SZ-Nachruf von 1967:Konrad Adenauer - Mensch und Mythos

Nach dem Tod des Altkanzlers vor 50 Jahren erinnerte sich die SZ, wie Adenauer der "Besitz der Macht Vergnügen bereitete" - und warum er in seiner Jugend für München geschwärmt hat. Der Nachruf von 1967.

Von Claus Heinrich Meyer

Claus Heinrich Meyer (1931 bis 2008) gehört zu den großen Journalisten in der Geschichte der Süddeutschen Zeitung. Der in Gelsenkirchen geborene Reporter schrieb bis ins hohe Alter, immer wieder war er auch Autor von "Streiflichtern". Als Konrad Adenauer starb, erschien folgender Nachruf Meyers in der SZ-Ausgabe am Tag darauf.

Am 28. September saß Konrad Adenauer noch zu später Stunde im Londoner Hotel Cluridge zusammen mit Luxemburgs Außenmini­ster Bech und dem Belgier Paul Henri Spault. Und hier, während dieses Kamingespräch, kurz nach dem Scheitern der EVG, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, übte sich der deut­sche Bundeskanzler in düsterer Prophetie: "Nut­zen Sie die Zelt, solange ich noch lebe; wenn ich nicht mehr bin, ist es zu spät. Mein Gott, ich weiß nicht, was meine Nachfolger tun wer­den ..."

Der damalige Spiegel-Korrespondent Lothar Rühl war unfreiwilliger Zeuge dieses Ausbruchs, eines Ausbruchs, der so alttestamentarisch schien wie die Gestalt des Mannes Adenauer. Aber er machte auch deutlich, dass das damalige Deutschland in den Augen der Welt eigentlich nur aus Adenauer bestand. Für sie verschmolz sein Gesicht mindestens in jenen Jahren zu einer einzigen Kontur mit dem Stück des getrennten Deutschland, dessen Regie­rung er 1949 als 73jähriger übernommen hatte.

Konrad Adenauer hat noch erlebt, was seine Nachfolger tun und wer sie sein würden. Er war beileibe nicht inaktiv geworden nach seinem unfreiwilligen Rücktritt vom Amt des Bundes­kanzlers am 15. Oktober 1953. Aber er wurde doch schon mehr und mehr ein Denkmal seiner selbst - die 14 Jahre, die formal seine Ära dau­erte, standen überraschend schnell im Schatten der sich überstürzenden innenpolitischen Ereig­nisse, obwohl diese lange nur ein sich hinzie­hender Erbfolgestreit waren.

Das Leben Konrad Adenauers umfasste auch gar zu viele Stationen und Abschnitte der deutschen Geschichte, und auf der anderen Seite war er gar zu pro­duktiv in der von ihm so geliebten Tagespolitik, als dass jeder sich in jedem Augenblick bewusst gemacht hatte, dass die Wurzeln dieses Lebens tief in das 19. Jahrhundert hineinreichten.

Sinn für das Einfache

Geboren wurde er am 5. Januar 1876 in Köln als Sohn des Justizsekretärs Konrad Adenauer. Es waren beengte Verhältnisse, unter denen er aufwuchs.

Aber noch im Greisenalter erinnerte er sich gern - und zog seine ganz spezifischen Nutzanwendungen: "... unsere Erziehung war an den heutigen Begriffen gemessen sicher recht streng. Wir Kinder haben sie nie als streng empfunden. Unsere Lebenshaltung war, nach heutigen Begriffen gemessen, sehr einfach. Auch das empfanden wir nicht als drückend. Wenn es an einem Feiertag oder zu Weihnachten ein Ge­schenk gab, freuten wir uns eben umso mehr. Diese Einfachheit in der Lebensführung hat bei uns allen den Sinn für Einfachheit während des ganzen Lebens lebendig gehalten."

In seiner Vaterstadt besuchte er das Apostel-Gymnasium. Hier schon zeigte sich eine Fähig­keit, die später den Politiker auszeichnen sollte. Adenauer selbst erinnerte sich: "Ich möchte er­wähnen, was einmal unser Deutschlehrer in der Unterprima von meinen Aufsätzen sagte. Er sagte, sie seien kurz, aber sie zeigten immer eine gute und klare Disposition."

Überhaupt ist Adenauer mit zeitraffenden und Ein­blick gewährenden Selbstdarstellungen nicht kleinlich gewesen. Sein Leben war für ihn selbst zu jeder Zeit klar und übersichtlich, er hat keine Brüche empfunden und an falschen Skrupeln nie gelitten, weder für seine Person noch später im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Wirksamkeit.

Das 19. Jahrhundert neigte sich seinem Ende zu, als Adenauer, nicht ohne dass es seine Eltern große finanzielle Opfer gekostet hätte, mit dem Studium begann. Es führte ihn nach Freiburg, nach München und zuletzt nach Bonn.

Seine Münchner Zeit schilderte er auf eine ihm eigentümliche Weise so: "Nach Mün­chen war ich nicht des Bieres wegen gegangen oder auch natürlich des Bieres wegen. Aber ich war hauptsächlich hingegangen wegen des künstlerischen Lebens in München. Das künst­lerische Leben in München stand damals sehr hoch. Die Oper war noch von Wagnerseher Tra­dition. Vor allem aber hatte es mir die Alte Pina­kothek angetan. Zwei gleichgesinnte Freunde und ich waren während der beiden Semester jede Woche drei bis vier Nachmittage mehrere Stunden in der Alten Pinakothek. Wir kannten jedes Bild genau."

Der Student der Jurispru­denz und Volkswirtschaft, der sich rückblickend einen frohen aber auch fleißigen Studenten nen­nen sollte, wollte damals Notar auf dem Lande werden, und zwar "in einer schönen Gegend mit nicht zu viel Arbeit".

Das Adenauersche Husarenstück eigener Art

Es kam anders. 1917 wurde er nicht nur ein­fach zum Oberbürgermeister der Stadt Köln gewählt­, sondern aus Konrad Adenauer wurde der Oberbürgermeister schlechthin, blieb es bis 1933, schuf den berühmten Grüngürtel, war hier schon eigenwillig, autark, schwierig und im Besitz ge­nauer Vorstellungen, von dem, was er wollte und darüber, wie diese Welt beschaffen ist.

Er roch während dieser Jahre bereits in die große Politik, in Berlin als Mitglied des Preußischen Herrenhauses, des Provinzial Landtages, und als Präsident des Preußischen Staatsrats - aber alles, was Berlin ausmacht und die preußisch geprägte Politik, lag dem Rheinländer nicht: Er hat seine Vorbehalte über den Krieg gerettet und ihnen als Bundeskanzler oft Ausdruck verliehen.

Es kann sein, dass die Absetzung Adenauers durch die Nazis und die Jahre der erzwungenen Ruhe bis 1945 das physische Phänomen Adenauer mit ausgemacht haben. Denn in diesen zwölf Jahren, die er, anfangs verfolgt, dann in Ruhe gelassen, dann wieder verfolgt, als Zwangspensionär verbrachte, hat er zweifellos Kräfte sparen und sammeln können.

Er baute sich ein Haus in Rhöndorf auf der halben Höhe des Rheinbergs ungefähr gegenüber von Bad Godesberg. Er baute es auf der halben Höhe, weil "ich immer gefunden habe, dass nichts wohl­tuender und befreiender ist als ein Blick über das Land bis zum Horizont" — und die Existenz die­ses Hauses am Zenigsweg 8a, jetzt Konrad-Adenauer-Weg, sollte für den Gang der deutschen Nachkriegsgeschichte noch von Belang sein.

Die Tage waren "ausgefüllt mit Lesen zusammen mit meiner Frau und den Kindern, mit Spaziergängen und vor allem mit der Pflege meines Gartens", wobei er selten zu erwähnen vergaß, dass er nie­mals Rosen gezüchtet habe. Sein Lieblingsautor war übrigens Joseph Conrad, was nicht so sehr bekannt war wie seine Vorliebe für Kriminal­romane (vor allem für Agatha Christie), die er sich zumal in seiner Kanzlerzeit gern vorlesen ließ, von seinen Töchtern oder auch von seinen Sekretärinnen.

Er vereinfachte die Schwierigkeiten

1945 wurde er wieder Oberbürgermeister. Doch es war nur ein Zwischenspiel — die Absetzung wegen Unfähigkeit durch den englischen Gene­ral Barraclough war ein Beitrag zum Kapitel Ironie der Geschichte, Jedenfalls konnte er sich nun der Partei widmen, die er gründen wollte, deren Idee, beide christlichen Konfessionen zu umfassen, in vielen Köpfen lebendig war. Nur wurde sie erst durch Adenauer zur CDU, weil er tat, was er immer getan hatte und immer tun würde: Er vereinfachte die Schwierigkeiten.

Als in Washington, London und Paris die Gründung eines deutschen Weststaates beschlos­sen wurde, wurde Konrad Adenauer Präsident des verfassungsgebenden parlamentarischen Ha­uses. Aktiv zwar, doch von den Sozialdemokraten eher als ein Alterspräsident angesehen, und vor allem nicht als künftiger Bundeskanzler.

Es ist ein Adenauersches Husarenstück eigener Art, wie er an den Sozialdemokraten vorbei eine bürgerliche Koalition gegen alle Widerstände in seiner eigenen noch sozialisierungsfreundlichen Partei zustande brachte, und die Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler am 15. Septem­ber 1949 mit einer - seiner - Stimme Mehrheit, markiert den Beginn jener 14 Jahre Regie­rungszelt, die man verhältnismäßig bald, noch ehe sie zu Ende gingen, als "Ära" bezeichnete, als Ära Adenauer eben.

Adenauers grollender Abschied von der Macht

Zweifellos hat der frühere Kölner Oberbür­germeister dieser Zeit auf das nachhaltigste sei­nen Stempel aufgesetzt. Ohne Adenauer wäre Bonn nicht Bundeshauptstadt geworden. Ohne Adenauer fiel Bonn jedesmal in das Idyllendasein einer kurfürstlichen Residenz zurück.

Während der Höhepunkte seiner Regierungszeit wurde aus ihm ein Mythos, der seine Anhänger eigener Anstrengungen enthob, sie brauchten nur zu ihm zu halten, zu ihm zu stehen. Er be­saß eine Meinung, eine Überzeugung und die große Kunst, Umstände und Sachverhalte sich zurechtlegen zu können. Er ordnete die innen- und außenpolitischen Gegebenheiten in ein schwarzweißes Koordinatensystem ein. Die Tei­lung der Welt in eine östliche und eine west­liche Hälfte kam ihm dabei entgegen.

Dieses "Einen-Schritt-nach-dem-anderen-tun-Können", war seine Politik, eine auswär­tige und kaum eine innere Politik. Die Wieder­bewaffnung, verstanden als der Zuwachs von Macht und Einfluß, die Westintegration und (von ihm als Krönung seines Lebens verstan­den) der Bruderkuß mit de Gaulle — für Adenauer fügte sich das alles zur Folgerichtigkeit.

Er hat jeden einzelnen seiner Ge­danken ohne zu ermüden hunderte und aberhundertemal so ausgedrückt, dass es Verständigungsschwierigkeiten etwa mit der Mehrheit der Wähler nie gab — man konnte ihn in jeder Beziehung leicht folgen.

Man hat ihn einen Patriarchen genannt, und wahrhaftig waren sein Herrschafts- und Lebens­stil und sein Erscheinungsbild patriarchalisch. Ein Greis an Jahren, der nicht greisenhaft war, Würde ausstrahlte, auf Distanz hielt, von schnellem, oft boshaftem Witz. Er überzog die Bundeshauptstadt mit seinen Geburtstagen, an denen er sich mit Vergnügen ausstellte und die strapaziösesten Huldigungen entgegennahm, als seien sie das reine Lebenselixier.

Die Anek­doten, meistens Kostproben seiner Schlagfertigkeit enthaltend, waren schon nach wenigen Jah­ren Legion. Er war nach eigener zutreffender Darstellung nicht zimperlich. Den politischen Tageskampf fand er über alle Meilen erfri­schend und belebend, was leicht zu erklären ist, weil er sich dabei nicht wie andere verzehrte.

Und das tat er auch nicht im Umgang mit Men­schen. Befreundet mit Konrad Adenauer mag sich dieser oder jener genannt haben — er selbst hat indessen Freundesregungen für wenige empfunden. Robert Pferdmenges, der protestantische Bankier aus Köln, Adenauer ähnlich in seiner hausväterlichen Art, ist an erster Stelle zu nennen; der amerikanische Außenminister John Foster Dulles ist spät, aber dann auch im vollen Sinne des Wortes, sein Freund geworden und auf eine schwer zu definierende Art schließlich Frankreichs Staats­präsident Charles de Gaulle.

Vergnügen an der Macht

Die eigentliche Zeit Adenauers als Bundeskanzler war die, als die Lage noch nie so ernst war wie im jeweiligen Augenblick. Da­mals reiste er durch die Welt, identisch mit dem Land, das er regierte, und es gehört auch zu dem Bild dieser Jahre, dass er die Ovationen, die ihm draußen entgegengebracht wurden, die Ehrendoktor- und Texashüte nicht ausgenom­men, drinnen auf das beste taktisch zu nutzen verstand.

Er setzte während seiner Regierungs­zeit neue Maßstäbe für das, was ein deutscher Bundeskanzler darf oder sich erlauben kann: Boccia spielen, mehrere Arten von Wahrheit unterscheiden und alle Skalen des Witzes bis hin zum Witzchen beherrschen.

Der Besitz der Macht bereitete ihm Vergnü­gen, sein Verhältnis zu ihr war selbstverständ­lich, er brauchte darüber nicht nachzudenken. Abschied von ihr hat er grollend genommen. Er tat sich schwer auf dem Altenteil und mußte mit ansehen, wie die Partei, die einmal seine Partei war, wie das Amt, das so sehr sein Amt gewesen war, mit samt seinem Apparat Eigen­bewegungen zu vollführen begannen.

Manchmal schien es, als verschriebe er sich mehr der Erinnerung als den Erinnerungen, von denen er schließlich in der Muße zwei Bände verfaßt hat. So blieb er sich treu, grad­linig, paradoxerweise auch dort, wo er sprung­haft war, weil Richtlinien leicht bestimmen kann, wer, wie Adenauer, sein eigenes Leben an Richtlinien orientiert.

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