Tag des Ehrenamts:"Viele Flüchtlingshelfer haben keine Stimme"

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Sarah Rüger vom FrauenComputerZentrumBerlin gibt Asylbewerberinnen aus Afghanistan einen Kurs in Computer- und Internetnutzung. (Foto: Getty Images)

Kein Ehrenamt ist politisch so aufgeladen wie die Flüchtlingshilfe. Wie ist es, inmitten des größten gesellschaftlichen Konflikts der vergangenen Jahre zu stehen?

Von Hannah Beitzer, Berlin

Wenn ein Anruf mit unterdrückter Nummer erscheint, lässt Petra Nordling ihr Telefon einfach klingeln. Sie hatte schon Fremde am Telefon, die ihr sagten: "Kümmer dich doch mal um deutsche Jugendliche." Als die Frau aus Vilsbiburg in Niederbayern einen jungen Mann aus Uganda bei sich zu Hause aufgenommen hatte, zerkratzten Unbekannte ihr nachts das Auto. Auf der anderen Seite erhält Nordling Einladungen in den Bayerischen Landtag, in einer Wahlsendung im Fernsehen sprach sie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Anliegen der Flüchtlingshelfer.

Als solche steht sie mittendrin im größten politischen Konflikt der vergangenen Jahre. Ende 2015, also auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, engagierte sich einer repräsentativen Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche zufolge jeder zehnte Deutsche ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit. Die Helfer erhielten viel Anerkennung, stießen aber auch auf bürokratische Hürden und auf Ablehnung und spürten deutlich die Auswirkungen der Politik auf ihre Arbeit. Wie hat sich das Engagement derer, die dabei geblieben sind, verändert? Zwei Jahre später wollen viele Helfer gern sprechen, Dutzende meldeten sich auf die Anfrage der SZ, berichteten von anfänglicher Euphorie, von Enttäuschung und warum sie trotzdem bei ihrem Engagement blieben.

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Merkels "Wir schaffen das" schien die Stimmung im Land wiederzugeben - aber nur am Anfang

"Am Anfang ging es mir nicht um Politik", sagt Petra Nordling. "2014 hatte meine Tochter in der Oberstufe Französisch. Ich wusste, dass bei uns im Ort Asylbewerber aus dem Senegal und dem Kongo leben, bin zu ihnen gefahren und habe mich mit ihnen unterhalten." Einige der Jungs wollten gerne ihren Qualifizierten Hauptschulabschluss machen, Nordling bot ihre Hilfe an und blieb auch dabei, als 2015 mehr und mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen. "Ich habe mich immer engagiert, war zum Beispiel Schulweghilfe und Lesepatin", sagt sie, "Helfen ist für mich selbstverständlich." Gemeinsam mit andere Ehrenamtlichen bildete sie 2015 einen Helferkreis.

2015 gingen aus ganz Deutschland Bilder um die Welt, die Menschen wie Petra Nordling zeigten. Menschen, die Geflüchtete an Bahnhöfen mit Kuscheltieren begrüßten, die an heißen Sommertagen mit Wasserflaschen durch die Notunterkünfte liefen, die Deutschunterricht organisierten und Kleider sammelten. Kanzlerin Angela Merkels Satz "Wir schaffen das": Er schien eine Stimmung wiederzugeben, die das ganze Land erfasst hatte. Deutschland, hieß es oft in diesen Wochen und Monaten, zeige sein freundliches Gesicht.

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Kerstin Schenkel formuliert es heute etwas zurückhaltender: "Wir haben getan, was nötig war." Die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin ist Vorsitzende des Vereins "Freiraum Elsterwerda e. V." im brandenburgischen Elsterwerda. "Eigentlich hatten wir zu Beginn gar keinen Schwerpunkt auf der Flüchtlingshilfe", sagt sie. "Wir wollten kulturelle Projekte in der Stadt verwirklichen. Doch als 2015 klar wurde, dass auch in unsere Region Flüchtlinge kommen, ist der Bürgermeister auf uns zugekommen: Könnt ihr da nicht helfen?"

Der Verein organisierte interkulturelle Abende, Deutschkurse und Begegnungstreffen. Und das nicht nur aus reiner Selbstlosigkeit: "Ich fand es spannend, Menschen aus anderen Kulturen, die eine andere Sprache sprechen, eine andere Religion haben, kennenzulernen", sagt Schenkel.

Die Stimmung ändert sich

Die Neugierde und Offenheit, die Kerstin Schenkel beschreibt, war 2015 ein Glücksfall für den deutschen Staat. Denn der war mit der hohen Zahl Geflüchteter vielerorts überfordert. Auch davon zeugen Bilder, die um die Welt gingen. Zum Beispiel Bilder von den Schlangen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo Flüchtlinge wochenlang in der Sommerhitze ausharrten, um sich in Berlin zu registrieren. Ehrenamtliche organisierten Nahrung, medizinische Hilfe, psychologische Betreuung, Kleidung und Unterkünfte für die erschöpften Menschen. Die Helfer fühlten sich bald ausgebeutet und stießen immer wieder an bürokratische Hürden, die sie verzweifeln ließen.

Und sie erhielten beileibe nicht nur Anerkennung für diese Arbeit. Im Internet machten gehässige Sprüche über die "Bahnhofsklatscher" und "Gutmenschen" die Runde. Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015/2016 kamen massenhaft Berichte über kriminelle Flüchtlinge dazu, einige davon wahr, andere erfunden. Die rechte AfD, die ausschließlich mit dem Flüchtlingsthema Wahlkampf machte, zog in mehrere Landtage und schließlich 2017 in den Bundestag ein.

Wie sich die veränderte Stimmung auf die Arbeit von Flüchtlingshelfern auswirken kann, davon erzählt Faina Dombrowski. Sie engagiert sich in Hoppegarten in der Nähe von Berlin seit 2014 für Geflüchtete. Sie hatte einen Blog aufgesetzt, in dem Geflüchtete ihre Geschichte erzählen konnten. "Ich bekam so viele Hasskommentare, dass ich den Blog bald abschalten musste", sagt sie. Seitdem engagiert sie sich lieber offline, organisiert zum Beispiel private Unterkünfte für geflüchtete Familien. Zeitweise lebte ein alleinreisender Syrer bei ihr und ihrer Familie.

Ganz überraschend kam der Hass für sie nicht. Dombrowskis Vater ist Tatare und emigrierte vor Jahrzehnten aus der Sowjetunion in die damalige DDR. "Wenn er mich in den 70er Jahren im Kinderwagen durch Prenzlauer Berg gefahren hat, dann haben mich Leute angespuckt", sagt sie. Rassismus habe es schon immer gegeben. Nur sei er bis zum Auftreten der AfD für diejenigen, die er nicht direkt betreffe, nicht ständig spürbar, mehr unter der Oberfläche gewesen.

Als Dombrowski anfing, sich in der Heimatstadt offen für Flüchtlinge einzusetzen, hatte ihr Vater Angst vor den Reaktionen der Nachbarn. Die Tochter hingegen blieb bei ihrem Engagement, auch wenn sie wusste, dass nicht alle in ihrer Gemeinde es gut finden. "Tatsächlich haben dann viele positiver reagiert, als ich gedacht habe."

Für Petra Nordling war die Entwicklung, die der politische Diskurs nahm, ein Schock. "Wie kannst du einen Schwarzen bei euch wohnen lassen, wo du doch eine 20-jährige Tochter hast?" Solche Sprüche habe sie gehört. "Ich muss oft an die WM 2006 denken, wo es hieß: Die Welt zu Gast bei Freunden." Auf dieses weltoffene Deutschland sei sie stolz gewesen, habe sich Deutschlandfähnchen ans Auto gesteckt. "Sogar meine schwedische Schwiegermutter, die Deutschland sonst sehr kritisch sieht, fand es auf einmal gut." Zur EM 2016 wollte sie keine Fähnchen mehr am Auto, es schien ihr ein falsches Zeichen. Das Zeichen der anderen Seite eben.

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"Mein Umfeld hat sich sehr gespalten", sagt auch Kerstin Schenkel. In Brandenburg, wo die Unternehmerin lebt, zog die AfD bereits 2014 in den Landtag ein. Sie weiß, dass einige ihrer Kunden, Mitarbeiter, Freunde eine ganz andere Einstellung vertreten als sie. "Wir hatten auch schon AfD-Demos in der Stadt", sagt sie. In Elsterwerda, Schenkels Heimatort, hielt der AfD-Politiker und jetzige Parteichef Alexander Gauland eine Rede, in der er die alte NPD-Parole "Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land" aufgriff.

Im Osten Deutschlands holte die AfD zur Bundestagswahl mancherorts die Mehrheit der Stimmen. Viele der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer im Osten leiden darunter doppelt - einerseits unter den rechten Einstellungen, die einige ihrer Nachbarn vertreten. Anderseits darunter, dass die AfD-Wähler im Rest von Deutschland mittlerweile für den ganzen Osten stehen und die Arbeit der Flüchtlingshelfer unsichtbar bleibt. Der Osten, das sind die Rechten. So lautet das Klischee.

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Auch Petra Nordling entschloss sich, mehr an die Öffentlichkeit zu gehen. "Viele Flüchtlingshelfer haben keine Stimme", sagt sie. Vor allem zu Beginn hätten sie ihr Engagement bewusst unpolitisch gehalten - so wie sie selbst ja auch. "Es waren Leute mit den unterschiedlichsten politischen Einstellungen dabei, von ganz links bis hin zu Menschen rechts der Mitte, die zum Beispiel nur anerkannten Flüchtlingen helfen wollten." Da ist es schwierig, gemeinsame Forderungen zu erheben.

Auf diese Weise aber hätten die bürgerlichen Parteien nur die Wähler der AfD vor Augen, nicht die vielen Menschen, die anders denken, sagt Nordling: "Ich finde es schade, dass die knapp 13 Prozent AfD-Wähler so überbewertet werden." Viele Helfer in Bayern sähen das ähnlich. "Sie haben sich dadurch politisiert." Nordling hat zum Beispiel gemeinsam mit anderen einen "Asylgipfel" in Niederbayern organisiert, zu dem 130 Helfer kamen.

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Viele Helfer haben das Gefühl: Die Politik arbeitet gegen sie. Insofern sei die Flüchtlingsarbeit sicher kein Ehrenamt wie jedes andere, sagt Nordling. "Stellen Sie sich vor: Die Feuerwehr baut ein Haus im Dorf - und ein Politiker kommt und reißt es wieder ein. Das wäre doch unvorstellbar." Genau so fühlten sich viele Flüchtlingshelfer, die sich bemühten, für junge Geflüchtete einen Ausbildungsplatz zu finden - und an den Behörden, die die Gesetze nach Meinung der Helfer absichtlich restriktiv auslegen, scheiterten.

Wie geht es also den Menschen, deren Willkommensgesten 2015 um die Welt gingen? Viele sind enttäuscht davon, dass vom euphorischen "Wir schaffen das" zumindestens von politischer Seite nicht viel übrig ist. Doch sie berichten auch von Erfahrungen, die ihnen keiner mehr nehmen kann. "Ich habe so viele Kulturen kennengelernt, habe mich in dem ganzen Stress mit jedem Konflikt weiterentwickelt", sagt Kerstin Schenkel. Darüber würde sie lieber sprechen als immer nur über die AfD.

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