SZ-Wahlzentrale:Schulz' Youtube-Auftritt im Check

  • Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel gab nun auch Herausforderer Martin Schulz ein Live-Interview auf Youtube.
  • Eine Stunde lang wurde der SPD-Kanzlerkandidat von vier bekannten Youtubern befragt.
  • Nihan, ItsColeSlaw, MrWissen2Go und MarcelScorpion haben zusammen etwa 2,75 Millionen Abonnenten.

Von Benedikt Peters, Berlin, und Matthias Kolb

Wie viele Interviews Martin Schulz in diesem Bundestagswahlkampf schon absolviert hat, das weiß er vermutlich selbst nicht genau. Es dürften Dutzende, wenn nicht Hunderte sein. Was heute passiert, ist aber dennoch eine Premiere für den SPD-Kanzlerkandidaten: Schulz stellt sich den Fragen vier bekannter Youtuber - und das live, im Studio der Videoplattform in Berlin-Tempelhof (hier gehts zum Live-Video). Kanzlerin Angela Merkel hatte bereits Mitte August ihr erstes Live-Interview auf Youtube gegeben (hier ihr Auftritt im SZ-Check).

Schulz, der in den Umfragen hinten liegt, kann sich Hoffnungen machen, mit seinem Interview viele junge Menschen zu erreichen. Seine vier Gesprächspartner sind auf Youtube einflussreich. Zusammen haben etwa 2,75 Millionen Menschen ihre Kanäle abonniert. MarcelScorpion, 23, erzählt seinem Publikum gern von Videospielen und macht Straßenumfragen. Nihan, 26, gibt Schönheitstipps. Lisa Sophie alias ItsColeSlaw ist Journalistin beim WDR und spricht auf ihrem Videoblog zum Beispiel über Menstruation und peinliche Sexgeschichten. Und der 31-jährige Mirko Drotschmann versucht als MrWissen2Go Teenagern, politische Themen zu erklären. Ebenso wie ItsColeSlaw war er schon beim Merkel-Interview dabei, Nihan und MarcelScorpion hingegen sind Neulinge. Mehr Informationen über die Youtuber gibt es hier.

Thema: Integration

Die ersten Fragen stellt Nihan und macht gleich klar, dass sie von Integrationsthemen stark betroffen ist. Ihr Großvater kam in den 60er Jahren als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland, erzählt sie - und ihre Oma, inzwischen 84, kann noch immer nicht richtig deutsch. "Was wollen Sie tun, damit keine Parallelgesellschaften entstehen?" Schulz antwortet zunächst, er wolle als Bundeskanzler den Sprachunterricht ausbauen. Für Kinder mit Migrationshintergrund solle er schon in der Kita beginnen. Mit Blick auf die 1960er und 1970er Jahre sagt er: "Da sind sicher Fehler gemacht worden in der Vergangenheit." Was er hingegen nicht sagt, ist, dass auch die SPD diese Fehler zu verantworten hat. Ab 1966 regierte die SPD im Bund mit, und 1969 übernahm der Sozialdemokrat Willy Brandt das Kanzleramt. Sowohl das Arbeits- als auch das Familienministerium wurden in dieser Zeit von Sozialdemokraten geführt.

Thema: Ausländerfeindlichkeit

Interviewerin Nihan schildert, dass sie seit zwei Jahren das Gefühl habe, wegen ihrer türkischen Herkunft und ihres Aussehens diskriminiert zu werden. Sie will wissen, was Schulz gegen Ausländerfeindlichkeit machen werde. Der SPD-Kandidat bestätigt den Eindruck der Youtuberin: "Die Fremdenfeindlichkeit wächst, nicht nur Sie machen die Erfahrung". Er meint den Grund zu kennen. Die AfD schüre dieses Gefühl, sagt der SPD-Kandidat und will dies nicht hinnehmen: "Ich kämpfe gegen die AfD." Das stimmt: In seinen Reden kritisiert Schulz seit Langem immer wieder scharf die AfD. Er wirft der Partei vor, die Gesellschaft spalten zu wollen. Der 61-Jährige fordert im Gespräch mit Nihan, dass der Respekt für alle im Mittelpunkt stehen müsse.

Thema: Türkei

Im Interview spricht Schulz auch über das derzeit schwierige Verhältnis zur Türkei. Er fordert angesichts der Verhaftungen deutscher Staatsbürger, man müsse mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan stärker Klartext sprechen. Das lässt sich auch als Kritik an seiner eigenen Partei verstehen. Schließlich ist sein Parteifreund Sigmar Gabriel derzeit Außenminister - und hatte erst Ende Juli ein härteres Vorgehen gegenüber Ankara angekündigt. Nihan spricht den SPD-Kandidaten auch auf eine seiner Äußerungen aus dem TV-Duell an: Als Bundeskanzler, sagte Schulz dort, werde er die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen. Anders als am vergangenen Sonntag korrigiert Schulz dieses Mal diese Äußerung nicht. Der Bundeskanzler kann den Abbruch der Verhandlungen gar nicht allein herbeiführen. Es braucht dafür eine gemeinsame Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten.

Thema: Soziale Gerechtigkeit

Als nächstes ist MrWissen2Go dran. Der SPD-Kandidat attackiert im Gespräch mit ihm den Koalitionspartner Union, der die Ideen seiner Partei in diesem Themenfeld blockiere. So sollte etwa die Rückkehr von Frauen nach einer Schwangerschaft in den Beruf schneller gehen. In diesem Punkt mag Schulz recht haben, bei anderen Punkten aber hält sein Blockadevorwurf nicht stand. Beispiel Mindestlohn: Den haben CDU/CSU und SPD gemeinsam eingeführt. Ans junge Publikum gerichtet kündigt Schulz an, eine "Mindestausbildungsvergütung" als Bundeskanzler durchsetzen zu wollen. Klingt gut, aber Details nennt Schulz nicht. Weitere Ideen: Die Bundesagentur für Arbeit solle mehr bei der Qualifizierung helfen, fordert Schulz. Deutlich mehr Druck auf die Langzeitarbeitslosen will der SPD-Mann nicht ausüben: Diese seien schwer vermittelbar und bräuchten Hilfen, etwa in einem "sozialen Arbeitsmarkt".

Thema: Donald Trump

Seit Wochen kritisiert der SPD-Kandidat den US-Präsidenten. Was er im Umgang mit Donald Trump anders machen würde, will MrWissen2Go wissen. Schulz sagt, er hätte Trump als Kanzler nach den Ausschreitungen in Charlottesville gesagt: "Dass Sie sich nicht von einem radikalen Mob distanzieren, der Hakenkreuzfahnen trägt, das kann eine deutsche Regierung nicht akzeptieren." Das ist ein klares Statement, aber auch Kanzlerin Merkel hatte Mitte August deutliche Worte gefunden und die "rassistische, rechtsextreme Gewalt" verurteilt. Sie sagte: "Das ist schrecklich, das ist böse." Trump-Bashing ist populär in Deutschland, das weiß auch Martin Schulz, aber er erinnert daran, dass das nicht alles sein kann. So zeigt sich Schulz zwar verärgert über die Praxis der USA, Deutsche (inklusive Bundeskanzlerin Merkel) durch US-Geheimdienste wie die NSA abhören zu lassen. Aber er sagt eben auch: "Das war allerdings schon unter Barack Obama. Das zeigt, wie kompliziert alles ist."

Thema: Cannabis

MrWissen2Go stellt noch eine Frage: Ob es nicht ein Widerspruch sei, dass Cannabis in der Bundesrepublik verboten sei, obwohl die Droge weniger Schaden anrichte als Alkohol. Das bestätigt auch der jüngste Drogenbericht der Bundesregierung. Die Bundesdrogenbeauftragte sagte bei der Vorstellung des Berichts, dass legale Drogen wie Alkohol und Tabak noch immer den größten Schaden anrichteten. MrWissen2Go fragt: Wäre es da nicht nur konsequent, die Droge zu legalisieren? Schulz äußert Verständnis für diese Ansicht. Aus persönlichen Gründen aber sehe er die Sache anders. Angesichts seiner Lebensgeschichte könne er nicht befürworten, eine weitere Droge in Deutschland zuzulassen. Er spielt damit auf den weithin bekannten Umstand an, dass er als junger Mann alkoholkrank war. Er verspricht, als Kanzler würde er eine Bundestags-Abstimmung über die Legalisierung von Cannabis zur Gewissensentscheidung machen. Die Fraktionsdisziplin der Abgeordneten wäre damit aufgehoben. Das war zuletzt bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe der Fall.

Thema: Digitalisierung

Der dritte Interviewer ist MarcelScorpion. Er kritisiert, dass Deutschland beim Breitbandausbau starken Nachholbedarf habe - und dass dies vor allem zu Lasten der jungen Menschen in Deutschland gehe. "Mein Leben und das vieler anderer spielt sich im Internet ab." Schulz verspricht, er werde als Kanzler dafür sorgen, dass die Infrastruktur ausgebaut werde. Über den aktuellen Zustand gibt er sich empört. Beim Breitbandausbau liege Deutschland derzeit sogar "hinter Mexiko und Chile". Ein eigenes "Digitalministerium" kann sich Schulz zudem gut vorstellen. Dieses sollte aus seiner Sicht neben dem Ausbau der Infrastruktur für Internet und Mobilfunk zwei weitere Aufgaben erfüllen. Erstens: Die Gesellschaft müsse erkennen, dass das Thema keine Nische sei. "Alles ist digital". Zweitens solle es dazu beitragen, dass die Debatte über digitale Zukunft in Deutschland nicht mehr vor allem als Gefahrendebatte geführt werde. Das klingt ein bisschen nach der Forderung, die auf manchen FDP-Plakaten zu lesen ist: "Digital first. Bedenken second."

Thema: Bildung

Zum Schluss ist die Youtuberin ItsColeslaw dran. Sie hat schon Merkel zu Bildung in Deutschland befragt und darüber spricht sie auch mit Schulz. Bildung soll unter ihm als Kanzler eine "Gemeinschaftsaufgabe" von Bund und Ländern sein, das Kooperationsverbot sollte aufgehoben werden. Schulz spricht sich für ein neunjähriges Gymnasium aus - und outet sich als Fan von Gesamtschulen. Bereits in der Grundschule sollten die Kinder eine gute digitale Bildung erhalten. Darüber hatte auch die Kanzlerin Mitte August gesprochen. Im Youtube-Gespräch hatte sie auf den "Digitalpakt#D" von Bildungsministerin Johanna Wanka verwiesen. Für Deutschlands Schulen sollten demnach fünf Milliarden Euro für Hardware und Internetanschlüsse zur Verfügung gestellt werden, doch in Sachen Finanzierung tauchten zuletzt Unstimmigkeiten auf. Zurück zu Schulz: Der gibt sich in einer Sache recht flexibel. Er halte es für denkbar, dass der Unterricht gerade an weiterführenden Schulen auch später als um acht Uhr anfangen könnte, auch wenn der frühe Beginn für berufstätige Eltern praktisch sei. Dieses Verständnis dürfte bei manch einem Teenager gut ankommen.

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