Tag der Deutschen Einheit:Prekäre Einheit

Ob Wahlergebnis der Linken oder Arbeitslosenquote: Deutschland bleibt geteilt, niemand glaubt an die "innere Einheit". Dabei sind Deutsche aus Ost und West einander näher denn je.

Jens Bisky

Der Palast der Republik ist wieder da, mitten in Berlin. Kleiner sieht er aus, und man hat ihn etwas in Richtung Westen verschoben. Statt eines Staatswappens trägt er eine Uhr zur Zierde. Aus 800 Einzelplakaten besteht die Fotoinstallation der deutsch-iranischen Künstlerin Bettina Pousttchi für die Außenhaut der temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz. Der Effekt ist groß. Freudig lassen sich Berliner und Touristen an den vor kurzem erst abgerissenen Palast der Republik erinnern. Sie genießen das Déjà-vu-Erlebnis.

Tag der Deutschen Einheit: In der DDR stand neben dem Berliner Dom noch der Palast der Republik.. Jetzt soll hier das neue Stadtschloss entstehen.

In der DDR stand neben dem Berliner Dom noch der Palast der Republik.. Jetzt soll hier das neue Stadtschloss entstehen.

(Foto: Foto: dpa)

Pousttchis kraftvolle Installation ist jedoch kein ostalgisches Lamento. "Echo" heißt ihre Arbeit, und sie hat mit dem Palast der Republik, wie er unter Honecker bestand, wenig zu tun. Pousttchi zelebriert die Freiheit des Umdeutens und des ironischen Kommentars, ist doch der Palast für die jungen und mittelalten Künstler der Stadt vor allem ein Gebäude, dem sie nach der Asbestsanierung mit Ausstellungen und Spektakel zu einem glanzvollen Ende verholfen haben. Aber auch das, die Zwischennutzung, war bereits ein Echo, eine variierte Wiederholung der Aufbruchsstimmung, die nach der Vereinigung Berlin erfasst hatte und sich dann erstaunlich lange hielt.

Déjà-vu-Erlebnisse kann man zu diesem 3. Oktober einige haben. Zeichnet man eine Deutschlandkarte mit dem Wahlergebnis der Linkspartei, wird man die alte innerdeutsche Grenze wiedererkennen. Das Spiel lässt sich mit anderen Daten wiederholen, ob bei der Arbeitslosenquote oder der Zahl der Kirchenmitglieder. Haben die Deutschen nicht vor wenigen Monaten erst heftig darüber gestritten, ob die Verweigerung von Menschen- und Bürgerrechten, ob Willkür und Stasi-Verbrechen ausreichen, um von einem "Unrechtsstaat" zu reden?

Nur ein Echo der Geschichte

Und dennoch sollte man es sich nicht zu bequem machen. Was ähnlich aussieht wie gehabt und gewohnt, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein doch ganz anderes Phänomen. Die so erfolgreiche Linkspartei ist nur noch ein Echo der alten PDS. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit fehlen in manchen Gegenden Ostdeutschlands bereits Facharbeiter und Ingenieure; konfessionelle Schulen sind auch in den Neuen Ländern sehr erfolgreich. Um das Wort "Unrechtsstaat" wurde gestritten, weil es als eine Kampffloskel benutzt wird, die Nachdenken erspart, Erkenntnis ersetzt. Im Streit um die Bilder, der so heftig tobt, weil er stellvertretend für politischen Streit über die Einheit geführt wird, haben sich die klaren Frontlinien aufgelöst.

Vieles erinnert auch zwanzig Jahre nach der vorerst letzten deutschen Revolution an die vertrauten Unterschiede und den Schneckengang des Zusammenfindens. Aber die alten Deutungen passen nicht mehr. Die Uhr an Pousttchis Kunsthallen-Palast-Echo zeigt kurz nach eins. Es beginnt also der Nachmittag, in dessen Licht vieles freundlicher aussieht. Angenehmer auf jeden Fall als vor fünf Jahren. Aber das ist kein Verdienst der Politik und auch nicht des Journalismus.

">"Aufbau Ost" war Chefsache

Als mit dem Machtantritt Gerhard Schröders die Berliner Republik begann, schien es kurz vor zwölf. Schröder hatte das irgendwie gespürt und den "Aufbau Ost" zur Chefsache erklärt. Erfolgreicher als seine Vorgänger war er nicht. Eine Expertenkommission hat im Jahr 2004 die teure Förderpolitik geprüft und als überwiegend ungeeignet verworfen. Dem Ziel, die Ostdeutschen auf eigene Füße zu stellen, rückte die Regierung kaum näher. Und wenn, dann in Trippelschritten, wackelnd und keuchend. Man sprach vom "Super GAU Deutsche Einheit".

Der Befund der Experten wurde zur Kenntnis genommen, es reichte für etwas Aufgeregtheit, aber nicht für eine Änderung der Förderpolitik, nicht für Korrekturen am Solidarpakt II. Der damals neue Bundespräsident Horst Köhler meinte, man müsse sich vom Ideal gleicher Lebensverhältnisse verabschieden. Tue man es nicht, zementiere man den Subventionsstaat. Rasch merkte er, dass er sich zu weit vorgewagt hatte. Dann kam es mit der Agenda 2010, die durchzusetzen ja auch CDU und FDP geholfen hatten, und dem Aufflammen der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV zum High Noon der Einheit. Wer weiß, was daraus geworden wäre, hätte die große Koalition dem Land nicht bald darauf Ruheschlaf verordnet.

Künstler hellen die Stimmung auf

Das Erwachen in der Krise war schreckhaft. Es blieb wenig Kraft, über Ost und West nachzudenken oder gar politisch zu streiten. Die Fortschritte der Linkspartei im Westen hat man regelmäßig analysiert. Das viel größere Rätsel, die Wiederkehr der FDP im Osten, in dem sie nach dem Wegfall des Genscher-Bonus zur ewigen Bedeutungslosigkeit verdammt zu sein schien, wurde wenig beachtet und kaum überzeugend erklärt. Die Aufgabe, den Deutschen ihr Beisammensein verständlich zu machen, haben ohnehin längst Film und Literatur übernommen.

Ob mit den wunderbaren Kleine-Leute-kleines-Glück-Filmen von Andreas Dresen, mit Ingo Schulzes Briefroman "Neue Leben", ob mit der ausgreifenden Vergegenwärtigung des Gestern in Uwe Tellkamps Bestseller "Der Turm" - die Aufforderung, einander die eigenen Geschichten zu erzählen, wurden aufs schönste erfüllt.

Waches Interesse

Das ändert nichts am ökonomischen Elend, an den Problemen in den schrumpfenden Regionen Brandenburgs, Vorpommerns oder Sachsens. Prägnanz, Fülle und Unterschiedlichkeit der Geschichten jedoch haben dazu beigetragen, dass sich die deutsch-deutsche Atmosphäre wesentlich aufhellen konnte.

Mehrere tausend Bände über Teilung, DDR, BRD, Revolution und Vereinigung sind veröffentlicht worden. Es kennt wohl keiner die genaue Zahl. Aber dass es sie gibt und dass regelmäßig über die Bücher gestritten wird, hat für ein kontinuierliches deutsch-deutsches Gespräch gesorgt. Trotz dramatischer lebensgeschichtlicher Verwerfungen, trotz der Ausweglosigkeit, in der sich auch heute noch mancher Bürgermeister im Osten befindet, konnte auf diese Weise wenigstens das Interesse füreinander wachgehalten oder geweckt werden.

Träume aus dem Westen, ungenutzte Talente im Osten

Im ästhetisch-historischen Dauergespräch sind sich die Deutschen aus Ost und West nähergerückt, als Demoskopen erfahren und Politiker verstehen können. Eines der jüngsten und schönsten Beispiele dafür ist Monika Marons Bericht "Bitterfelder Bogen" - eine eigentlich unglaubliche Geschichte. Sie handelt von Träumern aus dem Westen, von ungenutzten Talenten im Osten und einer Erfolgsgeschichte in der Industrielandschaft Mitteldeutschlands.

Niemand, der diese Geschichte liest, wird an so etwas wie "innere Einheit" glauben, an einen Fortfall der Unterschiede und eine Angleichung, irgendwann. Aber dass der eine gebrauchen kann, was nur der andere weiß, das berichtet auch dieses Buch. Wenn es um ihre junge und noch immer prekäre Einheit geht, verdanken die Deutschen ihren Schriftstellern und Historikern mehr, als auf den zentralen Feiern zugestanden wird. Aber auch das ist ein Echo bloß, diesmal der Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts.

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