Syrische Oppositionelle sprechen über ihren Widerstand:"Reformen ändern nichts - Assad wird weiter morden lassen"

Als Oppositionelle schweben sie in Syrien ständig in Lebensgefahr. Im saudi-arabischen Exil kämpfen sie mit dem Assad-Regime um die Deutungshoheit im Internet. Unser Autor konnte in Riad mit einer Familie sprechen, die viel riskiert, um zum Sturz des syrischen Despoten beizutragen. Über die Wut auf den Westen, Assads angekündigtes Referendum am Sonntag - und eine angebliche Al-Dschasira-Verschwörung.

Jan Hendrik Hinzel

Ein typisches arabisches Empfangs-Wohnzimmer in der Innenstadt von Riad. Beige-grüne, gepolsterte Sessel sind entlang der Wand aufgereiht, auf den Kissen Blumenmotive, davor zwei kleine Wohnzimmertische aus dunklem Holz. In der Mitte der Wand hängt eine syrische Flagge. Davor sitzt Asmaa, 25 Jahre alt. Sie will über Syrien reden und über Baschar al-Assad. Ihr Bruder und ihr Cousin sitzen ein paar Stühle weiter. Ihre richtigen Namen sollen ungenannt bleiben. Schon bald werden sie zurück nach Damaskus fliegen, wo sie studieren und arbeiten. Sie nennen die Namen, die sie sich geben, wenn sie in Syrien auf der Straße gegen das Assad-Regime demonstrieren. Asmaas Cousin, 19, heißt dann Abdulkhaled, ihr 23 Jahre alter Bruder nennt sich Abdulhamed. Ihr 65-jähriger Onkel ist ebenfalls da. Er hat lange Zeit im Ausland gelebt, unter anderem im Kanada. Er nennt sich MacClay.

Syria unrest Damascus

Eine Demonstration in Damaskus, aufgenommen mit einem Handy. Nur wenige Journalisten können aus dem Land berichten.

(Foto: dpa)

Süddeutsche.de: Abdulkhaled, du bist erst vor knapp zwei Wochen von Syrien nach Saudi-Arabien geflogen. Wie hast du Damaskus zuletzt erlebt?

Abdulkhaled: Es wird zwar ja viel über Homs berichtet, aber auch in den anderen Städten nimmt die Gewalt zu. Auch bei uns in Damaskus. Assads Schergen gehen gezielt gegen Familien vor. Sie stechen sogar kleine Kinder ab. Kurz bevor ich nach Riad geflogen bin, ist einer meiner Mitdemonstranten in meinen Armen gestorben. Er wurde erschossen. Und bei jeder Demonstration werden etwa 60 Leute einfach mitgenommen, die dann nicht mehr auftauchen.

SZ: Wer sind die Demonstranten, welchen Bevölkerungsschichten gehören sie an?

Abdulkhaled: Der Protest zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Zu Beginn waren es hauptsächlich sunnitische Muslime. Viele Syrer waren zunächst zögerlich, unter anderem Christen, Schiiten oder Alawiten. Sie waren sich nicht sicher, ob sie Assad ablehnen können. Er als Alawit gewährt ihnen Privilegien. Aber die Gewalt wird auch ihnen mittlerweile zu viel. Viele Christen unterstützen die Demonstranten, indem sie ihnen Unterschlupf gewähren oder ihnen etwas zu essen geben. Mittlerweile sind aber auch einige von ihnen auf der Straße.

Asmaa: Mir ist wichtig zu sagen, dass die Freie Syrische Armee, die aus desertierten Soldaten besteht, nicht mit den Demonstranten in einen Topf geworfen werden sollte. Klar, beide sind gegen Assad. Aber die Freie Syrische Armee kämpft mit Waffen und Gewalt und versucht, die Demonstranten zu beschützen. Die meisten Menschen demonstrieren weiter friedlich. Womit sollten sie auch kämpfen? Gegen Panzer, Raketen und Scharfschützen haben sie doch keine Chance!

SZ: Asmaa, du unterstützt den Protest gegen Assad im Internet. Wie genau hat man sich diesen Online-Aktivismus vorzustellen?

Asmaa: Mit einer Gruppe von anderen Syrern archiviere ich Videos, die andere Aktivisten hochgeladen haben. Viele Assad-Unterstützer wollen das Sperren oder Löschen von Videos auf verschiedenen Plattformen erreichen, indem sie die Videos gezielt als Spam markieren oder massenhaft disliken. Aber wir speichern die Videos nicht nur. Je nach Sprachkenntnissen übersetzen wir die Dialoge und bauen Untertitel ein. Dann laden wir die Videos auf unserem eigenen Youtube-Kanal erneut hoch, damit die Welt von den Gräueltaten Assads erfährt.

SZ: Welche Rolle spielt das Internet vor Ort in Syrien? Wie wichtig sind Facebook und Twitter?

Abdulkhaled: Das Internet und speziell Facebook wird überwacht. Wenn wir dort die Orte für unsere Kundgebungen bekanntgeben, sind Assads Leute immer schon da. Das Internet ist hauptsächlich für Exil-Syrer wichtig. Wir in Syrien können uns nicht einmal per SMS verständigen. Alles ist überwacht. Wir machen Mund-zu-Mund-Propaganda und benutzen Code-Wörter, die sich ständig ändern.

Abdulhamed: Ein Code-Wort war bis vor kurzem zum Beispiel Hochzeit oder Café. "Wir sehen uns um neun Uhr im Café" war der Code für eine Kundgebung an einem bestimmten Ort. Ein anderes Beispiel kam aus dem Fußball: Barcelona gegen Madrid. Barcelona ist die stärkere Mannschaft und steht für Assad und die Armee. Madrid ist schwächer und steht für die Demonstranten. Wenn Barcelona führt, hat Assad wieder morden lassen. Barcelona führt mit 1:0. Das heißt, es hat mehrere Tote gegeben.

Abdulkhaled: Mittlerweile haben wir wieder andere Codes. Teilweise wissen nicht einmal die anderen Demonstranten, die wir während der Proteste kennenlernen, wie unsere richtigen Namen lauten. Man weiß nie, wer einen nicht doch verraten kann oder wer vom Geheimdienst sein könnte.

"Am Ende steht die ganze Region in Flammen"

SZ: Eine Resolution im UN-Sicherheitsrat wurde abgelehnt durch Vetos von Russland und China. Wie nehmt ihr dieses Ergebnis auf?

Syrische Oppositionelle sprechen über ihren Widerstand: Asmaa bearbeitet von Saudi-Arabien aus Youtube-Videos von Demonstrationen in Syrien.

Asmaa bearbeitet von Saudi-Arabien aus Youtube-Videos von Demonstrationen in Syrien.

(Foto: privat)

Abdulhamed: Von Russland und China war doch nichts anderes zu erwarten. Russland liefert Assad doch die Waffen. Und die Arabische Liga? Schickt Kriegsverbrecher als Wahlbeobachter! Aber der Westen ist genauso verlogen. Wieso greifen sie in Libyen ein und bei uns nicht. Nur weil wir kein Öl haben. Ich bin enttäuscht, nein, wütend.

MacClay: Okay, Libyen hat Öl. Aber Syrien ist doch auch von wichtiger strategischer Bedeutung, oder nicht? Wir haben eine Grenze mit Israel. Wir liegen neben Irak und Iran. Bei uns leben alle möglichen religiösen Gruppierungen friedlich miteinander. Wenn die Gewalt weitergeht, steht all das auf dem Spiel. Am Ende steht die ganze Region in Flammen. Und Syrien ist nicht wichtig genug?

Asmaa: Ach. Ich kann dieses Argument von strategischer Bedeutung nicht mehr hören. Wie strategisch wichtig war für Europa und die USA denn der Kosovo? Fakt ist, dass in Syrien gerade täglich hilflose und unschuldige Menschen abgeschlachtet werden. Reicht das nicht, dass die Welt etwas unternimmt, um diesen Menschen zu helfen? Reicht das nicht? Das geht jetzt schon ein Jahr so. Wie lange noch? Jeden Tag muss ich meine Mutter aus Angst um meinen Bruder weinen sehen. Normalerweise sollte die Armee die Bürger eines Landes beschützen. In Syrien rennen die Menschen vor der Armee davon.

SZ: Erste Sanktionen werden gerade verhängt. Was sollten die Europäer momentan tun, außer vielleicht mehr Flüchtlinge aufzunehmen?

Asmaa: Ich will doch kein Flüchtling sein. Ich will ein freier Bürger in einem freien Land sein. Wenn sie schon nicht selbst eingreifen, sollten sie Waffen an die Freie Syrische Armee liefern. Waffen und Munition werden nämlich langsam knapp.

SZ: Was passiert, wenn man Rebellen bewaffnet, lässt sich in Libyen beobachten: Sie wollen die Waffen teilweise nicht mehr abgeben. Seit Gaddafis Tod rächen sich einige von ihnen an Gaddafis Soldaten und Söldnern.

MacClay: Das würde in Syrien nicht passieren. Wir sind ein gebildetes Volk. Ja, Assad ist Alawit und die Alawiten sind eine Minderheit. Aber wir können zwischen Assads Leuten und anderen Alawiten unterscheiden. Bisher leben die Religionen in Syrien friedlich zusammen. Wir könnten sogar mit Israel in Frieden leben, wenn sie uns die Golan-Höhen zurückgeben. Aber das ist ein anderes Thema.

Abdulhamed: Jetzt heißt es, man könne die Demonstranten nicht mit Waffen unterstützen, weil anscheinend al-Qaida den Protest unterwandert.

Asmaa: Das ist Unsinn. Vielleicht mischen sich einzelne Al-Qaida-Anhänger unter die Protestler, aber bisher waren al-Qaida in Syrien nicht wirklich aktiv.

Abdulhamed: Selbst wenn, es sind nicht viele und sie würden keine Unterstützung von der syrischen Bevölkerung finden.

Asmaa: Assad versucht jetzt, uns gegeneinander aufzuhetzen. Aber das Staatsfernsehen ist so schlecht. Dem glaubt doch niemand. Erst neulich haben sie einen Bombenanschlag inszeniert. Dumm nur, dass sie sich auch noch dabei gefilmt haben, wie sie alles vorbereitet haben. Das Material kam ihnen abhanden und wurde veröffentlicht. Sie machen sich zum Gespött der Syrer. Neulich behaupteten sie sogar, die Proteste wären eine Verschwörung von al-Dschasira. Die Bilder von Gewalt in syrischen Städten wären in Studios in Katar nachgespielt. Wer glaubt so etwas? Für wie dumm hält Assad uns?

MacClay: Aber Assad spaltet das Land doch selbst. Wenn ein Alawit und ein sunnitischer Muslim um den gleichen Job konkurrieren, bekommt der Alawit den Job, egal wie gut oder schlecht er qualifiziert ist. Es ist unfair. Wenn manche anderen Syrer dann schlecht auf Alawiten zu sprechen sind, braucht Assad sich doch nicht zu wundern. Das heißt aber nicht, dass nach einem Sturz Assads alle auf die Alawiten losgehen.

"Alle Diktaturen in der Region sind furchtbar"

SZ: Deine Familie, Asmaa, ist sunnitisch und vor 15 Jahren ins sunnitisch-wahhabitische Saudi-Arabien ausgewandert, um der Diskriminierung bei der Jobsuche zu entkommen. Die saudische Regierung legte der UN-Vollversammlung einen Antrag vor, indem sie die Menschenrechtsverletzungen in Syrien anprangert. Saudi-Arabien ist selbst nicht gerade dafür bekannt, Menschenrechte zu achten. Wie glaubwürdig ist das saudische Engagement gegen Assad?

Asmaa: Welche Interessen die saudische Regierung in Syrien verfolgt, kann ich nicht beurteilen. Assads gute Beziehungen zu Iran könnten eine Rolle spielen, ich weiß es nicht. Von der saudischen Bevölkerung bekomme ich als Syrerin jedoch enormen Rückhalt. Viele beobachten die Lage sehr genau und sind schockiert über die Gewalt. Neulich forderte ein Imam die Moschee-Besucher dazu auf, für Frieden in Syrien zu beten. Wenn diese Rede über Lautsprecher im ganzen Stadtteil zu hören ist, fühlt man sich nicht mehr ganz so verlassen.

MacClay: Es kann ja sein, dass Saudi-Arabien strategische Interessen in Syrien verfolgt. Aber selbst wenn. Welches Land tut das nicht. Russland verkauft Assad auch Waffen und handelt somit im eigenen Interesse. Neulich habe ich eine Karikatur gesehen. Russland, Saudi-Arabien, die UN, die USA, Europa und so weiter sind Fußballspieler, die nach einem Ball kicken - Syrien. Der Ball ist zerfetzt.

SZ: Wie ist es, von einer Diktatur aus für Freiheit in einer anderen Diktatur zu kämpfen? Wenn man weiß: Die Menschen in Saudi-Arabien haben genauso wenig das Recht auf eine freie Meinung und demonstrieren trotzdem nicht.

Abdulhamed: Im Vergleich zu Syrien haben die Menschen hier viele Freiheiten. Wenn du als Saudi auf Facebook schreibst, dass du mehr Freiheit willst, passiert nicht viel. In Syrien nehmen sie dich dafür fest.

MacClay: Wir können hier ganze Säle und Hallen mieten und dort die Exilsyrer vernetzen. Zu Hause dürften wir so etwas nie.

Asmaa: Aber wirklich frei kann man seine Meinung hier auch nicht äußern. Als Sunniten geht es uns hier besser als in Syrien. Doch zu viel Kritik, vor allem an Saudi-Arabien, geht nicht. Ich glaube aber nicht, dass Saudi-Arabien auf seine Bevölkerung schießen lassen würde, wenn es zu Demonstrationen kommt.

SZ: Die bei Demonstrationen im Osten des Landes erschossenen Schiiten sind also nicht Teil der saudischen Bevölkerung?

Abdulkhaled: Alle Diktaturen in der Region sind furchtbar. Aber sie sind nicht gleich. Der Unterschied zwischen Syrien und Saudi-Arabien ist folgender: In Saudi-Arabien werden vielleicht einzelne Demonstranten erschossen. Aber sie lassen den Rest der Familie in Ruhe. In Syrien stehen die Soldaten anschließend vor deiner Haustür. Im guten Fall bleibt es bei Drohungen. Im schlechten Fall schlagen sie deine Eltern, nehmen deinen Bruder mit und vergewaltigen deine Schwester. Saudis würden das nie tun.

SZ: Trotzdem willst du zurück nach Damaskus fliegen?

Abdulkhaled: Ja. Ich muss doch zur Uni. Außerdem kann ich meine Landsleute nicht im Stich lassen. Ich werde weiter auf die Straße gehen.

SZ: Assad hat für den 26. Februar ein Referendum über eine reformierte syrische Verfassung angekündigt. Ein letzter Versuch, die Lage zu entschärfen?

Asmaa: Das Referendum ist ein Witz. Es kommt viel zu spät. Er kann doch nicht auf seine Bevölkerung schießen lassen und sie gleichzeitig auffordern, zur Wahl zu gehen. Außerdem sind die versprochenen Reformen nur Scheinreformen. Ändern würde sich nichts. Die Leute werden weiter auf die Straße gehen. Und Assad wird weiter morden lassen.

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