Süddeutsche Zeitung

SZ-Interview:Köhler fordert Weltfinanzkonferenz

Bundespräsident Horst Köhler ruft zu einer "konzertierten Aktion" gegen den Konjunkturabschwung auf. "Wir brauchen ein zweites Bretton Woods, um die Ursachen der globalen Krise aufzuarbeiten".

Claus Hulverscheidt

Bundespräsident Horst Köhler hat Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zu einer "konzertierten Aktion" gegen den Konjunkturabschwung aufgerufen. Wenn alle zusammenstünden, sei die Lage beherrschbar, sagte Köhler der "Süddeutschen Zeitung". Er forderte zudem eine Weltfinanzkonferenz, die die Ursachen der globalen Finanzkrise aufarbeiten soll. Das sei bisher versäumt worden.

Mit dem Ausdruck "konzertierte Aktion" griff Köhler bewusst einen Begriff aus den späten sechziger Jahren auf. Damals hatten sich die Spitzen der Großen Koalition in Bonn mehrmals mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften getroffen, um die erste Nachkriegsrezession gemeinsam in den Griff zu bekommen. Dies gelang auch. Später kündigten die Gewerkschaften die "konzertierte Aktion" allerdings auf, da sie sich in der Lohnpolitik unter Druck gesetzt fühlten.

Köhler sagte mit Blick auf die gegenwärtige Wirtschaftslage in Deutschland, eine Rezession sei unvermeidlich. Obwohl sich gerade viele Mittelständler vorbildlich verhielten, werde dies auch Arbeitsplätze kosten. "Die kurzfristig drängendste Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Banken einander wieder Geld ausleihen und Kredite für die Firmen bereitstellen", betonte das Staatsoberhaupt. Er räumte ein, dass es ihn als überzeugten Marktwirtschaftler "grause", dass Privatunternehmen Milliarden vom Staat erhielten. "Aber nichts zu tun, ist die schlechtere Alternative", sagte er.

Der Präsident machte gleich mehrfach deutlich, dass er die mangelnde Ursachenforschung der westlichen Regierungen für fahrlässig hält. Notwendig sei eine internationale Tagung nach dem Vorbild der Bretton-Woods-Konferenz von 1944, an der neben Politikern "sachverständige und unabhängige Persönlichkeiten" teilnehmen müssten. Ihn, Köhler, würde es reizen, eine solche Tagung einzuberufen, sagte er. "Aber in der Aufgabenbeschreibung des Bundespräsidenten kommt das nicht vor."

Köhler stellte sich hinter die Idee von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die soziale Marktwirtschaft weltweit als Modell für ein künftiges Miteinander aller gesellschaftlichen Gruppen anzupreisen. "Die Chance der Krise besteht darin, dass sie uns wach macht für die Erkenntnis: Globalisierung bedarf der Gestaltung", sagte er. Scharfe Kritik übte der Präsident an den Landesbanken. Da die meisten Institute seit Jahren über "kein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell" verfügten, hätten sie hochriskante Anlagegeschäfte getätigt, die mit ihrem ursprünglichen Auftrag nichts mehr zu tun gehabt hätten. Auch die Besetzung der Aufsichtsräte müsse überdacht werden. Zwar sei er nicht generell dagegen, dass Politiker in diesen Gremien säßen. Ein politisches Mandat allein reiche aber "als Qualifikation nicht aus".

Den Vorwurf, er mische sich ab und an zu sehr in die Tagespolitik ein, wies er zurück. "Der Bundespräsident kann kein Neutrum sein. Wenn Menschen jahrelang arbeitslos sind und daran verzweifeln, dann geht es für mich um eine Grundfrage, zu der ich auch Stellung beziehe", sagte er. Seine Entscheidung, im kommenden Jahr für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, begründete er unter anderem mit dem großen Zuspruch der Bürger. Zum 60. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes sagte Köhler, er wünsche sich weniger Änderungen. Die Sorge, die Verfassung passe nicht zum heutigen Fünf-Parteien-System, teilt er nach eigenem Bekunden nicht. Köhler unterstützte zudem die umstrittene Idee von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Abstimmungsregeln im Bundesrat zu ändern.

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SZ vom 11.12.2008/jkr
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