Süddeutsche Zeitung

Merkels Sommer-PK:Die Kunst der Kanzlerin

Angela Merkel zeigt auf ihrer Sommer-Pressekonferenz, was sie am besten kann: Alles an sich abperlen lassen. Selten ruhte sie so sehr in sich wie bei diesem Auftritt. Für Martin Schulz ist das keine gute Botschaft.

Von Stefan Braun, Berlin

Man hat in zwölf Jahren Kanzlerschaft schon manches erlebt mit Angela Merkel. Aber dass sie einen Stier gleich vorneweg bei den Hörnern packt, ist doch etwas Neues. Am Dienstag, beim jährlichen Auftritt vor der Hauptstadtpresse, hat sie genau das getan: Sie hatte kaum Platz genommen, schon kam sie aufs ganz große Thema Flüchtlinge zu sprechen.

Lange fürchteten die CDU-Strategen, diese Debatte könnte im Wahlkampf gefährlich werden. Das, so scheint es, ist inzwischen eine Sicht von gestern. Was damit zu tun haben könnte, dass die Flüchtlingszahlen seit einigen Wochen sinken. Die entscheidende Rolle aber dürfte etwas anderes spielen: Diese Kanzlerin ruht in sich wie vielleicht noch nie in ihrem Politikerleben. Und das gilt nicht nur für Fragen zum Stahlstandort, zur Bildungspolitik oder zum Türkei-Kurs. Es gilt auch für das heikelste Thema ihrer Amtszeit.

Und so erzählt sie also gleich zu Beginn, wie es am Montag gelaufen ist beim Flüchtlingsgipfel in Frankreich. Gemeinsam mit den Kollegen aus Italien, Spanien, dem Niger, dem Tschad und Libyen habe sie sich der Frage angenommen, wie man das Problem von Flucht und Vertreibung "im Geist der Flüchtlinge" lösen könne, wie man "das Sterben im Mittelmeer" verhindern und den Schleppern und Schleusern das Handwerk legen könne. Natürlich gebe es dafür Maßstäbe, das internationale Recht stehe dabei ganz vorne.

Merkel scheint sich auf jedes Thema penibel vorbereitet zu haben

Schöne Worte wählt die Kanzlerin und zeigt schon in den ersten Minuten ihre Fähigkeit, Themen so sanft zu verpacken, dass sich beim Zuhörer, wenn er nicht aufpasst, das Gefühl einschleicht: Ach, so schlimm ist's ja vielleicht doch nicht. Und: Ach, irgendwie wird's schon gelöst werden. Dabei ist nicht viel erreicht und das Problem noch lange nicht aus der Welt. Aber dadurch, dass Merkel es gleich vorneweg abräumt, schwindet die Spannung, was sie wohl zu diesem für sie nicht ganz leichten Thema sagen würde.

Später wird sie noch einmal nach allem gefragt, vor allem, welche ethischen Bedenken sie eigentlich umtreiben, wenn sie mit Autokraten, Diktatoren oder schmutzigen Milizen kooperieren müsse. Doch auch darauf hat die Kanzlerin eine Antwort - eine im Übrigen, die mit Sicherheit schon vorher in ihrem Block stand. Ja, vieles sei schwierig und mühsam und alles andere als einfach. Außerdem könne man sich natürlich zurücklehnen und erklären, mit denen tue man gar nichts.

Aber, so Merkel, "das wäre doch grundfalsch". Deshalb sei für sie bei allem nur eines entscheidend: "Geht es hinterher einigen Menschen besser als vorher?" Kleine Schritte, langsame Erfolge - anders sei das alles halt nicht zu lösen. Man hätte es vor Merkels Auftritt nicht unbedingt erwartet, aber das Thema wird an diesem Tag nicht ihre Baustelle.

Und sollte jemand gedacht haben, die Frau habe sich nur darauf und ansonsten auf eher allgemeine Fragen vorbereitet, wird endgültig eines Besseren belehrt. Denn auch in der Diesel-Affäre wartet sie nicht lange auf Fragen, Zweifel, kritische Töne, sondern redet sofort selbst drüber. Und dabei spricht sie nicht allgemein über dieses und jenes technische Problem. Sie räumt ein, dass sie die Wut und Empörung der Menschen verstehe, ja selbst teile. Deshalb sei es auch nicht möglich, zur Tagesordnung überzugehen mit den Autokonzernen. "Es muss schon viel getan werden, um das Vertrauen der Menschen zurückzuholen." Politische Empathie ist nicht Merkels größte Stärke. Aber im Wahlkampf arbeitet sie selbst daran.

Dabei geht anderes beinahe unter. Zum Beispiel ihre Aussage, dass Diesel- und Verbrennungsmotoren noch "über Jahrzehnte" eine Rolle spielen würden. Oder dass sie daran zweifelt, ob eine Hardware-Nachrüstung wirklich sinnvoll wäre, weil man damit viele Ingenieure binden würde, die man eigentlich für die Entwicklung ganz neuer Techniken bräuchte. Ein Argument, das zunächst fast einleuchtet und später grübeln lässt. Hängen bleibt trotzdem zuallererst, dass auch die Kanzlerin sich über die Diesel-Affäre empört hat. Wer will da noch was entgegen halten. Clever sein und glatt - das kann Merkel.

Was in rund 90 Minuten danach folgt, ist erstens eine Demonstration davon, dass Merkel nach zwölf Jahren im Amt über den Stahlstandort genauso detailliert reden kann wie über die Türkei-Politik, die Sanktionen gegen Russland oder die Bildungspolitik in Deutschland. Und es ist zweitens eine Demonstration Merkel'scher Art, mit dem politischen Gegner umzugehen. Zunächst antwortet sie lächelnd auf die Vorhaltung, sie habe den Namen Martin Schulz kaum in den Mund genommen: "Ich habe ihn jetzt einmal erwähnt, sonst wäre die Frage in einer halben Stunde gekommen."

Dann räumt sie binnen Sekunden dessen Forderung ab, im Streit mit Ankara Verhandlungen über eine erweiterte Zollunion auszusetzen. Das sei zwar schade, aber nicht anders zu machen. Und das werde sie gleich am Mittwoch dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker klar machen. "Ich bedauere das, aber ich halte es für geboten."

Nicht minder geschmeidig geht sie mit dem Ruf der SPD nach Sammelklagen in der Diesel-Affäre um. Bedauerlich sei halt, dass der SPD-Justizminister bei seinem Vorschlag nicht das übernommen habe, was es im Kapitalmarkt schon gebe. Deshalb müsse man noch mal neu prüfen, was wirklich gehe.

Ein bisschen schmallippig und vorsichtig wird Merkel aber dann doch noch

Und dann nimmt sie sich den jüngsten Vorschlag von Schulz vor. Er hatte am Montag einen Plan vorgelegt, wie der Bund künftig bei Schulen und Bildung mehr tun sollte. Schnell kann man erkennen, dass sich die Kanzlerin noch am Montag die wichtigsten Infos hat zukommen lassen. Und so zählt sie auf, dass kaputte Schulgebäude längst mit Bundesmitteln renoviert würden; 3,5 Milliarden Euro habe man schon gegeben, weitere 3,5 Milliarden werde es oben drauf geben. Im Übrigen sei das so genannte Kooperationsverbot schon gelockert worden; dafür habe auch sie selbst hart gekämpft, und zwar in den eigenen Reihen. Und wenn man nun andere Finanzhilfen wie das Meister-Bafög noch hinzunehme, komme man "ungefähr auf die gleiche Summe", die die Sozialdemokraten vorgeschlagen hätten. Hase und Igel-Spiel - und Merkel ist schon da gewesen.

Ist die Kanzlerin also unantastbar? Fast hätte man den Eindruck bekommen können. Zumal sie die Kritik an ihrer Nutzung von Hubschraubern auch für Wahlkampfauftritte trocken konterte mit dem Hinweis, das habe Gerhard Schröder 2005 aufgrund der Zwänge des Amtes genauso gehandhabt. Ein bisschen schmallippig und vorsichtig wird sie aber dann doch noch. Und zwar, als es um ihre engsten Mitarbeiter geht, die im Wahlkampf neben dem Gehalt im Kanzleramt auch noch einen Mini-Job von der Partei bezahlt bekommen. Man habe überlegt, wie man deren Engagement transparent machen könne, erklärt sie und klingt tatsächlich ein wenig nachdenklich. Inzwischen aber werde der Rechnungshof die Sache prüfen, und das sei nur zu begrüßen.

Es ist ein kleiner, ein kurzer Moment in anderthalb Stunden, die ansonsten von einem anderen Gefühl geprägt sind. "Ich führe mein Amt gerne aus", sagt die Kanzlerin an einer Stelle. Das ist tatsächlich selten so glaubhaft rübergekommen wie diesmal.

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