Syrien:Die Waffen sollen schweigen

A file photo shows empty vegetable stalls in Aleppo's rebel-controlled Bustan al-Qasr neighbourhood due to a siege by Syrian pro-government forces that cut the supply lines into opposition-held areas of the city

Leerer Gemüsestand nahe Aleppo

(Foto: Abdalrhman Ismail/Reuters)
  • Nach mehr als fünf Jahren Bürgerkrieg unternehmen die USA und Russland einen neuen Versuch, die Gewalt in Syrien zu beenden.
  • Ab Montag sollen die Waffen schweigen.
  • Am Wochenende eskalierte die Gewalt im Bürgerkriegsland.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Wenn an diesem Montag die Sonne über Syrien untergeht, begehen die Menschen in dem geschundenen Land das höchste Fest der Muslime: Eid al-Adha, das Opferfest. Von der Bedeutung für die Menschen kommt es Weihnachten gleich. Familien treffen sich, verbringen die Feiertage miteinander. Wenn die USA und Russland sich durchsetzen, könnte es diesmal ein ganz besonderes Fest werden - eine Pause von den Bomben und Gefechten. Die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow haben am Wochenende in Genf vereinbart, dass mit Sonnenuntergang die Waffen im ganzen Land schweigen sollen. Und dass sie Rebellen und das Regime von Präsident Baschar al-Assad in die Pflicht nehmen, die Feuerpause einzuhalten.

Kerry hat sich zur Mission erkoren, zusammen mit Russland eine politische Lösung auszuhandeln, die den seit fünfeinhalb Jahren tobenden Bürgerkrieg beenden würde. Genf ist sein letzter Versuch; am 8. November wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten und damit eine neue Regierung. Einen "weiter reichenden Ansatz als bisher" nannte er jenen Plan, die Gewalt in Syrien zu stoppen, um den er seit Juni mit Lawrow gerungen hat. Wenn die Waffenruhe halte, so Kerry, könne dies "der Moment sein, an dem die multilateralen Bemühungen um einen Frieden wieder greifen" und eine Rückkehr zu den von den UN vermittelten Friedensgesprächen in Genf doch noch einmal möglich wird. "Ich will noch einmal das Wenn betonen," schob der Minister allerdings hinterher.

Es sind gleich mehrere Wenns: Die humanitäre Hilfe für belagerte Gebiete soll wieder in Gang kommen, speziell für Aleppo. Gerade haben regierungstreue Einheiten den Ring um den von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt wieder geschlossen. Nun soll eine demilitarisierte Zone an der Castello Road ungehinderte Lieferungen garantieren, zudem müssten die Konfliktparteien Transporte durch den südlichen Vorort Ramouseh zulassen, wo jüngst islamistische Rebellen zusammen mit Kämpfern der als terroristisch eingestuften Nusra-Front die Blockade einige Tage gebrochen hatten.

Bis hierhin ist der Plan wenig mehr als die Wiederherstellung der im Februar in München beschlossenen Waffenruhe, die nach wenigen Wochen zusammengebrochen war. Doch sieht er weiter vor, dass, sofern die Feuerpause sieben Tage hält, die USA und Russland eine gemeinsame Operationszentrale einrichten, um den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat und, wichtiger noch, die Nusra-Front zu koordinieren, jenen Ableger von al-Qaida, der sich jüngst von dem Terrornetzwerk losgesagt und in Jabhat al Fateh al-Sham umbenannt hat, Front zur Eroberung Großsyriens.

Während die USA und Russland ihre Einsätze abstimmen und auch gemeinsam planen würden, dürfte Assads Luftwaffe nur noch eingeschränkt fliegen - womit die wahllose Bombardierung von Rebellengebieten gestoppt werden soll. Meist trifft sie zivile Ziele wie Krankenhäuser und Märkte, das Regime setzt Terrorwaffen ein - Fassbomben und Chlorgas.

Kampf gegen die Nusra-Front

Eine militärische Zusammenarbeit der USA mit Russland in Syrien, das wäre ein Novum. In Washington ist es höchst umstritten. Monatelang hatten sich Pentagon und Geheimdienste gesperrt; Kerry kommt damit Forderungen des Kreml weit entgegen. In stundenlangen Videokonferenzen mit dem Weißen Haus bekam er in der Nacht zum Samstag die Zustimmung von Präsident Barack Obama, der sich jüngst noch äußerst skeptisch gezeigt hatte, ob den Intentionen Moskaus in Syrien zu trauen sei. Bei seinem frostigen Treffen mit Wladimir Putin beim G-20-Gipfel in China hatte es zu einer Einigung zu Syrien nicht gereicht; er beauftragte Kerry, weiter mit Lawrow zu reden.

Der ließ es sich nicht nehmen, Washingtons Uneinigkeit vorzuführen: Den Journalisten, die wegen der internen Diskussionen der Amerikaner Stunden auf eine angekündigte Pressekonferenz warten mussten, brachte er bestens gelaunt Pizza (spendiert hatten sie die Amerikaner). Auf Nachfrage eines Reporters, wo der Wodka bleibe, kam er wenig später grinsend mit zwei Flaschen russischem Schnaps zurück. Pentagon-Sprecher Peter Cook betonte am Tag danach, eine militärische Kooperation werde es nur geben, wenn Moskau alle Verpflichtungen vollständig erfülle, die siebentägige Waffenruhe eingeschlossen.

Der Kampf gegen die Nusra-Front ist zentraler Streitpunkt zwischen USA und Russland. Beide stufen sie als Terrorgruppe ein, auch nachdem sie sich von al-Qaida losgesagt hat. Die russische Luftwaffe und das Regime aber attackierten regelmäßig Rebellen, die von den USA oder anderen Staaten unterstützt werden, unter dem Vorwand, gegen Nusra zu kämpfen.

Doch wie sieht ein politischer Übergang aus?

Zugleich kooperierten einige Rebellen punktuell mit der kampfstarken Gruppe, zuletzt beim Versuch, die Belagerung Aleppos zu brechen. Anders als für die USA ist ihre Priorität weiter, Assad zu stürzen. Nun sollen Russland und USA gemeinsam Gebiete demarkieren, die Nusra zugerechnet werden. In fünf Dokumenten, die unter Verschluss bleiben, sind lange umstrittene technische Details schriftlich geregelt.

Die Rebellen aber, die es "bequem gefunden haben", Seite an Seite mit der Nusra-Front zu kämpfen, ließ Kerry wissen, dies werde "künftig nicht mehr ratsam" sein. Gemeint waren vor allem islamistische Gruppen wie Ahrar al-Sham, die Russland am liebsten ebenfalls auf der Terror-Liste der UN sehen würde. Doch weiß auch Kerry allzu gut, dass viele der moderaten und nationalistischen Gruppen die militärisch überlegene Nusra-Front nicht aus ihren Gebieten vertreiben können - die USA haben die Erfahrung gemacht, wie die Dschihadisten vom Pentagon ausgebildete Rebellen kaltgestellt und entwaffnet haben. Manche Gruppen werden also bald vor der Wahl stehen, einen hoffnungslosen Kampf gegen Nusra zu führen - oder Ziel amerikanisch-russischer Angriffe zu werden.

Die meisten Rebellen haben die Waffenruhe vorsichtig begrüßt, das Regime hat zugesagt, sie einzuhalten. Ob es so kommt, ist der Erfahrung nach fraglich - zumal Kerry und Lawrow sich nur über militärische Fragen verständigt haben, nicht aber darüber, wie ein politischer Übergang in Syrien aussehen könnte. Das Regime wird aus seiner neu gewonnen Position der Stärke kaum bereit sein, entscheidende Zugeständnisse zu machen, vor allem was Assads künftige Rolle anlangt. Der setzt vielmehr darauf, den Krieg mithilfe seines zweiten Verbündeten Iran militärisch zu gewinnen.

Viele Rebellen dagegen hoffen, dass sie unter einer neuen US-Regierung (geführt von Hillary Clinton) mehr Unterstützung bekommen - oder von den Golfstaaten, wenn die ihre Geduld mit Washington verlieren. So haben beide Seiten Motive, die Waffenruhe erneut zu unterlaufen. Den Syrern stünde dann nach den Feiertagen ein weiterer blutiger Winter bevor, der mehr Menschen das Leben kosten dürfte als jeder zuvor.

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