Deutsch-türkische Beziehungen:Zorn spricht aus Sigmar Gabriel

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Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) ist wütend auf die Türkei. (Foto: dpa)
  • Nach Monaten der Attacken durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wird Berlin seine Türkei-Politik "neu ausrichten".
  • Die Bundesregierung will Ankara klarmachen, dass es spätestens mit der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner eine rote Linie überschritten hat.
  • Weil die Bundestagswahl naht, muss bei allem, was passiert, auch die Frage gestellt werden: Wer verspricht sich was davon?

Von Stefan Braun und Christoph Hickmann, Berlin

Es passiert nicht alle Tage, dass eine Pressekonferenz im Auswärtigen Amt mit einer Umarmung beginnt. Und wenn so etwas vor Dutzenden Journalisten geschieht, ist es kein Zufall, sondern eine politische Botschaft. Der SPD-Außenminister drückt den SPD-Kanzlerkandidaten - da soll keiner mehr auf die Idee kommen, Sigmar Gabriel und Martin Schulz könnte auch nur der kleinste Konflikt plagen.

Stellt sich nur die Frage, warum die beiden das nötig haben. Unmittelbar vor einer Pressekonferenz, in der es nicht um Verbrüderungen geht, sondern um den Abschied von einem Partner. Einem Partner, der zum Gegner wurde und seit Monaten vom Bosporus aus Richtung Berlin wütet. Einem Partner, der so lange mit der Geduld Angela Merkels, Frank-Walter Steinmeiers und Gabriels spielte, bis denen der Geduldsfaden gerissen ist. So kann man zusammenfassen, was in der Bundesregierung mit Blick auf die Türkei passiert ist.

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Es reicht. Die Bundesregierung will sich nicht länger gefallen lassen, wie die Türkei mit Deutschen und Deutschland umgeht. Nach viel Ärger ist das richtig - auch wenn die verschärften Reisehinweise anderswo Probleme schaffen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Nach Monaten der Attacken durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, in denen immer wieder deutsche Staatsbürger ohne Begründung in türkischen Gefängnissen gelandet sind, wird Berlin seine Türkei-Politik "neu ausrichten". Zorn spricht aus Gabriel, als er das vorträgt. Und das Interesse, Ankara klarzumachen, dass es spätestens mit der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner eine rote Linie überschritten hat. Steudtner sei als Berater auf eine Konferenz eingeladen gewesen; er habe sich nie zu den Verhältnissen in der Türkei geäußert, habe keine Kontakte ins Land, er sei nicht "als Kritiker in Erscheinung getreten". Gabriel erzählt das ausführlich, weil er deutlich machen will, dass Berlin auch diese Verhaftung von Anfang Juli genau geprüft hat vor der Änderung seines Kurses.

Der Minister macht ein Dementi, das kein Dementi ist

Gabriels Mantra: "Immer wieder haben wir versucht, mit Ankara ins Gespräch zu kommen; immer wieder sind wir enttäuscht worden." Deshalb könne man gar nicht mehr anders reagieren. Zumal es nicht nur die verbalen Attacken und die Verhaftungen gegeben hat, sondern auch ein unmoralisches Angebot, das Berlin besonders erzürnte. Das informelle türkische Angebot, Putschgeneräle gegen verhaftete Journalisten auszutauschen. Öffentlich darüber gesprochen hat niemand, und als Gabriel danach gefragt wird, erklärt er, er kenne "keine offizielle Anfrage" und habe auch am Telefon nicht von einer solchen erfahren. Gleichzeitig vermeidet er aber das totale Dementi, weil ihm nicht verborgen geblieben ist, dass die türkische Seite dies informell versucht hat. Bislang hat die Bundesregierung das prinzipiell zurückgewiesen. Eine konkrete Debatte aber wollte sie vermeiden, weil sie ahnt, dass solche Angebote in Deutschland auf noch mehr Entrüstung stoßen und bei den Angehörigen der Verhafteten zugleich unerfüllbare Hoffnungen wecken könnten.

Also hat Berlin gleich mehreres entschieden: Erstens sind die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes verschärft worden. Auch wenn Berlin noch von einer Reisewarnung absieht, wie sie vor allem für Bürgerkriegsländer wie Jemen oder Afghanistan gilt, warnt die Regierung im Grundsatz alle Deutschen davor, ohne Vorsichtsmaßnahmen in die Türkei zu reisen. Gabriel betonte sogar, man könne es für keinen Deutschen mehr ausschließen, dass er grundlos verhaftet werde und unter fadenscheinigen Begründungen ins Gefängnis komme.

Zweitens betonte Gabriel, die Bundesregierung könne Investitionen in dem Land nicht mehr empfehlen, da auch deutsche Firmen in den Verdacht der Terror-Komplizenschaft geraten seien. Schließlich will Berlin in der EU die Vor-Beitrittshilfen für die Türkei "diskutieren", was im Klartext heißt: Berlin will sie beenden.

Gabriel wittert sofort, wo er für seine Partei Themen besetzen muss

So klar ist das alles, dass Ankara prompt ziemlich zornig reagiert hat. Der Konflikt mit der Türkei ist aber nicht alles. Hinzu kommt, dass die Bundestagswahl naht. Weshalb bei allem, was hier passiert, auch die Frage gestellt werden muss: Wer verspricht sich was davon? In der SPD nämlich fühlt man sich dieser Tage an die Wahlkämpfe 2009 und 2013 erinnert. 2009 war Sigmar Gabriel Umweltminister und stemmte sich mit einer furiosen Anti-Atom-Kampagne gegen die absehbare Niederlage des damaligen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. 2013 funkte er als Parteichef beständig dem Kandidaten Peer Steinbrück dazwischen - so sehr, dass der ihn öffentlich zur Ordnung rief. Und auch jetzt ist Gabriel nicht der SPD-Kandidat, er wittert es aber sofort, wenn es gilt, Themen zu besetzen. Das war beim Thema G 20 so: Unmittelbar vor dem Gipfel schlug er vor, das Format künftig an die Vereinten Nationen anzubinden; unmittelbar danach griff er die Kanzlerin an, weil die sich nach den Krawallen aus seiner Sicht einen schlanken Fuß machte.

Natürlich konnte Gabriel nun nicht anders, als sich zu den Vorfällen in der Türkei zu verhalten, sein Amt als Außenminister wahrzunehmen. Und er prescht nicht allein vor, sondern hat sich mit Angela Merkel abgesprochen. Und doch wäre Gabriel nicht Gabriel, wenn er nicht zugleich die Wirkung auf den Wähler im Blick hätte. Wenn der Außenminister seinen Urlaub unterbricht, um sich für die Freilassung eines Deutschen einzusetzen und Entschlossenheit gegenüber der Türkei zu signalisieren, dann kommt das potenziell gut an.

Derzeit ist es Gabriel, der trotz aller Bemühungen des Kandidaten Schulz das Bild der SPD entscheidend prägt. Der Vorstoß vor dem G-20-Treffen war, auch wenn Schulz mit dabei war, seine Idee. Und der Auftritt des Kandidaten Schulz im Auswärtigen Amt am Donnerstag passt ins Bild: Eigentlich müsste er es sein, der den Außenminister zu sich kommen lässt. Stattdessen wirkt es, als sei Gabriel weiter der Chef. Was damit zu tun haben könnte, dass Schulz an einem Tag ganz laut gebrüllt hat und am nächsten schon wieder sehr leise auftritt. Am Mittwoch attackierte er die Kanzlerin und erklärte, ihre Türkei-Politik sei zu weich und gescheitert; am Donnerstag verständigte er sich mit Merkel und Gabriel auf eine neue Linie, ganz so, als hätte es seine Attacken nie gegeben. Gabriel erklärt dazu, eine verlässliche deutsche Außenpolitik sei "ein Wert an sich". Was nicht falsch ist, sondern seinen Kanzlerkandidaten nur ein bisschen spät erreicht hat.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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