SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 6:Die Flüchtlingshelfer, die professionell provozieren

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 6: Der Berliner Verein "Moabit hilft" ist eine der bekanntesten Organisationen für Ehrenamtliche. Unter den Aktiven sind inzwischen auch viele Flüchtlinge.

Der Berliner Verein "Moabit hilft" ist eine der bekanntesten Organisationen für Ehrenamtliche. Unter den Aktiven sind inzwischen auch viele Flüchtlinge.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Die Mitglieder der bekannten Berliner Initiative "Moabit hilft" kämpfen mit großem Einsatz für die Menschen, die in Deutschland ankommen. Dabei läuft nicht immer alles glatt.

Von Hannah Beitzer

Sie können es noch, drei Jahre nachdem sie schlagartig im ganzen Land bekannt wurden: Politikern auf die Nerven gehen. Die Asylaktivisten von "Moabit hilft" lehnten diesen Sommer die Nominierung zum Deutschen Nachbarschaftspreis ab, weil dessen Schirmherr Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war. "Seit Monaten werden wir von ihm und seiner Partei verunglimpft - als Anti-Abschiebe-Industrie, als Asylindustrie", sagt Gründerin Diana Henniges. Dabei hätten Leute wie sie Leute wie Seehofer gerettet: "Ohne uns wäre die Situation 2015 noch viel mehr eskaliert."

Ohne die ehrenamtliche Hilfe hätte Deutschland vieles nicht geschafft: Mehr als die Hälfte aller Bürger ab 16 Jahren hat seit 2015 Hilfe für Flüchtlinge geleistet. Derzeit seien es noch immer mehrere Millionen, die aktiv seien, etwa als Pate oder Sprachlehrer. Diese Zahlen nennt das Allensbach-Institut in einer repräsentativen Studie fürs Bundesfamilienministerium.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Diana Henniges und ihre Mitstreiter von "Moabit hilft" gehören zu Deutschlands bekanntesten Aktiven. Sie kritisieren, sie provozieren und helfen immer noch. Ihr Beispiel zeigt, wie sich die Flüchtlingshilfe professionalisierte. Aber auch, wie Helfer zu politischen Akteuren wurden.

Seit 2013 gibt es die von Diana Henniges gegründete Initiative schon, eigentlich war sie mal ein kleines Kiezprojekt. Bis zum Sommer 2015. Tausende Flüchtlinge kamen nach Berlin, die Behörden waren heillos überfordert. Die Menschen standen Schlange vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) im Berliner Stadtteil Moabit. Tagelang, manche auch wochenlang. Sie hatten Hunger, sie besaßen oft nur, was sie am Leib trugen, sie übernachteten auf dem nackten Boden vor dem Behördengebäude. Der unwürdige Zustand hielt an bis in den Winter. Und "Moabit hilft" - nun ja: half. Die Ehrenamtlichen organisierten Wasser und Essen für die Wartenden, richteten eine Kleiderkammer ein, organisierten Schlafplätze, sogar um die medizinische Versorgung kümmerten sich Freiwillige. "Bald war uns klar: Wasser bringen allein reicht nicht", sagt Henniges. Immer lauter, immer heftiger übten sie und ihre Leute Kritik an der Berliner Flüchtlingspolitik unter dem damaligen Sozialminister Mario Czaja (CDU). Bald berichtete Henniges in Talkshows vor einem Millionenpublikum über ihre Arbeit, während das Lageso als "schlechteste Behörde Deutschlands" bekannt wurde.

Zum Team der Aktiven gehören inzwischen auch viele Flüchtlinge

Dabei lief auch bei den Helfern nicht alles glatt. Nach ein paar Monaten verließen einige Mitglieder den Verein. Es gab Streit um Finanzen, aber auch um den konfrontativen Kurs gegen Behörden. Am heftigsten kritisiert wurde "Moabit hilft" Anfang 2016. Ein Helfer hatte von einem Flüchtling berichtet, der angeblich vor dem Lageso gestorben sei. "Moabit hilft" verbreitete dies weiter, dann aber stellte sich heraus: Es war eine Lüge. Wer es gut meinte, sah eine Überforderung der Helfer. Der damalige Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) dagegen sprach von "einer der miesesten und perfidesten Aktionen", die er je erlebt habe. "Moabit hilft" lege es darauf an, die Stimmung zu vergiften.

Heute, drei Jahre später, ist Frank Henkel kein Innensenator mehr; anstelle des Lageso ist ein eigenes Landesamt für Flüchtlinge zuständig - doch "Moabit hilft" ist immer noch da. Die Arbeit des Vereins hat sich verändert. Die Kleiderkammer und das kleine Büro im Lageso sind zum Anlaufpunkt geworden für Geflüchtete und Helfer aus ganz Berlin. Die Helfer unterstützen Geflüchtete im Kontakt mit Ämtern, bereiten sie auf Asylverfahren vor, vermitteln Anwälte oder hören sich einfach die Sorgen der Menschen an.

  • Merkel hat vor drei Jahren gesagt: "Wir schaffen das!" Was ist aus den Flüchtlingen geworden, die seit 2015 geblieben sind? In der Serie "Schaffen wir das?" gibt die SZ jede Woche Antworten.

Drei Frauen - neben Diana Henniges noch Geschäftsführerin Christiane Beckmann und Vorstandsmitglied Ronja Lange - arbeiten dort hauptamtlich. Noch, sagt Henniges. "Bald werden wir wahrscheinlich nur noch zwei Stellen haben." Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden. "Das ist wichtig, damit wir eine unabhängige Stimme bleiben können." Die Spenden aber werden weniger, je mehr das Interesse am Thema Flüchtlinge abnimmt.

Was nicht abnimmt, ist das Engagement der Helfer. Ein festes Team von 15 Ehrenamtlichen kommt jeden Tag ins Lageso, die meisten selbst Geflüchtete, dazu jeden Tag zehn Menschen, die unregelmäßig reinschauen. Henniges schätzt die Zahl der Helfer auf insgesamt hundert.

"Moabit hilft" hat sich zu einem wichtigen Akteur entwickelt. Die Helfer arbeiteten am Berliner Masterplan für Integration mit, weisen nach wie vor die Behörden in der ihnen eigenen Penetranz auf Fehler im System hin. "Wir sehen uns als Lobby für Geflüchtete, denen sonst eine Stimme in der Gesellschaft fehlt", sagt Diana Henniges, "einige Flüchtlingsorganisationen organisieren Kinderfeste, die sind das Zuckerbrot." Sie macht eine Pause. "Und wir sind die Peitsche." Gemocht werden sie nicht von allen. Aber ernst genommen, das werden sie schon.

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