Süddeutsche Zeitung

SZ-Interview mit Rocco Buttiglione:"Sünde ist ein theologischer Begriff"

Der umstrittene Kandidat für das Amt des EU-Justiz-Kommissars pocht darauf, Politik und religiöse Überzeugungen trennen zu können.

Interview: Cornelia Bolesch

Homosexualität sei eine Sünde und die Ehe ein Schutzraum für Frauen, die Kinder großziehen wollen -- wegen dieser Äußerungen soll der italienische Europaminister und Papst-Vertraute Rocco Buttiglione nicht mehr neuer Justiz-Kommissar werden, finden immer mehr Abgeordnete im Europaparlament.

SZ: Haben Sie mit diesem Widerstand gerechnet?

Buttiglione: Nein. Ich hatte nicht die geringste Absicht, so einen Aufstand anzuzetteln. Aber im Grunde ist es gut, dass es so gekommen ist. Dieser Kampf führt uns zum Kern Europas.

SZ: Worum geht es in diesem Kampf?

Buttiglione: Um Gewissensfreiheit. Um Meinungsfreiheit. Wenn wir diese Werte nicht mehr achten, geht Europa zugrunde. Ich begreife nicht, warum ich als überzeugter Katholik nicht Justizkommissar sein kann.

SZ: Viele Parlamentarier sagen, Ihre Haltung sei unvereinbar mit den EU-Grundrechten.

Buttiglione: Dann müssten die Kritiker meine Politik beurteilen. In der Politik gibt es den Begriff der Sünde nicht. Würde Buttiglione jemals einen Homosexuellen diskriminieren? Die klare Antwort ist: Nein. Ist Buttiglione bereit, die unterschiedlichen Auffassungen, die es in Europa über die Institution der Ehe gibt, zu respektieren und, falls notwendig, zusammen mit den Mitgliedstaaten pragmatische, vernünftige Regeln zu entwickeln? Die klare Antwort ist: Ja. Buttiglione hat keine Definitionsmacht über den Begriff der Ehe.

SZ: Sie trennen also Politik und religiöse Überzeugung sehr genau?

Buttiglione: Richtig. Sünde ist ein theologischer Begriff. Bleiben wir noch eine Weile in der Welt der Theologie: Ist ein Christ wie Buttiglione, der Ehebruch und ein bestimmtes sexuelles Verhalten für Sünde hält, ein besserer Mensch als andere? Die klare Antwort ist: Nein. Wir sind alle Sünder vor Gott. Das sind theologische Fragen. Damit sollte sich ein Parlament nicht beschäftigen.

SZ: Stehen Sie jetzt in engem Kontakt mit Kommissionspräsident Barroso?

Buttiglione: Ich habe lange überlegt, ob ich ihn anrufen soll. Schon allein um mich für die Unterstützung zu bedanken, die er mir zukommen lässt. Doch das wäre nicht gut. Das könnte so aussehen, als wollte ich ihn unter Druck setzen.

SZ: Wie soll es jetzt weitergehen?

Buttiglione: Die Entscheidung liegt zunächst bei ihm, Barroso. Ich habe große Achtung vor ihm. Ich bin in seiner Hand.

SZ: Würden Sie auch ein anderes Amt in der Kommission übernehmen?

Buttiglione: Das ist eine hypothetische Frage. Ich will darauf nicht antworten. Ich weiß nur, dass ich mein Gewissen nicht für irgendein Amt in der Kommission preisgeben werde. Es gibt etwas im Leben, das wichtiger ist als Politik.

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