Flüchtlinge:Syrien braucht Einmischung

Flüchtlinge: Ein syrischer Vater mit seinem Kind während einer Ausschreitung in Damaskus.

Ein syrischer Vater mit seinem Kind während einer Ausschreitung in Damaskus.

(Foto: AFP)

Die wichtigste Erfahrung des Fluchtsommers: Die Europäer können Konflikte wie in Syrien nicht einfach auf Abstand halten.

Kommentar von Stefan Kornelius

Nach einem Jahrzehnt der Interventionen haben die westliche Welt und die USA an ihrer Spitze beschlossen, zu den Krisen und Kriegen auf dem Globus einen Sicherheitsabstand einzuhalten. Die Erfahrung in Afghanistan und das selbst verschuldete Chaos im Irak haben Ernüchterung und Demut zur Folge. Der radikal-totalitäre Islamismus sog Kraft aus der Präsenz der westlichen Soldaten. Die Fanatiker verhöhnten die vermeintlich Ungläubigen in ihren Propagandabotschaften und lähmten sie mit ihren Gräueln.

Syrien steht im Zentrum dieser gemiedenen Konflikte. Viereinhalb Jahre nach den ersten zaghaften Freiheitsprotesten in Daraa hat sich der Bürgerkrieg zu einem schier unbezwingbaren Monster entwickelt. Der selbsternannte Islamische Staat ist aus seinem Schoß gekrochen. 220 000 Menschen sind tot, fast die Hälfte aller Syrer wurde von der Gewalt vertrieben. Unvorstellbare 7,6 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, mehr als vier Millionen von ihnen werden bis zum Jahresende in Lagern vor allem in der Türkei, Libanon und Jordanien erwartet. Ein paar Zehntausend haben es auch nach Europa geschafft. Ein paar Dutzend nach Heidenau in Sachsen.

Konflikte haben sich wie ein Vulkanring um Europa gelegt

Die Statistik der UN-Flüchtlingshelfer ist unbestechlich, ihr Blick auf den Globus von kalter Präzision. Wer sich eine Karte nimmt, der wird schnell verstehen, warum Europa das Ziel dieser Menschen ist, die vor Kriegen und Gewalt fliehen. Wie ein Vulkanring haben sich die Konfliktherde um Europa gelegt - von Mali im Südwesten über den Sudan und Eritrea bis Syrien im Südosten. Ein Flüchtlingsszenario aus der Ukraine mag sich niemand ausmalen.

Syrien aber ist das Epizentrum der globalen Gewalt. Warum gerade jetzt, viereinhalb Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs, die Menschen in immer größeren Scharen nach Europa drängen, ist kein Geheimnis. Vor allem sind es die Gewaltwellen des vergangenen und des laufenden Jahres, deren Ausläufer nun in Europa anbranden.

In kalter Professionalität

Zweitens ist es die Türkei, der dieser Konflikt über den Kopf wächst - humanitär, aber auch politisch; Flüchtlinge werden also nicht mehr aufgehalten, im Gegenteil. Und drittens sind es Schleuserringe, die in kalter Professionalität Geschäfte mit Menschen machen, so als wären es getrocknete Datteln.

Am Anfang aber stehen die Gewalt und die Erkenntnis, dass niemand in Deutschland, niemand in Europa diesen Krisen und Kriegen ausweichen kann. Dies ist die wichtigste Erfahrung aus dem Fluchtsommer, der noch viele Jahre dauern kann: Die Europäer können diese Konflikte nicht auf Abstand halten, sie können nicht vor ihnen davonlaufen. Wenn sich der Westen dieser Konflikte nicht annimmt, dann eben nehmen sich die Konflikte des Westens an.

Besonders Teheran muss den Feind IS ernst nehmen

Nach der Einigung zwischen den USA und Iran im Nuklearkonflikt gibt es die berechtigte Hoffnung, dass die Betonierung des syrischen Konflikts aufgebrochen werden könnte. Iran und Russland als Patronatsmächte des Rumpfregimes von Baschar al-Assad haben Anlass zur Profilierung in der Staatengemeinschaft. Beide sind an einer Beruhigung der Beziehungen zum Westen interessiert - nicht zuletzt wegen des Geschäfts.

Besonders Teheran muss den Feind IS wenige Kilometer vor der eigenen Grenze ernst nehmen. Die sunnitischen Regionalmächte leben ebenfalls mehr in Sorge vor Turbulenzen in den eigenen Gefilden als in Hoffnung auf einen schnellen Tagesgewinn in der Region. Der fallende Ölpreis wird sie bald strangulieren. Und die Türkei hat sich derart zwischen ihren Interessen und Bündnispflichten verstrickt, dass auch sie in ernster Sorge um die innere Stabilität leben muss.

Arbeitsteilung ist weltfremd

Die Europäische Union und die USA müssten dies als Gelegenheit begreifen und eine abgestimmte politische Offensive starten, um zumindest den syrischen Bürgerkrieg zwischen Assad und seinen gemäßigten Gegnern zu stoppen. Dazu braucht es vereinte Kräfte, wie die Iran-Verhandlungen bewiesen haben. Eine Arbeitsteilung - Amerika kümmert sich um Nahost, Europa um die Ukraine - ist weltfremd. Wer schon in Kiew diese Formel predigte, hat leichtfertig die Schlagkraft des Westens geschwächt.

Politischer Druck wird den Flüchtlingsstrom zwar nicht schnell stoppen, und er kann die humanitäre Hilfe nicht ersetzen. Der Krieg und die IS-Bande haben sich zu sehr festgefressen. Die Menschen in Syrien und im Irak haben aber nicht nur den Anspruch, dass man sich ihrer als Flüchtlinge annimmt. Sondern sie haben auch das Recht, dass man den Krieg als Ursache der Flucht erkennt - und ihn zu stoppen versucht. Weltpolitik erlaubt keine Verweigerung.

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