Tag der Deutschen Einheit:Wo Ost und West sich unterscheiden - und wo nicht

Teile der Berliner Mauer

Grenze und Mauer sind schon lange abgebaut. Aber manche Dinge trennen die Menschen in Ost- und Westdeutschland noch immer.

(Foto: dpa)

Einkommen, Bildung, Zufriedenheit: Der Osten hat seit der Wiedervereinigung in vielen Bereichen aufgeholt. Doch Daten belegen immer noch erhebliche Unterschiede zum Westen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Zum Tag der Deutschen Einheit betonen Politiker gerne, wie sehr die Bundesländer im Osten und Westen sich seit der Wiedervereinigung angeglichen haben. Die wirtschaftlichen Fortschritte in den neuen Bundesländern seien beachtlich, heißt es dann. Andere halten dagegen, die Entwicklung sei alles andere als zufriedenstellend. Arm seien die Menschen im Osten - und vielleicht gerade deshalb auch oft fremdenfeindlich.

Was sich tatsächlich getan hat, zeigen Daten, die Behörden wie das Bundesamt für Statistik regelmäßig veröffentlichen. An den Zahlen lässt sich gut erkennen, wo es weiterhin Unterschiede zwischen Ost und West gibt - und wo nicht.

In einigen Bereichen haben die fünf noch immer als "neu" bezeichneten Bundesländer die "alten" Länder inzwischen eingeholt. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist bei Frauen inzwischen auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze auf 83,1 gestiegen. Neugeborene Jungen im Osten können inzwischen immerhin auf 77,1 Jahre hoffen - nach der Wende waren es nur etwa 70 Jahre. Im Westen ist die Lebenserwartung der Männer bei Geburt in diesem Zeitraum von etwa 73 auf 78,4 Jahre gestiegen.

Die Geburtenrate, die nach der Wiedervereinigung im Osten auf unter ein Kind pro Frau gefallen war, ist dort auf 1,54 Kinder (2014) gestiegen und liegt nun sogar etwas höher als im Westen (1,47). Auch zieht es nicht mehr so viele Menschen in den Westen wie zur Zeit kurz nach dem Mauerfall. Für Berlin, aber auch für die Flächenländer im Osten war die Zuwanderungsrate aus den westlichen Bundesländern 2015 insgesamt positiv - was der Bundesregierung zufolge darauf zurückgeht, dass auch wirtschaftsstarke Städte im Osten für Menschen aus dem Westen inzwischen attraktiv sind.

Aber in vielen anderen Bereichen lässt sich immer noch eine Grenze zwischen Ost und West ziehen.

Deutliche Unterschiede gibt es in einem ganz wichtigen Punkt: der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Einer Studie der OECD zufolge liegen die Länder im Osten - auch Berlin - auf einer Skala von 0 (schlecht) bis 10 (gut) eher unterhalb der Mitte. Im Westen liegen die Werte immerhin bei etwa sechs bis sieben.

Verschiedene Faktoren führen zu mehr oder weniger Zufriedenheit mit dem Leben, darunter etwa der Grad der Bildung/Ausbildung. Und gerade hier fällt auf, dass alle neuen Bundesländer das obere Ende der Skala erreichen, während Berlin und die Länder im Westen deutlich darunter bleiben. Auch die Umwelt- und die Wohnqualität sind im Osten höher als im Westen. Doch in vielen anderen Bereichen sieht es ganz anders aus.

Die Arbeitslosenquote ist im Osten noch immer erkennbar höher als im Westen, wo Bremen allerdings heraussticht und Schleswig-Holstein und Hamburg vor beziehungsweise gleichauf mit Thüringen liegen. Es zeigt sich hier allerdings auch ein Nord-Süd-Gefälle. Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern haben die wenigsten Arbeitslosen. Nur im Saarland ist die Quote höher als in einigen nördlichen Ländern.

Beim Bruttoeinkommen liegt der Osten im Schnitt deutlich hinter dem Westen - lediglich Berlin sticht hier heraus. Zu sehen ist hier ebenfalls ein gewisses Süd-Nord-Gefälle, da die Verdiener in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern für Flächenländer die höchsten Einkommen aufweisen. Mit Nordrhein-Westfalen, wo die Menschen im Schnitt mehr verdienen als in Rheinland-Pfalz, und den Stadtstaaten mit ihren relativ hohen Einkommenszahlen ist das Gefälle von den Alpen zur norddeutschen Küste aber nicht so deutlich.

Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner - also die Wirtschaftskraft - ist im Osten seit 1991 beträchtlich gestiegen, von etwa 43 Prozent auf 72,5 Prozent des Niveaus der westdeutschen Länder. Damit liegt es aber immer noch um 27,5 Prozent niedriger als im Westen. Das liegt der Bundesregierung zufolge auch an der ungünstigeren Bevölkerungsentwicklung im Osten. In den Flächenländern ist die Bevölkerung dort seit 2000 um 9,3 Prozent geschrumpft.

Ursache ist hier aber vor allem die Kleinteiligkeit der Wirtschaftsstruktur und der Mangel an Unternehmenszentralen im Osten. Noch immer sind in den neuen Bundesländern besonders viele schwache Regionen zu finden: Von 138 strukturschwach eingestufte Regionen liegen 62 im Osten, obwohl hier nur 20 Prozent der deutschen Bevölkerung auf 30 Prozent der Fläche Deutschlands leben.

Die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger im Osten - also das Einkommen, das für Konsumzwecke verfügbar ist -, liegt ebenfalls klar unterhalb derjenigen im Westen.

Wo kommen die meisten Kinder zur Welt?

In Bezug auf die Gesundheit lässt sich keine klare Unterscheidung zwischen Ost und West finden, wenn die Auswertung der OECD zugrundegelegt wird. Die Experten kamen anhand der Indikatoren Sterberate und Lebenserwartung für fast alle Bundesländer auf Werte zwischen mäßigen 4,9 (Sachsen-Anhalt) und ordentlichen 6,9 (Rheinland-Pfalz). Nur Baden-Württemberg und Bayern stechen hier mit 8,1 respektive 7,2 etwas heraus.

Die Zahl der Geburten ist im Osten niedriger als im Westen, sieht man von Berlin mit besonders vielen und dem Saarland mit auffällig wenig Geburten ab. Sachsen und Thüringen liegen immerhin noch vor Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg liegen mit dem nördlichsten Bundesland fast gleichauf. Es gibt also einen leichten Trend, aber mit Ausreißern.

Das trägt unter anderem dazu bei, dass die Bevölkerungsdichte im Osten tendenziell niedriger bleibt als im Westen. Auffällig ist allerdings, dass Sachsen sogar etwas dichter besiedelt ist als einige westliche Flächenländer. Außerdem gibt es auch hier ein gewisses Süd-Nord-Gefälle: Sieht man von Nordrhein-Westfalen und den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen ab, wo die Bevölkerungsdichte verhältnismäßig hoch ist - leben im Süden mehr Menschen pro Quadratkilometer als im Norden.

In der Diskussion um Fremdenfeindlichkeit wird häufig darauf hingewiesen, dass der Ausländeranteil an der Bevölkerung im Osten deutlich unter dem im Westen liegt - bis auf Berlin mit dem Spitzenwert von 15,5 Prozent. Keines der neuen Flächenländer kommt auch nur auf vier Prozent, während der Anteil im Westen zwischen 6,3 und 15,2 Prozent liegt.

Obwohl die Deutschen im Osten demnach deutlich seltener auf Ausländer treffen - Ausnahme ist Berlin -, ist die Fremdenfeindlichkeit hier klar höher als im Westen. Das zeigen auch die Zahlen zur rechten, politisch motivierten Gewalt, die sich häufig gegen Ausländer richtet.

Am Freitag bezeichnete die Bundesbeauftragte für die neuen Länder, Iris Gleicke (SPD), im Bundestag die Zahlen als eindeutig. Auch wenn Fremdenfeindlichkeit nicht allein ein Problem der neuen Bundesländer ist: Es gibt im Osten eine massive Zunahme an rechtsextremistischen Gewalttaten. Gleicke zufolge stellen gerade Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz" eine sehr ernste Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar". Da könne man es nicht machen wie die drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

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