Syrischer Flüchtling in Deutschland:Flohmarkt? In Syrien heißt das Diebesmarkt

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Flohmärkte: Für Deutsche eine Freizeitbeschäftigung, für Flüchtlinge eine Möglichkeit, sich mit dem Nötigsten kostengünstig einzudecken. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Deutschen suchen auf Flohmärkten nach Schnäppchen. Flüchtlinge kaufen dort alles ein, was sie brauchen - und hoffen, dass sie niemand sieht.

Von Yahya Alaous

Wenn ich von Flohmärkten spreche, sage ich häufig versehentlich "Diebesmarkt". So nennen wir solche Märkte in Syrien, weil man dort allerlei Gestohlenes erwerben kann. Eigentlich sollte der Name abgeschafft werden und dem freundlicher klingenden "Freitagsmarkt" weichen. Doch das hat sich nicht durchgesetzt. All die Kämpfer und Soldaten, die diese Märkte immer wieder mit ihrem Diebesgut aus Plünderungen bestücken, ließen diese Namensänderung nicht zu. Die Märkte sind voll mit den Möbeln, die aus den Häusern der Regimegegner gestohlen haben.

Flohmärkte in Deutschland lassen mich deshalb immer noch staunen. In schicken Karossen fahren die Menschen vor, um dann einen Tapeziertisch auszupacken, auf dem sie ihren Krimskrams für einen oder zwei Euro anbieten. Wobei es zumeist um mehr als Krimskrams geht: Neben Kleidung und Schuhen werden auch elektrische Geräte, Farben, Schrauben oder ausgelesene Romane verkauft. Mir sind auch Menschen begegnet, die all ihre Sommerkleidung zum Winterbeginn loswerden wollen. So können auch Käufer mit schmalem Geldbeutel sich auf einmal die internationalen Marken leisten: Zara, Adidas oder Nike, wenn auch ein wenig abgetragen.

Flüchtlinge sind die wirklichen Nutznießer dieser Märkte, und weil es viele Flüchtlinge gibt, erleben die Flohmärkte einen regelrechten Boom. Natürlich sieht man dort auch viele Deutsche. Die einen, so glaube ich, kommen, um ihren alten Kram loszuwerden. Sie denken, dass es besser ist, die Sachen für kleines Geld zu verkaufen, anstatt sie wegzuschmeißen oder dem Roten Kreuz zu geben. Die anderen sind Schnäppchenjäger, die auf der Suche nach günstigen Gelegenheiten von Flohmarkt zu Flohmarkt ziehen. Die wenigsten aber, so scheint es mir, kommen, weil sie dringend etwas brauchen.

Das ist bei den Flüchtlingen - genauso wie bei ärmeren Menschen - anders. Die glücklichsten Flüchtlinge sind die, die in der Nähe eines Flohmarktes wohnen oder zumindest bald nach ihrer Ankunft einen entdecken. Da macht es auch nichts, wenn man manchmal betrogen wird. Wenn der Drucker für fünf Euro nicht funktioniert, freut man sich umso mehr, wenn der Staubsauger für sechs Euro seinen Dienst tut.

Die Waschmaschine war für uns wie ein neues Familienmitglied

Möbel und Einrichtungsgegenstände werden in Syrien nicht als kurzfristige Anschaffungen angesehen, die man mehrfach im Leben austauscht. Familien müssen in der Regel lange sparen, bevor sie sich eine Wohnzimmereinrichtung oder einen Kühlschrank kaufen können. Ein Kühlschrank bedeutet uns viel, viele bekleben ihn mit Fotos der Kinder. Deutsche, scheint mir, dekorieren ihre Kühlschänke eher mit kleinen magnetischen Plastikfiguren in Form einer Möhre, Banane oder Bohne.

Wohlhabende Syrer können sich vielleicht zweimal im Leben einen neuen Kühlschrank leisten. Das Schlafzimmer aber, das zur Hochzeit angeschafft wird, begleitet das Paar in den meisten Fällen bis zum Tod. Meine Frau und ich mussten nach der Hochzeit fünf Jahre lang warten, bis wir das Geld für eine Waschmaschine beisammen hatten. Danach sahen wir sie, die lang Ersehnte, als ein neues Familienmitglied an.

Tausende syrische Familien haben ihr Leben lang für die Rückzahlung ihrer Kredite gearbeitet. Einen für den Kühlschrank, einen für die Waschmaschine und einen für die in den heißen Sommern dringend benötigte Klimaanlage - und plötzlich kam der Krieg und nahm alles.

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Manches, was in Syrien sehr teuer war, wird in Deutschland verschenkt. Mal sieht man ein paar schöne Holzstühle "zum Mitnehmen" auf dem Bürgersteig, mal klebt ein Zettel "Geschenkt" an einem Kühlschrank auf der Straße. Dazu kommen noch die zahlreichen "Verschenke"-Seiten im Internet. Für uns Flüchtlinge ist das eine der Erscheinungen, die uns spüren lässt, dass es der deutschen Gesellschaft sehr gut geht.

Manchen Flüchtlingen ist es peinlich, wenn sie sich auf Flohmärkten begegnen. Für viele ist so ein Markt immer noch der Ort, an dem arme Menschen einkaufen gehen. Selbst, wenn diese Leute viele schöne Dinge auf dem Flohmarkt gekauft haben, würden sie niemals zugeben, sie von einem Flohmarkt zu haben. Der Name "Diebesmarkt" ist vielen noch in Erinnerung, was in Syrien auch heißt: Damit haben wir nichts am Hut. In Deutschland aber müssen sich besonders Familien mit Kindern im Schulalter schnell von derartigen Vorbehalten verabschieden.

Bevor ich Syrien verließ, hörte ich von einem Mann, der seine umkämpfte Stadt mit leeren Händen verlassen musste, um sein Leben in eine friedliche Gegend zu retten. Als er in der Stadt, in die er sich geflüchtet hatte, durch die Straßen lief, sah er plötzlich seinen eigenen Kühlschrank in einem Auto an ihm vorbeifahren. Er erkannte ihn, weil auf der Tür noch die Fotos seiner Kinder klebten. Er lief dem Auto, das auf dem Weg zum Diebesmarkt war, hinterher. Als es endlich anhielt, wollte der Fahrer dem Mann den Kühlschrank nur gegen Bezahlung überlassen. Also kaufte der Mann sich seinen eigenen Kühlschrank zurück. Den Umstehenden erklärte er, dass er nicht für das Gerät bezahlt habe, sondern für die Erinnerungen und die Fotos seiner Kinder.

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