine Frau wird Präsidentin.

Von Kai Strittmatter, Taipeh

Die Kuomintang: Mehr als ein Jahrhundert ist diese Partei alt, sie stürzte einst den letzten Kaiser von China. Selbst nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen Maos Kommunisten 1949, nach der Flucht auf die kleine Insel Taiwan blieb sie eine der reichsten Parteien der Welt und zählt noch heute offiziell mehr als eine Million Mitglieder. Von dem alten Stolz aber ist nichts mehr zu spüren. Taiwan wählt am Samstag einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament - und schon jetzt gibt die noch immer regierende Kuomintang (KMT) das Bild einer gebrochenen, geschlagenen Partei, dass selbst ihre jungen Hoffnungsträger sich achselzuckend in die kommende Niederlage fügen.

Die Insel Taiwan wird am Samstagabend eine andere sein. Die Präsidentschaftskandidatin der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei DFP, Tsai Ing-wen, eine eher zurückhaltende Juristin, liegt in den Umfragen so weit voraus, dass manche Beobachter schon vom "langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten" sprechen. In Wirklichkeit wird das ein historisches Wochenende: Zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte wird eine Frau Präsidentin. Und wenn die KMT dann noch - ebenfalls zum ersten Mal - ihre Mehrheit im Parlament verliert, worauf im Moment viele wetten, dann ist der Triumph der Opposition perfekt. "Das wäre das erste Mal, dass Taiwan einen echten Machtwechsel erlebt", sagt Wu Jieh-ming, Soziologe an der Academia Sinica in Taipei.

Riesige Kluft zwischen Regierung und Volk

Die DFP stellte zwar schon einmal, von 2000 bis 2008 mit Chen Shui-bian den Präsidenten, aber in der Zeit dominierte die KMT weiter das Parlament. "Sie konnten alle Initiativen der DFP sabotieren", sagt Wu. Die KP-Führer in Peking beobachten das mit Sorge: Für sie ist Taiwan ein Teil Chinas, mit ihrem einstigen Bürgerkriegsgegner KMT verstand sich die KP in den vergangenen Jahren erstaunlich gut, die DFP hingegen hat Peking im Verdacht, sie strebe insgeheim die Unabhängigkeit Taiwans an, auch wenn DFP-Kandidatin Tsai Ing-wen demonstrativ moderat auftritt.

Bei der KMT bereiten sich manche schon auf den Wiederaufbau aus Ruinen vor. "Ich weiß, dass ich hier für den Außenseiter antrete", sagt der 37-jährige KMT-Kandidat Jason Hsu, der sich eben erst hat anwerben lassen für die Politik. "Aber wenn der Schock der Niederlage nur groß genug ist, und er wird riesig sein, dann wird die KMT endlich Wandel und Reformen akzeptieren müssen."

Die Gründe zählt er selbst auf: "Es gibt eine riesige Kluft zwischen Regierung und Volk. Die Jungen trauen der Kuomintang nicht mehr." Exakt deshalb haben sie nun Leute wie ihn in die Partei geholt. Jason Hsu hat das Format der Innovationskonferenz TED nach Taiwan geholt, ist ein smarter Jungunternehmer. Es wird der KMT nicht mehr viel helfen: "Unsere Partei ist zu spät aufgewacht", sagt Wang Ru-xuen, eine ehemalige Arbeitsministerin, die für die KMT als Vizepräsidentschaftskandidatin antritt, selbstkritisch. Dass sie nach zuletzt acht Jahren im Präsidentenpalast die Jugend verloren hatte, habe die KMT "erst nach der Sonnenblumenbewegung" gemerkt.

Plötzlich war die Jugend wieder politisch

Die Sonnenblumenrebellen, das waren jene Schüler und Studenten, die im Frühjahr 2014 im Protest gegen die Wirtschafts- und Chinapolitik des KMT-Präsidenten Ma Ying-jeou das Parlament besetzten und schnell die öffentliche Meinung hinter sich fanden. Sie protestierten gegen wachsende Ungleichheit, gegen stagnierende und sinkende Löhne, vor allem ging ihnen Mas Politik der Annäherung an das riesige und vielen doch unheimliche China viel zu schnell und viel zu weit.

"Das war ein Wendepunkt", sagt Lin Feifan, damals einer der Studentenführer. "Mit einem Mal war die Jugend wieder politisch, mit einem Mal waren die Bürgerbewegungen eine Macht." Das politische Erwachen großer Teile einer zuletzt eher apathischen Bürgerschaft kommt nun nicht nur der DFP zugute, sondern auch einer Reihe von neugegründeten Kleinparteien. Studentenführer Lin Feifan selbst tritt nicht an, er wurde diese Woche erst aus dem Zivildienst entlassen - und stürzte sich am selben Tag in den Wahlkampf, um all seine Freunde zu unterstützen, die bei den neuen Parteien Unterschlupf gefunden haben.

Die junge Partei will die DFP unterstützen

Prominenteste dieser Parteien ist die New Power Party, die Freddy Lim, Sänger der Death-Metal-Band Chthonic, vor ziemlich genau einem Jahr gründete. Ihr Spitzenkandidat ist Huang Kuo-chang, ein 42-jähriger Jurist und Aktivist. Die Partei ist noch nicht einmal ein Jahr alt und in Umfragen schon drittstärkste Kraft. Die Jugend sei zornig auf Präsident Ma und seine KMT, sagt Huang, weil sie das Gefühl habe, Ma habe Taiwans Demokratie und Freiheit beschädigt, allein um mit China ins Geschäft zu kommen. "Hat seine Politik Profite abgeworfen? Ja, das bestreiten wir nicht", sagt Huang. "Aber die Profite wanderten alle in die Taschen der Unternehmer und Privilegierten. Das Volk hatte nichts davon. Im Gegenteil." Jobs wanderten ab nach China, die Löhne sanken. "Deshalb sind die Leute zornig."

Die soziale Schieflage in Taiwan bestreitet auch KMT-Neuling Jason Hsu nicht: Die Wohlstandverteilung in Taiwan funktioniere nicht mehr, sagt Hsu, die soziale Ungerechtigkeit habe zugenommen. "Selbst ich kann mir keine Wohnung in Taipeh leisten", sagt der Jungunternehmer. Taiwan müsse wieder innovativer werden, den Anschluss an die Welt wiederfinden. In ihrer unternehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik unterscheiden sich die beiden großen Parteien DFP und KMT nicht allzu sehr. Die kleine, jugendbewegte NPP hat schon angekündigt, im Falle ihres Einzugs ins Parlament die DFP von Tsai Ing-wen unterstützen zu wollen, um die Macht der KMT zu brechen, hofft aber auf eine sozialere, linkere Politik der DFP.

Die große Unbekannte für die Zukunft bleibt China, das auf Wiedervereinigung dringt, eine Vorstellung, die den Taiwanern von Jahr zu Jahr fremder wird. Die DFP hat ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung, ist aber längst moderater als früher. Sie will Peking nicht unnötig provozieren, drängt jedoch dazu, die wirtschaftliche Abhängigkeit Taiwans von China zu reduzieren.

Den Part der ungeduldigen China-Provokateure übernehmen im Moment die Neuankömmlinge auf der politischen Bühne. "Wir haben kein Problem mit der Ein-China-Politik", sagte diese Woche der Sänger und NPP-Gründer Freddy Lim in Anspielung auf die Formel Pekings, die ausdrücken soll, dass China und Taiwan letztlich zusammengehören. "Ich stimme zu: Es gibt nur ein China. Es gibt aber daneben auch ein Taiwan. Und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun."

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