Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 2:Wie Flüchtlinge das Mieten lernen

Angesichts der Wohnungsnot in Deutschland tun sich anerkannte Flüchtlinge besonders schwer, eine eigene Bleibe zu finden. In Augsburg werden sie deshalb systematisch vorbereitet.

Von Bernd Kastner, Augsburg

Am Anfang stehen solche Worte: Wohnberechtigungsschein. Bruttokaltmiete. Teilmöbliert. Es sind Begriffe wie Barrieren, und dann noch diese Kürzel: 2ZKB. EBK. NK. Wer in Deutschland eine Wohnung sucht, muss das dechiffrieren können - zwei Zimmer, Küche, Bad, Einbauküche, Nebenkosten. Christine von Gropper steht neben dem hellen Licht, das der Beamer an die Wand wirft, erklärt Wort für Wort, unterstreicht mit Gesten das Gesagte. Vor ihr sitzen acht Zuhörer, sie kommen aus Iran, Russland, Nigeria, Sierra Leone und Eritrea. Eine junge Mutter hat ihr kleines Kind dabei, es quengelt und lenkt alle ab, wie soll es auch ahnen, dass für die Mama und die anderen so wichtig ist, was sie hier lernen, im "Mietbefähigungskurs". Noch so ein wunderliches Wort. Das Wohnprojekt Augsburg bietet diesen Wegweiser durch die Welt der Ämter und Annoncen an. Das Ziel ist eine eigene Wohnung.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

"Ganz wichtig!" Das sagt Christine von Gropper immer wieder, um fatale Fehler zu verhindern. "Ganz wichtig: Bitte nie vorher unterschreiben." Zuerst müsse das Jobcenter das Anmieten einer Wohnung genehmigen, nur dann übernehme es auch die Kosten. Es gibt genaue Regeln, ein Alleinstehender bekommt in Augsburg maximal 50 Quadratmeter finanziert für höchstens 477,40 Euro, Bruttokaltmiete. Bruttowas? Nebenkosten ohne Strom- und Heizkosten. Apropos Heizung: "Bitte Vorsicht", sagt die Migrationsberaterin von Gropper. Vorsicht vor Elektroheizungen, "die sind irrsinnig teuer". Alles will gelernt sein, das Suchen, das Finden - und das Wohnen.

In den ersten Monaten wird jeder Asylbewerber mit dem Nötigsten versorgt, Essen und ein Bett gibt es in der Erstaufnahme. Sobald aber feststeht, dass jemand bleiben darf, wartet die besondere Herausforderung, eine eigene Bleibe zu finden. In den Ballungsräumen gibt es kaum günstige Wohnungen. Die eigenen vier Wände - für Flüchtlinge sind sie Voraussetzung, um wirklich anzukommen in Deutschland. Corinna Höckesfeld leitet das Wohnprojekt Augsburg, eine Kooperation der Diakonie und des mehrfach ausgezeichneten Integrationsvereins "Tür an Tür", für den Haupt- und Ehrenamtliche arbeiten: Jemand, der einen ersten Job gefunden hat, erklärt Höckesfeld, jemand, der acht Stunden am Tag arbeitet, nebenher noch einen Deutschkurs besucht und womöglich mit Traumata zu kämpfen hat, der brauche einen Ort, um zur Ruhe zu kommen.

In unzähligen Helferkreisen in ganz Deutschland unterstützen Ehrenamtliche Flüchtlinge bei der Wohnungssuche. Christian Gerlinger, im städtischen Sozialreferat in Augsburg für Asyl zuständig, weiß das zu schätzen: "Die Wohnungssuche ist das zentrale Thema." Gut 1000 Flüchtlinge lebten in Augsburg noch in städtischen Unterkünften, sagt er, von ihnen dürften mehr als 700 ausziehen. Sie und ein paar Hundert weitere aus staatlichen Heimen reihen sich in Augsburg ein in die lange Schlange der Wohnungssuchenden.

So alltäglich die ehrenamtliche Hilfe bei der Wohnungssuche ist, nur selten werden Migranten so systematisch aufs Mieten vorbereitet wie bei "Tür an Tür". Die hauptamtliche Migrationsberaterin Christine von Gropper erklärt auch, was man als typisch deutsch abtun könnte, was aber wichtig ist fürs gedeihliche Zusammenleben, Mülltrennung, Hausordnung. Sie erläutert, dass das Jobcenter erst mal die Kaution übernimmt, dass sie aber nach und nach von der Sozialhilfe abgezogen wird. Wer auszieht, bekommt die Kaution zurück - und dann? Bloß nicht ausgeben! Legt das Geld zur Seite für die nächste Wohnung, da wird wieder Kaution fällig.

Der Musterbrief ähnelt einer Bewerbung für einen Job. Nur, dass der leichter zu kriegen ist

In der Mappe für die Kursteilnehmer findet sich auch ein Musterbrief an potenzielle Vermieter: "Unser größter Wunsch ist, endlich eine eigene Wohnung mit mehr Platz für uns und unsere Kinder zu finden, wo sie auch in Ruhe lernen können." Der Brief ähnelt einem Bewerbungsschreiben für einen neuen Job, nur dass dieser für viele einfacher zu finden ist. Deshalb bringt das Wohnprojekt Flüchtlinge und Ehrenamtliche zusammen: "Ohne deren Hilfe würde kaum eine Wohnung an Flüchtlinge vermietet werden", sagt Corinna Höckesfeld. Viele Vermieter hätten nichts gegen einen Flüchtling, berichtet sie, fragten sich aber: Wie komme ich an mein Geld? Und was, wenn es mal Ärger gibt?

Dann sind Helfer wie Marina Heim, 57, da. Sie ist vor zwei Jahren aus dem Beruf ausgestiegen, des Stresses wegen, und investiert nun ihre freie Zeit in ehrenamtliches Engagement. Sie unterstützt Flüchtlinge nicht nur beim Schreiben von Bewerbungsmails, sie ist auch nach dem Einzug für Mieter und Vermieter da, vermittelt, wenn nötig. Sie erzählt von einem typischen Alltagsproblem: Ein Vermieter ärgert sich über die vielen Schuhe im Treppenhaus einer Flüchtlingsfamilie. Heim erklärt ihm, dass die Leute dies so gewohnt sind, und dass dafür die Wohnung besonders sauber sei, weil sie nicht mit Straßenschuhen reingehen. Am Ende einigt man sich so: Die Schuhe bleiben vor der Tür, kommen aber in ein Regal.

Zu Marina Heim und den anderen Miet-paten darf kommen, wer den dreieinhalbstündigen Mietkurs absolviert hat. Mit einem Zertifikat können die Flüchtlinge ein paar Meter weiter ins Mietcafé gehen, das alles findet in einem umgebauten Tramdepot statt. Jeden Freitag setzen sich Ehrenamtliche mit Wohnungssuchenden zusammen an den Laptop, klicken Anzeigen durch und schreiben E-Mails. Allein, an Paten mangelt es wie an günstigen Wohnungen, es ist sehr schwer, neue Aktive zu finden. Gerade noch hat Heim für einen neuen Klienten den Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein ausgefüllt. In der Theorie berechtigt so ein Schein, eine Sozialwohnung zu beziehen, in der Praxis aber ist genau dies ein Glücksfall.

Die größte Hürde für Flüchtlinge ist: das Amt. Viele Vermieter lehnten ab, wenn sie erfahren, dass der Interessent nicht selbst überweist, sondern das Geld vom Jobcenter kommt. Es habe sich herumgesprochen, dass es immer wieder recht lange dauere, bis die erste Miete überwiesen ist, oft Monate. Heim versucht dann zu beruhigen, dass das Geld vielleicht spät, aber ganz sicher komme. Doch viele Vermieter wollten es lieber einfach und einen gewöhnlichen Mieter, einen, der selbst zahlt. Ein alter Bekannter kommt nach Ende des Mietkurses ins Café, Mohammad Allahpur, 35, Kurde aus Iran. Für ihn sucht Heim schon lange, gut 30 Wohnungen habe er angeschaut, erzählt er, er wolle vom Umland in die Stadt, der Arbeit wegen. Sein ausländischer Name sei ein Hindernis, erzählt Heim, und dann, wie so oft, die Sorge der Vermieter, ans Geld zu kommen. Allahpurs Deutsch ist gut, lachend berichtet er, dass er die nötigen Schlüsselbegriffe gelernt habe, 1. OG und 1-Zi-App und so.

Wohngemeinschaft, noch so ein Wort. Für viele Zuwanderer ist eine WG etwas ganz Fremdes, und für viele Einheimische das Zusammenwohnen mit einem Geflüchteten ein Wagnis. Juliana Müller (Name geändert), 30, Webdesignerin, hatte ein Zimmer in ihrer Zweier-WG frei. "Ich will einem Menschen eine Chance geben. Ich habe mir das sehr gut überlegt." Seit Anfang August wohnt sie mit einer 22-jährigen Somalierin zusammen und hat schnell gemerkt, dass sie im Alltag viel erklären muss. Wie Herd und Waschmaschine funktionieren, welches Putzmittel wofür ist, Essigreiniger, Kloreiniger, Badreiniger. Die Somalierin möchte nicht mit einem Reporter sprechen, sie sei noch zu schüchtern, erzählt Müller. Sie rede viel mit ihrer Mitbewohnerin, am Küchentisch. "Sie hat Krieg und Gewalt erlebt und erzählt sehr viel davon." Auch davon, was Frauen erleben müssen. "Ich glaube nicht, dass es solche Gespräche in einer anderen WG geben würde."

"Schreiben Sie sich Ihre Fragen auf, wie vor einem Arzttermin."

Gefunden hat Müller ihre Mitbewohnerin über das Wohnprojekt. Corinna Höckesfeld war beim ersten Treffen dabei, hat sich Wohnung und Zimmer angeschaut. Noch sind solche Wohngemeinschaften die Ausnahme, überhaupt, dass Vermieter gezielt an Flüchtlinge vermieten. Die Leute vom Wohnprojekt wünschen sich, dass Politiker und Behörden überall im Land offensiv dazu aufrufen, Wohnungen an Flüchtlinge zu vermieten. Das wäre ein positives Signal, sagt Christine von Gropper. Denn solange es kaum Wohnungen gibt - was nutzen all die Tipps aus dem Mietkurs?

"Kommen Sie immer persönlich zum Besichtigungstermin!" Das hat Gropper ihren Kursbesuchern mit auf den Weg gegeben. "Seien Sie freundlich. Es ist der erste Eindruck, der entscheidet. Kennen Sie das Wort 'erster Eindruck'?" Nicken in der Runde. Und weiter geht es mit den Tipps: "Schauen Sie den Menschen an. Kommunizieren Sie mit dem Vermieter. Schreiben Sie sich Ihre Fragen auf, wie vor einem Arzttermin." Ach ja, und wenn der Wasserhahn tropft - ruhig kritisch nachfragen, das darf man. Mieter haben Rechte in Deutschland.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2018/fued
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