Süddeutsche Zeitung

Syrienkrieg:Mutmaßlicher Chemiewaffenangriff verschärft Konflikt zwischen USA und Russland

  • Im Streit um die Frage, ob das Assad-Regime im syrischen Duma Chemiewaffen eingesetzt hat, haben sich Russland und westliche Staaten im UN-Sicherheitsrat einen heftigen Schlagabtausch geliefert.
  • Schließlich blockierten sich beide Seiten gegenseitig bei ihren Vorschlägen.
  • Die Internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) will Inspektoren nach Duma entsenden. Doch es ist fraglich, ob sie noch Belege finden können.

Von Alan Cassidy, Washington, Paul-Anton Krüger, Kairo, und Mike Szymanski

Michail Bogdanow ist einer der erfahrensten russischen Diplomaten. Der 66-Jährige war Botschafter in Damaskus, spricht fließend Arabisch, ist einer der Architekten der russischen Syrien-Politik. Die US-Drohung mit einem Militärschlag sei ernst zu nehmen, sagte er am Dienstag russischen Nachrichtenagenturen. Aber es gebe "funktionierende Kontakte" zu Syrien mit den Amerikanern, fügte der für den Nahen Osten zuständige Vizeaußenminister hinzu. Er hoffe, dass es die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes mit den USA nicht gebe und der "gesunde Menschenverstand" triumphiere.

Das hörte sich nuancierter an als der heftige Schlagabtausch, den sich Moskau am Abend zuvor mit den USA und anderen westlichen Staaten im UN-Sicherheitsrat geliefert hatte. Botschafter Wassilij Nebensja bestritt in einer wütenden Rede, dass es in Duma, einem Vorort von Damaskus, einen Angriff mit Chemiewaffen gegeben habe.

Russische Experten hätten weder Spuren von Chlor noch von Nervenkampfstoffen gefunden. Alles sei eine Täuschungsoperation der Rebellen, die von US-Spezialeinheiten eigens dafür ausgebildet worden seien - und Teil eines US-Plans, Russland "mit einem breiten Arsenal von Methoden zu schaden". Dunkel warnte er, die USA trieben die Welt an eine "gefährliche Schwelle", ein Angriff auf Syrien werde "schwerwiegende Folgen" haben.

Ein Konflikt der Atommächte stand also wieder im Raum, der mutmaßliche Chemiewaffenangriff geriet in den Hintergrund. US-Botschafterin Nikki Haley hatte dem "russischen Regime" vorgeworfen, "das Blut syrischer Kinder" klebe an seinen Händen.

Ihr französischer Kollege François Delattre sagte, die Symptome der Opfer legten nahe, dass sie einem starken Nervengift ausgesetzt gewesen seien, das zusammen mit Chlor eingesetzt worden sei. Nur die syrischen Streitkräfte hätten die Mittel, solche Waffen herzustellen und ein Motiv für einen solchen Angriff.

Die harsche Rhetorik ist mehr als eine Drohkulisse, und es ist zunehmend unwahrscheinlich, dass der Sicherheitsrat noch eine Lösung findet, die einen Militärschlag abwendet. Nebensja lud zwar die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) ein, Inspektoren nach Duma zu schicken. Allerdings legte Moskau am Dienstag Veto ein gegen einen US-Resolutionsentwurf, mit dem eine Untersuchungsmission eingerichtet werden sollte. Er sah sofortigen Zugang für die OPCW in ganz Syrien vor. Überdies sollten die Ermittler Verantwortliche benennen dürfen. Moskau hatte einen eigenen Entwurf vorgelegt; er erhielt nur sechs Stimmen und ist somit abgelehnt, der Rat bleibt also blockiert.

Die OPCW hatte dessen ungeachtet am Dienstag angekündigt, "bald" Experten nach Duma zu schicken. In Paris sagte am Abend Präsident Emmanuel Macron, Angriffsziele würden syrische Chemiewaffen-Anlagen sein, nicht Verbündete Syriens - iranische oder russische Truppen, die Macron aber nicht explizit nannte. Frankreich wolle "keine Eskalation". Er werde binnen Tagen mit den USA und Großbritannien über eine Reaktion entscheiden - womit er zu erkennen gab, dass es offenbar noch keine Entscheidung gibt. Macron bekräftigte, der Einsatz von C-Waffen sei eine "rote Linie", ließ jedoch offen, ob er diese als übertreten ansieht oder die Geheimdienste Belege gegen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad haben.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir rufen Assad und seine Unterstützer auf, sofort internationale Beobachter in das Gebiet zu lassen und medizinische Helfer." Bislang sei dies verweigert worden. Auch habe Russland bislang mit seinem Veto verhindert, dass die UN handelten.

Ob Inspektoren für einen Chlor-Einsatz in Duma noch Belege finden können, istfraglich. Mit jedem Tag wird der Nachweis anhand von Proben aus der Umwelt und dem Gewebe der Opfer schwieriger. Das russische Fernsehen zeigte Militärpolizisten an einem getroffenen Haus in Duma, was nicht gerade Vertrauen in den Aufklärungswillen Moskaus weckt. Ein Video legt nahe, dass ein syrischer Hubschrauber dort einen Zylinder abgeworfen hat - der jenen früherer Chlor-Angriffe gleicht. Das Regime hat immer wieder zu Chlor und Kampfstoffen gegriffen, wenn militärtaktisch das Ziel war, den Widerstand in Rebellengebieten zu brechen - trotz des Risikos internationaler Reaktionen mit sich brachte.

In Duma willigten die Rebellen von Jaisch al-Islam nur Stunden nach der Attacke in ihren völligen Abzug ein. Zuvor hatte sie mit Russland noch über den Verbleib verhandelt, bis eine politische Lösung für ganz Syrien erreicht sei - was Assads erklärtem Ziel entgegengelaufen wäre, das gesamte Land zurückzuerobern.

Für US-Präsident Donald Trump geht es angesichts dieses Musters nun darum, eine Reaktion zu finden, die wirksamer ist als der Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt Schayrat vor einem Jahr, mit der er die Sarin-Attacke auf Khan Scheikhun beantwortete. 59 Marschflugkörper feuerten US-Schiffe damals ab, doch syrische Jets starteten dort schon Tage später wieder.

Beschränkte Luftschläge könnten sich gegen Stützpunkte der syrischen Luftwaffe richten, die mit dem Angriff zusammenhängen, gegen Einrichtungen des geheimen Chemiewaffen-Programms, den Luftwaffen-Geheimdienst, Munitionsfabriken, Logistikstützpunkte. Als denkbar gelten in Washington auch Angriffe auf Einheiten, die Iran unterstützt, oder die Unterbindung von Nachschubflügen über den Irak.

Für all dies kämen Angriffe mit Marschflugkörpern infrage, wie sie der Zerstörer USS Donald Cook mitführt, der sich Syriens Küste nähert. Auch der Zerstörer USS Porter befindet sich im östlichen Mittelmeer.

Frankreich hat laut dem Verteidigungsministerium Rafale-Kampfjets in Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügbar sowie eine mit Marschflugkörpern bewaffnete Fregatte im Mittelmeer. Großbritannien, das sich ebenfalls beteiligen könnte, unterhält einen Luftwaffenstützpunkt auf Zypern, und hat üblicherweise ein U-Boot mit Marschflugkörpern im Mittelmeer auf Patrouille.

Hilft ein Signal an Russland?

Denkbar, aber weniger wahrscheinlich ist ein massiver Angriff auf die syrische Luftwaffe oder gar gegen Assad und seine Unterstützer sowie die Kommandostrukturen der Armee. Die politischen und militärischen Risiken wären hoch, weil die Wahrscheinlichkeit steigt, russische Soldaten zu treffen, die in vielen Militärbasen präsent sind. Nichts in Trumps früheren Aussagen deutet darauf hin, dass er dies eingehen will.

Senatoren brachten stattdessen eine Verschärfung der Sanktionen gegen Teheran und Moskau ins Spiel. "Das syrische Regime kann ohne Russland und den Iran nicht existieren", sagte der Demokrat Benjamin Cardin. Man müsse nun ein Signal senden, dass ihnen klar mache, dass sie Assad unter Kontrolle bringen müssten.

In Washington spekuliert man, in welche Richtung der als Hardliner bekannte neue Nationale Sicherheitsberater John Bolton den Präsidenten beeinflusst. Er hatte 2013 Luftschläge abgelehnt, als Präsident Obama dies erwog, Trumps Angriff auf Schayrat aber gutgeheißen. Trump hielt sich zu Syrien zunächst bedeckt. Das Weiße Haus kündigte aber an, er werde wegen der Lage eine Reise nach Lateinamerika nicht antreten, sondern in Washington "Amerikas Antwort beaufsichtigen".

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SZ vom 11.04.2018/gal
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