Süddeutsche Zeitung

Syrien:Votum für den Hunger

Russland und China stimmen im Weltsicherheitsrat der UN gegen die Fortsetzung der Hilfslieferungen für Syrien. Das könnte Millionen Leben bedrohen.

Von Paul-Anton Krüger

Russland hat mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat die humanitäre Hilfe für 4,3 Millionen bedürftige Menschen in Nordsyrien blockiert. In der Nacht zum Samstag stimmten Moskau und auch Peking gegen eine von Deutschland zusammen mit Belgien und Kuwait eingebrachte Resolution. Mit ihr sollten die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen aus dem Irak, aus Jordanien und der Türkei für ein weiteres Jahr verlängert werden. Die Regelung bestand seit 2014 und soll sicherstellen, dass die UN auch in Gebieten Syriens die notleidende Bevölkerung versorgen können, die nicht unter der Kontrolle des Regimes von Präsident Baschar al-Assad stehen. Bislang waren solche Lieferungen über je einen Grenzübergang aus dem Irak und aus Jordanien sowie an zwei Übergängen aus der Türkei möglich. 2018 hatten sich Russland und China enthalten, während alle anderen 13 Mitglieder des Sicherheitsrates die Resolution um ein Jahr verlängerten.

Sie haben "Blut an den Händen", wirft der US-Außenminister nun den Neinsagern vor

Umstritten ist vor allem der Übergang vom Irak nach Syrien. Er ermöglicht es den UN, etwa 1,3 Millionen Menschen im Nordosten Syriens zu versorgen, den mit den USA verbündete kurdische YPG-Milizen kontrollieren. "Beschämend" nannte US-Außenminister Mike Pompeo das Veto Russlands und Chinas und warf ihnen vor, "Blut an den Händen zu haben". Die USA seien entschlossen, "denen, die keine Stimme haben, den Hungernden, Vertriebenen und Waisen die humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen, um zu überleben, egal wo sie leben".

Deutschlands UN-Botschafter Christoph Heusgen sagte, der Sicherheitsrat habe versagt. Er sprach von "einem traurigen Tag für das syrische Volk". Die von Deutschland eingebrachte Resolution gründe nicht auf Politik, sondern auf den "tatsächlichen humanitären Bedürfnissen der Syrer". Über Wochen hätten Deutschland, Belgien und Kuwait sich in transparenten Verhandlungen um einen ausgewogenen Vorschlag bemüht. Sie hatten angeboten, den jordanischen Übergang zu streichen und dafür einen dritten von der Türkei einzurichten. Außer Russland und China hatten erneut alle 13 anderen Staaten im Gremium zugestimmt. Heusgen appellierte an alle Mitglieder des Sicherheitsrats, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, man werde weiter an einer Lösung arbeiten.

Diplomaten halten dies allerdings für ein äußert schwieriges Unterfangen. Sollte es scheitern, laufen die Genehmigungen am 10. Januar aus. Die UN und andere internationale Organisationen könnten dann keine Hilfslieferungen mehr nach Nordsyrien bringen. Das werde einen rapiden Anstieg von Hunger und Seuchen verursachen und zu Toten, Leid und weiteren Vertreibungen führen, warnte die für humanitäre Angelegenheiten zuständige stellvertretende UN-Generalsekretärin Ursula Müller. Offen ist, ob Staaten wie die USA oder private Organisationen dies übernehmen könnten. Faktisch ist der Grenzübergang noch unter Kontrolle kurdischer Einheiten. Allerdings müssten auch der Irak und die dortige kurdische Regionalregierung in Erbil ein solches Vorgehen tolerieren. Auch Hilfsorganisationen warnten, die Blockade bringe das Leben von Millionen Menschen in Gefahr.

Russland hatte einen Gegenentwurf eingebracht, der nur fünf der neun für die Verabschiedung notwendigen Stimmen erhielt. Er sah vor, nur zwei Übergänge von der Türkei aus offen zu halten. Moskaus UN-Botschafter Wassilij Nebensia sagte, die USA sollten nicht versuchen, die Verantwortung auf Russland abzuwälzen. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking teilte mit, die grenzüberschreitende humanitäre Hilfe müsse Syriens "Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität" voll respektieren.

Die kurdischen YPG-Milizen kontrollieren auch nach dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien ein Gebiet vom Euphrat bis zur irakischen Grenze, mussten sich aber 30 Kilometer von der Grenze zur Türkei zurückziehen. In diesem Gebiet allein sind laut den UN 1,3 Millionen Menschen auf Hilfe von außen angewiesen, von der ihre medizinische Versorgung abhängt. Die Türkei betrachtet die YPG als Terrorgruppe und Ableger der separatistischen PKK, die sich seit Jahrzehnten einen blutigen Kampf mit dem türkischen Staat liefert.

Von der Türkei aus werden die von islamistischen Rebellen kontrollierte Provinz Idlib und von der Türkei besetzte Gebiete um die Stadt Afrin versorgt, nicht aber von den YPG kontrollierte Teile Nordsyriens. Assad, dessen wichtigster Verbündeter Russland ist, will ganz Syrien wieder unter seine Kontrolle bringen. In den YPG-Gebieten liegen Ölquellen, die für den Weltmarkt unbedeutend sind, für das Regime aber wichtig. Die USA haben die Truppen zu deren Schutz verstärkt - obwohl Präsident Donald Trump den Abzug aller US-Soldaten aus Syrien verkündet hatte.

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SZ vom 23.12.2019
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