SZ-Korrespondenten über US-Wahl:"Als wäre Obama russischer Präsident"

Warum erwartet die Obama-freundliche Türkei seine zweite Amtszeit mit Skepsis? Wieso schmerzt Romneys Niederlage Israels Premier besonders? Und was wurmt die Inder an Präsident Obama? SZ-Korrespondenten berichten, wie die US-Wahl weltweit aufgenommen wurde - und was sie für einzelne Länder bedeutet.

Wie reagiert die Welt auf den Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl? SZ-Redakteure aus Kairo, Moskau, Tokio, Tel Aviv und anderen Städten berichten.

Peter Burghardt, Buenos Aires, über Lateinamerika

Die meisten Lateinamerikaner hätten Barack Obama gewählt, die meisten ihrer Verwandten in den USA haben das ja auch getan. Die Stimmen der Latinos waren bei Obamas Wahlsieg entscheidend. Die Republikaner haben südlich des Rio Grande wenig Freunde. Unter George W. Bush war die antiamerikanische Fraktion dort gewachsen, angeführt von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez. Dem farbigen Demokraten sind der Öl-Sozialist aus Caracas und sogar Kubas Altrevolutionäre Fidel und Raúl Castro wohler gesonnen. Er würde Obama wählen, und Obama würde ihn wählen, behauptete Chávez, der kürzlich seine dritte Wahl gewann.

Das Verhältnis zu Washington bleibt dennoch gespalten. Außerdem will Obama von dieser geostrategischen Peripherie wenig wissen, im Wahlkampf kam die Region kaum vor. Einzig Aufsteiger Brasilien, Nachbar Mexiko mit seinen Immigranten und seinem Drogenkrieg sowie das renitente Kuba spielen im Weißen Haus und State Department eine gewisse Rolle. Und die Antidrogenbehörde DEA interessiert sich nach wie vor für das Kokain aus Kolumbien, Peru und Bolivien.

Lateinamerika wiederum orientiert sich inzwischen mehr an Brasiliens Erfolg als an den USA und hat seinen Aufschwung auch dem guten Geschäft mit China zu verdanken. Die Region ist selbstbewusst geworden. Mexikos neuer Präsident Enrique Peña Nieto dürfte trotzdem einer der ersten ausländischen Politiker sein, die Obama in seiner zweiten Amtszeit trifft. Kuba wartet derweil auch unter Obama vergeblich auf die Schließung des US-Lagers bei Guantánamo und das Ende des Handelsboykotts, die KP-Zeitung Granma aus Havanna schrieb: "Der Mieter im Weißen Haus wird sich mit einer schwierigen wirtschaftlichen Konjunktur auseinander setzen müssen, geprägt von Arbeitslosigkeit und Schulden in Höhe von mehr als 16 Billiarden Dollar, und außerdem mit einem extrem polarisierten Land, das in seiner Außenpolitik mit seiner kriegerischen Politik im Mittleren Osten feststeckt."

Argentiniens streitbare Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner versprach dem Kollegen Obama: "Seien Sie sicher, dass das argentinische Volk und diese Präsidentin beim Aufbau einer gerechteren und wenig gewalttätigeren Welt mit mehr Gleichheit immer auf Ihrer Seite sein werden." Am Donnerstag muss sich Frau Kirchner aber mit ihrem Volk auseinandersetzen, im heißen Buenos Aires stehen Proteste gegen ihre Regierung an.

Tobias Matern, Neu-Delhi, über Indien

Tobias Matern, Neu-Delhi, über Indien

US-Wahl Obama Indien

Freude über Obama im indischen Amritsar: Dieser Drachenbauer hat eine Minitatur mit dem Konterfei des neuen und alten US-Präsidenten gebastelt.

(Foto: dpa)

Als Barack Obama Indien im November 2010 Neu-Delhi besuchte, gewann er vor allem mit einem Satz die Herzen der dortigen politischen Elite: Indien sei nicht mehr auf dem Weg, sondern habe inzwischen den Status einer Supermacht erreicht. Das war maßlos übertrieben, brachte dem Gast aus Washington aber jede Menge Sympathiepunkte und lockerte den Rahmen für den wirtschaftlichen Teil des Besuchs. Unter Obama haben sich die Beziehungen zwischen Delhi und Washington weiter verbessert, die Amerikaner wollen Indien vor allem als Gegengewicht zu China in der Region unterstützen. Von Indiens Mittelschicht an aufwärts wurde das Rennen um das Weiße Haus deshalb auch aufmerksam verfolgt, die englischsprachigen Nachrichtensender berichteten in Kooperation mit den US-Networks live und befragten ihre eigene Experten - vor allem pensionierte Diplomaten.

In Delhi lud die US-Botschaft in das luxuriöse Imperial-Hotel zur Wahlparty, in Hyderabad versammelten sich Wahlenthusiasten bei Rührei und Speck im Hard Rock Café. Die Sympathien lagen mehrheitlich bei Obama, mit einer eindeutigen Ausnahme: "Für Indien an sich sowie für die Outsourcing- und IT-Industrie im Besonderen ist die Wiederwahl Obamas nicht die beste Nachricht", sagte ein Vertreter der Computerbranche im indischen Fernsehen. Schließlich habe Obama im Wahlkampf immer wieder betont, wie entscheidend es sei, nicht noch mehr Jobs in diesem Bereich an Länder wie Indien zu verlieren, sondern in den USA neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Doch die meisten Experten waren sich einig, dass die Beziehungen mehr als solide seien, es auch unter Romney keine gravierenden Veränderungen gegeben hätte und man durch die Wiederwahl Obamas auf einen vertrauten Verbündeten setzen könne. Von der indischen Regierung kamen natürlich auch, wie aus allen anderen Ecken der Welt, die obligatorischen Worte für den alten und neuen Präsidenten. Dem Außenministerium in Delhi war es nicht nur wichtig, zu betonen, dass man alles Gute für die zweite Amtszeit und sich eine weitere Vertiefung der Partnerschaft wünsche. Auch wurde mitgeteilt, dass sowohl Premierminister Manmohan Singh als auch Präsident Pranab Mukherjee separate Glückwunsch-Botschaften an Obama verfasst haben.

Peter Münch, Tel Aviv, über Israel

USA elections followed in Jerusalem Obama Romney

Wahlparty in Jerusalem: Dieser als "Uncle Sam" verkleidete Mann konnte sich über den Wahlausgang nicht freuen: Nach Bekanntgabe des Obama-Sieges nahm er seinen Papp-Romney und verließ die Feier.

(Foto: dpa)

Peter Münch, Tel Aviv, über Israel

Grund zum Feiern hat Israel Premierminister Benjamin Netanjahu gewiss nicht nach der Wiederwahl Barack Obamas. Mitt Romney wäre der Präsident seiner Wahl gewesen, und das nicht nur, weil die beiden in jungen Jahren gemeinsam in den USA bei Boston Consulting gearbeitet hatten. Vom republikanischen Präsidenten hätte sich Netanjahu fast blinde Unterstützung versprochen - in Sachen Iran genauso wie im Umgang mit den Palästinensern.

Obama, das weiß Netanjahu, wird für ihn viel unbequemer werden in seiner zweiten Amtszeit. Gewiss, pflichtschuldigst gratulierte er dem US-Präsidenten und versicherte, "die strategische Allianz zwischen Israel und den USA ist stärker als je zuvor". Stärker als in den vergangenen Jahren dürften allerdings in nächster Zeit vor allem die Gegensätze betont werden - und es könnte die Zeit zur Begleichung mancher Rechnung kommen.

Denn Netanjahu hatte kaum eine Gelegenheit versäumt, Obama zu brüskieren. Im nahöstlichen Friedensprozess hat er all seine Initiativen ausgebremst, im Konflikt mit Iran hat er ihn auf Kriegskurs treiben wollen. Obama musste sich das mit Rücksicht auf seine Wiederwahl-Chancen gefallen lassen. Doch er wird die Demütigungen nicht vergessen haben und nun weit deutlicher als zuvor Netanjahu die Richtung vorgeben. Es dürfte manch spannender Zweikampf zu beobachten sein in den kommenden Jahren, diplomatisch ummäntelt natürlich.

Das nächste Gratulationsschreiben dürfte dann von Obama an Netanjahu gehen, denn auch in Israel stehen Wahlen an im Januar. Netanjahu hatte sie in weiser Voraussicht vorgezogen, um Obama wenigstens gestärkt mit einem neuen Mandat gegenübertreten zu können.

Christiane Schlötzer, Istanbul, über die Türkei

Christiane Schlötzer, Istanbul, über die Türkei

Obama oder Romney? Die junge Türkin stutzt und schüttelt das kopftuchfreie Haupt. "Keine Ahnung", sagt sie. Es ist zehn Uhr morgens, auf Istanbuls zentralem Taksim-Platz herrscht Pendlerhektik, aber viele Türken haben trotz der TV-Sondersendungen noch gar nicht mitbekommen, dass der neue US-Präsident der alte ist. Auch ein Kellner in einem gut besetzten Café zuckt mit den Schultern. Amerika? Interessiert ihn nicht. "Der Krieg in Syrien, die Wirtschaft, für uns wird nichts besser werden", sagt der 35-jährige Mann.

Die Türkei ist wieder einmal vor allem mit sich selbst beschäftigt. Nur einen Tag vor der US-Wahl teilte die Regierungspartei AKP mit, dass sie sich auch für die Türkei ein Präsidialsystem wünsche. Wer mag da an Zufall denken? Premier Tayyip Erdogan würde nur zu gern Präsident des Landes werden, die Opposition ist strikt dagegen. Erdogan und Obama verbindet eine politische Love Affair, beide ließen kaum eine Chance aus, ihr enges Verhältnis zu demonstrieren. Unter George W. Bush dagegen herrschte wegen des Kriegs im Irak Eiszeit zwischen Washington und Ankara.

Obama hatte die türkischen Herzen dann im Sturm erobert, als er schon während seines ersten Europa-Trips im April 2009 auch Ankara besuchte. "Romney wird von Neocons umringt, wie einst Bush", schrieb ein führender Kolumnist am Tag vor der US-Wahl und betonte, "Obama ist auch besser für die Türkei".

Nur: Die Erwartungen in Ankara, dass ein wiedergewählter Barack Obama mehr dazu tun würde, um den Krieg in Syrien zu beenden, "könnte sich bald als trügerisch erweisen", warnte die regierungsnahe Zeitung Zaman. Eine militärische Intervention aber will auch die Türkei nicht, die Kriegsangst ist groß. Ein Kurde mit Dreitagebart, der sich als fliegender Händler auf dem Taksim-Platz durchschlägt, sagt: "Die Türkei sollte nicht immer schauen, was macht Amerika, sie sollte sich nur auf sich selbst verlassen."

Christoph Neidhart, Tokio, über Japan und Südkorea

People read extra edition of newspapers reporting U.S. President Barack Obama's re-election in Tokyo

In japanischen Zeitungen war der Ausgang der US-Wahl wichtigstes Thema.

(Foto: REUTERS)

Christoph Neidhart, Tokio, über Japan und Südkorea

Vor vier Jahren staunte Ostasien: Wie konnten die Amerikaner einen Schwarzen zum Präsidenten wählen? Dieses Mal hätten die Japaner und Koreaner selbst auch Obama gewählt, obwohl sie - wie auch die Chinesen - noch immer rassistische Vorurteile gegen Menschen mit dunkler Haut hegen.

Die Japaner wollen fast alle zum Mittelstand gehören. Dabei wissen sie durchaus, dass wegen der seit zwei Jahrzehnten anhaltenden Wirtschaftskrise immer mehr Menschen vom unteren Rand der Mittelschicht in die Armut wegbrechen. Romney wollte diesen Prozess in Amerika beschleunigen, meint eine Nachbarin im Tokioter Stadtteil Setagaya. Bei ihm drehe sich alles ums Geld. "Er hat keine Ahnung vom Los der kleinen Leute. Wie die japanischen Politiker auch nicht, die als Sprößlinge von Politiker-Dynastien mit dem Silberlöffel geboren werden." Wo das hinführe, sehe man ja in Japan.

Außerdem, so die ältere Hausfrau empört, wollte Romney den Ärmsten in Amerika die Krankenkasse wieder wegnehmen. Und den Reichsten dafür Steuern erlassen. Viele Japaner sind ängstlich, sie scheuen Veränderungen. Auch sind viele von Obama enttäuscht, Romney jedoch hielten viele für zu unberechenbar. In Tokio verkündete der Yomiuri, die größte Tageszeitung der Welt, Obamas Wiederwahl mit einem Extrablatt. In Südkorea dagegen beschwerten sich Blogger über die stundenlange Live-Berichterstattung aus den USA. Gewiss sei die Wahl in Amerika wichtig - aber so wichtig?

Trotz dem Inselstreit mit China beunruhigte Romney die Japaner mit seiner Drohung, China am ersten Tag seiner Amtszeit als Währungsmanipulator zu brandmarken. Damit hätte er einen Handelskrieg vom Zaun reißen können, das kann die gebeutelte Exportwirtschaft Japans nicht auch noch wegstecken.

In Wirklichkeit hätte sich Washingtons Asienpolitik mit einem Präsident Romney wenig verändert. Im Wahlkampf war von Asien - jenseits von Romneys Drohungen gegen China - kaum die Rede. Obama hat Asien zuerst vernachlässigt, um dann eine Asienpolitik zu betreiben, die konfrontativer war als jene seines Vorgängers George W. Bush.

Frank Nienhuysen, Moskau, über Russland

In diesem Moskauer Elektronikgeschäft zeigten am Wahltag alle Fernseher die Berichterstattung über die US-Wahl

In diesem Moskauer Elektronikgeschäft zeigen am Wahltag alle Fernseher die Berichterstattung über die US-Wahl.

(Foto: AP)

Frank Nienhuysen, Moskau, über Russland

War das überhaupt eine richtige Wahl? Ehrlich, fair, transparent? Russland hat sich in diesen Tagen noch ganz andere Fragen gestellt als die nach dem Sieger - und eine verblüffende, fast trotzige Antwort gefunden: Eher nicht. Das russische Zentrale Wahlkomitee, dessen Leiter Wladimir Tschurow von der heimischen Bevölkerung den fragwürdigen Beinamen "Zauberer" erhielt, kritisierte die Abstimmung in den USA, bei der das "Geld die Menschen auf rekordartige Weise beeinflusst" habe. Es ist eine süße Replik nach all der amerikanischen Schelte an den Russland-Wahlen. Zugleich zeigt es, wie gereizt das politische Klima zwischen Moskau und Washington bisweilen ist.

Und doch: Amerika zieht die Russen in ihren Bann. Obgleich gerade erst der russische Verteidigungsminister entlassen worden ist, war dies in der Früh als Top-Nachricht längst verdrängt vom Sieg Barack Obamas. Auch die staatstreuen Fernsehsender berichteten ausführlich über die Ergebnisse aus den Swing States. Und egal ob aus den Blogs, aus Umfragen und von Experten: Von überall dringt Erleichterung über die Wiederwahl des Demokraten Obama. Was einerseits nicht verwundert, seitdem Mitt Romney Russland als geopolitischen Feind Nummer eins für die USA bezeichnet hat. Aber Obama wird von vielen Russen eben auch als lässiger, charmanter und Russland gegenüber aufgeschlossener empfunden. Ein Blogger meint: "Wir sind alle so froh über Obamas Sieg, als wäre er unser Präsident. Das wäre auch nicht schlecht."

Sonja Zekri, Kairo, über Ägypten

Sonja Zekri, Kairo, über Ägypten

Der ägyptische Publizist Hani Schukrallah twitterte einen "Seufzer der Erleichterung" über die Wiederwahl Obamas: "Die Alternative wäre einfach zu schrecklich gewesen." Ägyptens Zeitungen berichten ausführlich, wenn auch nicht hysterisch, dabei dürften die meisten Menschen das Ergebnis nüchterner sehen als Schukrallah. Vor drei Jahren hatte Obama in Kairo seine Rede an die islamische Welt gehalten, hatte einen Neuanfang und bessere Beziehungen versprochen und sich mit einem "Salaam Aleikum" verabschiedet. Und er hatte Frieden schaffen wollen im Nahen Osten.

In den Augen der meisten Araber hat er seitdem Israel so kritiklos unterstützt wie andere US-Regierungen vor ihm, die Volksaufstände gegen die Autokraten in Tunesien oder Ägypten spät erkannt und nicht gewollt.

Und selbst wenn die Menschen zugeben, dass Amerika nur der Drehort für den islamfeindlichen Mohammed-Film ist und nicht die Verantwortung trägt für das Machwerk eines ägyptischen Exil-Christen, so würden die meisten doch der Bloggerin Schaimaa Chalil zustimmen: "Viele sind der Meinung, dass sich die amerikanische Politik im Nahen Osten und in Ägypten nicht verändert hat." Zwar galt Mitt Romney mit seinem israel-freundlichen Furor manchen als besondere Bedrohung, aber auch Obama hat das alte Misstrauen nicht überwinden können: "Amerika bleibt Israels bester Freund und der Feind der arabischen Welt, ganz gleich, ob Romney oder Obama regiert", schreibt der ägyptische Blogger Abdallah.

Immerhin beweise die Wahl, dass in Amerika Demokratie herrsche: In Ägypten habe der neue Präsident Mohammed Mursi seinen unterlegenen Konkurrenten Ahmed Schafik sofort vor Gericht gebracht. Einzig die syrischen Aufständischen hätten lieber Romney im Weißen Haus gesehen. Er hatte im Wahlkampf angedeutet, dass er den Kampf gegen Präsident Assad energischer unterstützen würde als Obama. Waffen, ein Flugverbot, eine Pufferzone - alles, worauf die Aufständischen hoffen, wird Obama wohl auch in der nächsten Amtszeit so schnell nicht liefern.

Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel, über die EU-Institutionen

Süße Verköstigung auf einer Wahlparty in Brüssel

Süße Verköstigung auf einer Wahlparty in Brüssel

(Foto: AFP)

Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel, über die EU-Institutionen

Die Augen der Bewohner des Planeten EU-Institutionen waren am Mittwochvormittag noch seltsam klein. Und rotgeädert. Und wenn es ein Thema gab, das die Konversationen am frühen Morgen prägte, dann die Frage, ob, und wenn ja, wie viel man denn so geschlafen habe. Die Beteiligten der Wahlparty der drei US-Botschaften, die in den holzvertäfelten, ausnahmsweise Stars-and Stripes-verzierten Räumen des Brüsseler Rathauses am Grand Place stattfand, schliefen wenig bis gar nicht. Die Feier ging bis um 10 Uhr vormittags. Dem Vernehmen nach, wohlgemerkt.

Um diese Uhrzeit war das Rennen um den schnellsten Gratulanten aus dem Kreis der EU-Repräsentanten deutlich entschieden - zugunsten des Chefs des Europaparlaments, Martin Schulz. Er twitterte schon kurz nach sieben, dass sich das EU-Parlament darauf freue, mit Präsident Obama an der starken und umfassenden transatlantischen Zusammenarbeit weiterzubauen. Dann schob er noch ein lässiges "Congrats" hinterher.

Etwas kryptischer war der belgische EU-Ratspräsident Herman Von Rompuy, der im Zustand morgendlicher Schlaftrunkenheit offenbar nur flämisch kann: "Gelukkig met de herverkiezing van President Obama." Hernach tröpfelten auch die Botschaften der Kommission, der Nato und der Euro-Gruppe ein - herzliche Glückwünsche und vor allem die Bitte, doch mal wieder bei ihnen vorbei zu schauen. Denn das hat Obama schon seit einem Jahr nicht mehr gemacht.

Presidential Election Event At US Embassy In Kabul

Afghanischer Journalist auf der Wahlparty in der US-Botschaft in Kabul

(Foto: Getty Images)

Tobias Matern, Neu-Delhi, über Afghanistan

Tobias Matern, Neu-Delhi, über Afghanistan

Für die Afghanen verlief dieser Tag nicht sonderlich aufregend, auf den Basaren waren die Wahlen im fernen Amerika schon in den vergangenen Monaten nicht das dominierende Thema gewesen. Der Alltag der Menschen am Hindukusch ist von einem ganz anderem Datum geprägt, das der wiedergewählte Präsident Barack Obama in seiner ersten Amtszeit gesetzt hat: Ende des Jahres 2014 - dann werden die westlichen Kampftruppen das Land verlassen haben. Nur noch eine Ausbildermission für die afghanischen Sicherheitskräfte soll zurück bleiben. Diesem Termin blicken viele Afghanen regelrecht fatalistisch entgegen: "Für die Afghanen ist es wie ein sich lange vorher ankündigender Albtraum", sagt ein Analyst aus Kabul.

Allen Beteuerungen zum Trotz, Afghanistan werde nicht im Stich gelassen, ist die Angst groß, in einen Bürgerkrieg abzudriften oder eine erneute Machtübernahme der Taliban zu erleben. Wer es sich leisten kann, verlässt das Land. Das Gefühl, das Obama nach Ansicht der Menschen hier vermittelt: Wir wollen nur noch heraus aus Afghanistan, was danach kommt, interessiert uns nicht sonderlich. Die afghanischen Medien haben ausführlich über den US-Wahlkampf berichtet und auch unterstrichen, dass es dabei vor allem um innenpolitische Aspekte ging. "Den Afghanen war es ziemlich egal, ob Obama oder Romney die Wahlen gewinnt", sagte ein Student in der afghanischen Hauptstadt.

Beobachter sind sich aber sicher, dass im Präsidentenpalast in Kabul die Hoffnung überwogen habe, in den USA einen Machtwechsel zu erleben. Das Verhältnis zwischen den Präsidenten Karsai und Obama war von Anfang an angespannt, auch weil die Amerikaner gleich zu Beginn der Post-Bush-Ära dem afghanischen Staatschef offenes Misstrauen entgegenbrachten: Sie geißelten seinen laschen Kampf gegen die Korruption und suchten reichlich undiplomatisch vor der afghanischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 nach einem Ersatz für Karsai. Das hat der Staatschef nicht vergessen.

Karsai war am Wahltag auf einer Reise nach Indonesien. Wie kühl seine persönliche Beziehung zu Obama sein muss, zeigte die Tatsache, dass er sich lange Zeit mit seiner Stellungnahme ließ. Er wünsche dem US-Präsidenten weiterhin "viel Erfolg", hieß es darin - viel mehr Worte verlor Karsai nicht.

Cathrin Kahlweit, Wien, über Österreich

Cathrin Kahlweit, Wien, über Österreich

"Verlass die alten Straßen nicht, die neuen sind nicht besser" - mit diesem philosophischen Satz zitiert die Gratis-Zeitung Heute die so genannte Society-Lady Fiona Pacifico Griffini-Grasser aus dem Swarowski-Clan. Sie hat sich, wie die allermeisten österreichischen Promis und Politiker, als Obama-Anhängerin geoutet, wobei die Frage erlaubt sein mag, wie Obama seinen ersten Wahlsieg hätte erringen sollen, wenn die Weisheit von Frau Griffini-Grasser auch schon vor vier Jahren gegolten hätte.

Aber egal: Weiter so, keine neuen Risiken, der soll es noch mal versuchen dürfen - das war die Stimmung in den Medien, aber auch auf der Straße. Allerorten in Wien gab es in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch Wahlpartys, wobei die nächtlichen Temperaturen und die längliche Auszählung dazu führten, dass nur wenige Partys bis in den frühen Morgen gingen.

In einer schicken Bar mit Bühne nahe der Wiener Oper spielten gleich drei Bands auf, um Stimmung für Obama zu machen, doch schon um zwei Uhr nachts war das Lokal weitgehend leer. In einigen amerikanischen Sports-Bars und Irish-Pubs, wo sich das englischsprachige Publikum versammelte, wurde viel gejubelt bei jedem neuen Bundesstaat, der an die Blauen fiel - und doch: Ein Schatten lag über dieser Nacht, man sehnte sich heimlich nach der Euphorie von 2008 zurück.

Vielleicht war das auch der Grund, warum auf der Party der US-Botschaft, bei der sich etwa 600 Gäste im Meridian-Hotel tummelten, das Ergebnis der Spaß-Wahl so eindeutig war: Mitt Romney, der in Wien so Ungeliebte, kam auf ganze 16 Stimmen. Und der Mann, der den Österreichern als das geringere Risiko erschien? Amtsinhaber Barack Obama ergatterte satte 198 Stimmen. Von einem solchen Ergebnis träumen derzeit die Parteien und ihre Spitzenleute in Österreich auch; dort wird in einem Jahr gewählt. Eine absolut-absolute Mehrheit, die hätte hier manch einer mehr als gern.

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