Syriza in Griechenland:Gefangen in der Underdog-Logik

Unter schwierigsten Bedingungen hat sich Griechenlands Regierungschef Tsipras vom wilden Oppositionspolitiker zum Staatsmann gemausert. Das Problem: Seine Syriza-Partei muss erst noch in der Regierungsrealität ankommen.

Gastbeitrag von Christos Katsioulis

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras

Er hat eine steile Lernkurve gezeigt: Alexis Tsipras arbeitet mit feinem Gespür für Stimmungen an einer Lösung.

(Foto: Bloomberg)

Die Verhandlungen zwischen der Syriza-Regierung in Athen und den europäischen Partnern neigen sich dem Ende zu. In wenigen Wochen wird Griechenland das Geld ausgehen. Athen braucht eine Einigung, um kurzfristig liquide zu bleiben. Sonst kann Ministerpräsident Alexis Tsipras den Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und den eigenen Rentnern und Beamten nicht mehr nachkommen.

Wenn Griechenland zahlungsunfähig wird, sind die Folgen kaum abzusehen, die Zugehörigkeit zur Euro-Zone steht dann zur Disposition. Im Schatten dieser Verhandlungen findet noch ein Drama ganz anderer Art statt - die Ankunft der Linkspartei Syriza in der Regierungsrealität.

Steile Lernkurve bei Regierungschef Tsipras

In den letzten Tagen zeichnet sich ab, dass für Tsipras die eigenen Leute möglicherweise eine noch schwierigere Hürde darstellen als die europäischen Partner. Der Regierungschef selbst zeigt eine steile Lernkurve vom wilden Oppositionspolitiker zum Staatsmann und hat sich in kurzer Zeit und unter schwierigsten Bedingungen in Europa eingearbeitet.

Dabei hat er eine persönliche Gesprächsebene mit Angela Merkel, François Hollande, Jean-Claude Juncker und vielen anderen in Europa gefunden, um die technischen Verhandlungen politisch zu begleiten. Mit feinem Gespür für die Stimmungslage der Partner und des eigenen Verhandlungsteams erkennt er, dass Finanzminister Yanis Varoufakis einer Einigung eher im Weg steht. Daher nahm er ihn gesichtswahrend aus der Schusslinie, ohne ihn gleich zu demontieren.

Je näher jedoch die Einigung mit den Partnern rückt, desto drängender wird die Frage, ob seine Partei schmerzhaften Kompromissen überhaupt zustimmen wird. Eine Einigung wird nicht möglich sein, ohne dass Tsipras zumindest einige der sogenannten roten Linien der Partei übertritt.

Für die Partei sind die Verhandlungen ein Krieg

Syriza ist es nicht gewohnt zu regieren, und hat noch keine Balance zwischen der Diskussionskultur linker Kleinparteien und der notwendigen Kompromissbereitschaft gefunden. Viele Mitglieder des Zentralkomitees von Syriza, aber auch einige Minister, haben sich noch nicht von der Vorstellung gelöst, dass mit ihrem Wahlsieg eine neue Epoche in Europa eingekehrt ist und sie ein "linkes Zeitalter" einleiten werden. Für sie ist die vollständige Umsetzung des Wahlprogramms ein Imperativ, die Verhandlungen mit Europa und dem IWF sind ein Krieg, den es zu gewinnen gilt. Die ersten Gesetze der Regierung sind daher immer auch auf das Bauchgefühl der Partei ausgerichtet.

So sollen die Universitätsreformen der vergangenen Jahre zurückgedreht und die Macht der Studierenden-Organisationen gestärkt werden. Damit werden linke Gruppen an den Unis bedient, auf die sich die Partei stützt. Ein maßgeschneiderter Gesetzesentwurf soll einen Terroristen und mehrfachen Mörder aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen, was für Unstimmigkeiten mit den USA sorgt, parteiintern aber auf Zustimmung stößt.

Bei der Wiedereröffnung des staatlichen Rundfunks ERT feiert der alte griechische Klientelismus fröhliche Urständ, alle relevanten Entscheidungen werden von Staatsminister Nikos Pappas getroffen. Statt die Chance zu nutzen, einen modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzubauen, verfällt die Regierung in Muster der Vorgänger. Die Posten von Krankenhausdirektoren werden neu besetzt, weil es sich hierbei angeblich um politische Ämter handelt.

Überall nur Feinde und Fallen

Die Partei bleibt gefangen in einer Underdog-Logik, die überall nur Feinde sieht. Wie im Kalten Krieg lauern im Ausland Amerikaner, Deutsche oder auch Israelis, die nur darauf warten, dass Griechenland sich unterwirft und kapituliert - so der starke Mann der linken Plattform Panagiotis Lafazanis in einem kürzlich erschienenen Artikel.

Aber auch im Inland sieht man allenthalben die alten Eliten - die "Oligarchen" -, die sich der neuen Regierung entgegenstemmen. Dies kulminiert in der Aussage, dass Syriza zwar regiert, die alten Eliten aber noch die Macht haben. Die Mischung aus Opferhaltung und Trotz führt dazu, dass man überall Fallen sieht - in den Verhandlungen mit den Institutionen sowieso; nicht umsonst nennt Lafazanis diese gerne die "sogenannten" Partner.

Damit dieser Teil von Syriza, der hauptsächlich der alten Kommunistischen Partei Griechenlands entstammt, weiter bei der Stange bleibt, inszeniert die Regierung ihre eigene Version von "Good bye Lenin". Die Sprache der Reden ist den alten marxistischen Schriften entlehnt, Gegner sind der amerikanische Imperialismus und die deutschen Kolonialisten. Die Privatwirtschaft erscheint suspekt, der öffentliche Dienst soll die Arbeitslosigkeit lösen, und wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Als Instrumente dienen das Liebäugeln mit Russland oder die Kriegsreparationen. Die Debatte knüpft nicht an den Diskurs an, den Bundespräsident Joachim Gauck angestoßen hat.

Was bleibt an Hoffnung?

Das Drama dieser Inszenierung ist, dass die Bürgerinnen und Bürger leiden, die diese Regierung mit einem großen Vertrauensvorschuss ausgestattet haben. Sie erleben, wie die Privatwirtschaft stagniert, das Land wieder in die Rezession rutschen könnte und die Zugehörigkeit zum Euro infrage steht. Die Verhandlungen mit den Partnern leiden ebenso, weil Syriza mit dieser Freund/Feind-Logik den ohnehin vorhandenen Berg des Misstrauens weiter erhöht. Die Chancen für eine gesichtswahrende Einigung schwinden von Tag zu Tag.

Unter einem Staatsbankrott würden genau jene leiden , die seit fünf Jahren für die Krise bezahlen und auf mehr soziale Gerechtigkeit gehofft hatten. Die Vermögenden haben ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht und würden von einem "Grexit" profitieren.

Was bleibt an Hoffnung? Alexis Tsipras hat schon einige Schritte in die richtige Richtung getan: Er passte sein Verhandlungsteam an, er bereitet Partei und Bürger auf einen "ehrenhaften Kompromiss" vor und ist bereit, rote Linien infrage zu stellen. Viele Mitglieder der Regierung arbeiten daran, Arbeitsplätze zu schaffen oder auch das Leben der Migranten in Griechenland menschlicher zu machen.

Nun sollten auch die Partner in Europa einen überraschenden Schritt wagen und der Regierung einen Vertrauensvorschuss gewähren, indem sie ihr zumindest bis Juni Luft geben. Nur dann besteht eine Chance, dass die Regierung endlich das tut, was Tsipras am Wahlabend versprochen hat: ein griechisches Reformprogramm zu entwerfen und zu implementieren. Die Gefahr des Scheiterns ist damit nicht gebannt, aber eine weitere Verlängerung des derzeitigen Theaters ist weder für Europa noch für Griechenland erträglich.

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