14 Uhr, Arbeitsamt München
Am Münchner Arbeitsamt trifft man an diesem Tag zufälligerweise gleich mehrere Menschen, die nicht wählen waren. Ein Mann am Schalter der Berufsinformation dreht sich kurz um, schnaubt und sagt dann: "Ich sage dazu nichts, ich bin Österreicher." Seine Kollegin schüttelt genervt den Kopf. Nein, das Wahlergebnis möchte man nicht kommentieren.
Die Finnin Matleena, die eigentlich anders heißt, aber ihren Namen nicht in einem Artikel lesen möchte, schiebt ihre kleine Tochter im Sportbuggy durchs Foyer. "Ich habe nicht gewählt, ich bin ja nicht wahlberechtigt." Aber sie hat vom Wahlergebnis gehört - und gleich an ihre Heimat gedacht. "In Finnland ist vor zwei Jahren genau das Gleiche passiert. Damals waren alle geschockt, weil keiner damit wirklich gerechnet hatte."
Die rechtspopulistische Partei Perussuomalaiset ("Die Finnen") wurde bei der Parlamentswahl 2015 drittstärkste Kraft. Jetzt herrsche in ihrem Heimatland politischer Stillstand. "So empfinden es jedenfalls viele Finnen. Die Parteien blockieren sich gegenseitig, es geht kaum etwas voran", erzählt Matleena.
Da unterbricht eine Mitarbeiterin der Arbeitsagentur: "Keine Befragungen hier." Das Gespräch wird nach draußen verlegt, aber auch auf dem Platz vor dem großem Gebäude darf das Interview nicht fortgesetzt werden. Der Bürgersteig ist zum Glück gleich nebenan.
Seit zehn Jahren lebt Matleena in München, die 29-Jährige fühlt sich hier sehr wohl. Aber: "Als Ausländer denkt man natürlich erst mal: Wie wird das die nächsten Jahre werden?" Eine Verwandte von ihr lebt in England. Matleen erzählt, wie die nach dem Brexit mit Anfeindungen zu kämpfen hatte. "Ich bin gespannt, aber hier wird es hoffentlich nicht so krass werden. Die Münchner sind anders", sagt Matleena und verabschiedet sich mit ihrer Tochter Richtung Spielplatz. Von Jana Stegemann
VW-Werk für Nutzfahrzeuge in Hannover: Das Werk steht im Stadtteil Stöcken, nicht gerade dem schicksten Viertel der Stadt.
(Foto: dpa)13.50 Uhr, Hannover-Stöcken
Im Hintergrund erheben sich die rot-braunen Backsteingebäude, davor steht Carola Dittmann. Es ist Schichtwechsel am großen VW-Werk in Hannover-Stöcken, ein paar Tausend Arbeiter strömen heraus, ein paar Tausend gehen hinein. Carola Dittmann hat kurz Halt gemacht, sie wirkt noch frisch, obwohl ihre Frühschicht um sechs Uhr begonnen hat. Sie mag Ende 40 sein, hat noch einige Jahre bis zur Rente. Auch sie bewegt, was sich am Sonntag in Deutschland abgespielt hat.
Ob sie mit dem starken Ergebnis der AfD gerechnet hat? Ein lang gezogenes "Neeeiiiin" kommt aus Dittmanns Mund. Den Angestellten bei VW wird traditionell eher eine Nähe zur SPD nachgesagt, trotzdem ist heute morgen am Band nicht das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten das große Thema gewesen. Eher die AfD. "Es war ja abzusehen, aber dass es so schlimm wird...", sagt Dittmann. Sie hat mit deutschnationalen Parolen und Stimmungsmache gegen Geflüchtete wenig am Hut, viele ihrer Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Der "Schock" sei greifbar gewesen, sagt sie.
Natürlich hat Dittmann auch eine Meinung zur SPD. Das VW-Werk in Hannover steht im Stadtteil Stöcken, nicht gerade dem allerschicksten Viertel der Stadt. Den Wahlkreis hier gewinnt traditionell die SPD, vor zwölf Jahren mit mehr als 50 Prozent, diesmal sind es noch 35 Prozent, die der SPD-Spitzenkandidatin per Direktmandat in den Bundestag verhelfen. Den angekündigten Gang der Partei in die Opposition findet Dittmann "völlig in Ordnung", aus einfachem Grund: "Die machen sich sonst unglaubwürdig."
Die Krux daran ist natürlich, dass sich mit SPD und Linken in der Opposition in den kommenden vier Jahren beim für Carola Dittmann wichtigsten Thema nicht viel tun wird: bei der Rente. Es ist eine Urangst auch bei den VW-Mitarbeitern, dass nach langem Arbeitsleben im Alter zu wenig übrig sein könnte. "Wer 45 Jahre gearbeitet hat, muss doch in der Rente davon leben können", sagt Dittmann, ein bisschen wütend. Sie selbst mag nicht jammern, vielen gehe es sicher schlechter. "Wenn ich da an eine einfache Verkäuferin denke...", sagt sie, beendet den Satz lieber nicht.
Für die SPD hat sie eine Hoffnung: dass sich die Partei in der Opposition erholt. Und die Dinge danach richtig anpackt. Ob dies mit Martin Schulz als Parteivorsitzendem möglich ist? "Schwiiierig", dehnt Dittmann das Wort wieder, gibt sich die Antwort, ob Schulz bleiben soll, dann aber selbst: "Geht eigentlich nicht, so wie der eine übergebraten gekriegt hat." Dann verschwindet sie auf dem riesigen Parkplatz vor dem Werk zum Auto. Von Carsten Scheele