Syrien:Türkisches Dilemma im Kampf gegen IS

Syrien: Kampf gegen IS: Ein Panzer der türkischen Armee geht nahe der syrischen Grenze in Stellung.

Kampf gegen IS: Ein Panzer der türkischen Armee geht nahe der syrischen Grenze in Stellung.

(Foto: AFP)
  • Das Parlament ermächtigt die türkische Armee, gegen IS-Kämpfer vorzugehen. Ein Militäreinsatz ist derzeit aber wohl nicht geplant.
  • Die Türkei ist im Kampf gegen IS auffallend zögerlich. Ankara fürchtet, dass eine Schwächung der Islamisten nicht nur Syriens Machthaber Assad stärkt, sondern auch die Kurden in der Region.
  • Viele Kurden fürchten, dass die Türkei sie im Stich lässt - oder Gebiete in Nordsyrien unter dem Vorwand einer Pufferzone "besetzt".
  • Eine Pufferzone an der türkisch-syrischen Grenze hätte für die Türkei einige Vorteile.
  • Die Türkei ist ein Nato-Partner. Kämpfe der türkischen Armee könnten den Nato-Bündnisfall bedeuten.

Fragen und Antworten von Jakob Schulz

Was bedeutet die Erlaubnis des türkischen Parlaments, einen Militäreinsatz durchzuführen?

Mit der Erlaubnis des Parlaments in Ankara wird die türkische Armee zum Eingreifen in den Nachbarstaaten Syrien und Irak ermächtigt. Das Mandat ist für ein Jahr gültig, auch ausländischen Truppen ist nun der Transit durch die Türkei zum Einsatz gegen die Dschihadisten des "Islamischen Staats" (IS) gestattet.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat noch noch keine genauen Pläne für einen Militäreinsatz bekannt gegeben. Er sprach sich allerdings dafür aus, eine militärisch geschützte Pufferzone in Syrien einzurichten. Ihren Verbündeten wird die Türkei sicherlich zunächst Militärbasen wie den Luftwaffenstützpunkt Incirlik zur Verfügung stellen. Nach Einschätzung türkischer Medien steht ein direktes militärisches Eingreifen Ankaras im Kampf gegen den IS aber nicht bevor.

Warum verhält sich die Türkei im Kampf gegen den IS so zögerlich?

Die USA wollen die Türkei seit langem eng in die Allianz gegen den IS einbinden. Bislang zögert Premier Erdoğan aber, auch unter Verweis auf die mehrere Dutzend türkischen Geiseln in der Hand der IS-Milizen. Mittlerweile sind diese 49 Türken allerdings wieder frei und das Land dürfte mehr Handlungsspielraum haben.

Beobachter identifizieren zwei Hauptgründe, warum die Türkei sich im Kampf gegen den IS nur sehr zögerlich engagiert - beziehungsweise islamistische Gruppierungen zeitweise sogar unterstützt haben soll.

  • Die Türkei fürchtet, mit Angriffen auf die IS-Islamisten den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu stärken. Die Türkei wolle das Assad-Regime aber stürzen, sagte der Terrorismusexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Deutschlandfunk. Die Feindschaft sei in der Vergangenheit ein Motiv für Ankara gewesen, den IS-Vorgänger Nusra-Front zu unterstützen und das Einsickern islamistischer Kämpfer über die Türkei nicht zu unterbinden, sagte Steinberg weiter.
  • Zum Zweiten fürchtet die Türkei, dass die Schwächung des IS unmittelbar zur Stärkung der Kurden im Norden Syriens und des Iraks führt. Terrorismusexperte Steinberg sagte im Deutschlandfunk, es gehe Ankara darum, "zu verhindern, dass der syrische Ableger der PKK, die PYD, weiter erstarkt und dort eine Autonomiezone in ihren syrischen Gebieten errichtet, wie das den irakischen Kurden gelungen ist". Die im syrisch-türkischen Grenzgebiet gegen den IS kämpfenden kurdischen Einheiten stehen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe. Die Stärkung der PKK zu verhindern scheine für die Türkei bedeutender zu sein als der Kampf gegen eine terroristische Organisation wie IS, so Steinberg weiter.

Welche Ängste haben die Kurden?

Was könnte eine Pufferzone an der Grenze bringen?

Der türkische Premier Erdoğan erwägt, eine militärisch geschützte Pufferzone im syrischen Teil der Grenzregion einzurichten. Ein Grenzübertritt türkischer Soldaten hätte weitreichende Folgen, auch für einen eventuellen späteren Ruf um Nato-Bündnishilfe. Dennoch gibt es Argumente, die aus Sicht Ankaras für eine solche Pufferzone in Syrien sprechen.

  • Ein Sicherheitsstreifen würde die Distanz zwischen Bewohnern der Südtürkei und den Auseinandersetzungen in Syrien vergrößern. Immer wieder wurden in der Vergangenheit Zivilisten getötet, als Geschosse aus Syrien auf türkischem Gebiet einschlugen.
  • In den vergangenen Wochen sollen etwa 150 000 Kurden über die Grenze in die Türkei geflohen sein, innerhalb der letzten Jahre die Zahl bei 1,5 Millionen liegen. Mit einer Pufferzone könnte die türkische Regierung den Flüchtlingsstrom von der eigenen Grenze fernhalten und die Flüchtenden in die geschützten Zonen leiten. Das würde die türkischen Grenzorte entlasten.
  • Eine türkische Präsenz in Nordsyrien würde es den Kurden dort erschweren, eine Autonomieregion nach dem Vorbild des kurdischen Nordiraks voranzutreiben. Kurdenpolitiker in der Türkei betonten nach Erdoğans Vorstoß, dass Kurden eine solche von türkischen Soldaten gesicherte Zone mit "Besatzung" gleichsetzen würden.

Würden Kämpfe an der Grenze den Nato-Bündnisfall bedeuten?

Der IS beherrscht weite Landstriche in Syrien und im Irak. Die Extremisten stehen an mehreren Orten in Syrien an der Grenze des Nato-Staats Türkei, etwa beim umkämpften Kobanê. Die Regierung in Ankara könnte sich, wenn das Land angegriffen wird, wie jeder andere Nato-Staat auch auf den "Bündnisfall" berufen. In Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist geregelt, dass ein Angriff auf ein Nato-Land als Angriff auf alle Bündnispartner verstanden werden kann.

Ein Angriff von IS-Kämpfern auf türkisches Gebiet gilt derzeit als nicht wahrscheinlich. Allerdings könnte Ankara eine Attacke auf das Mausoleum von Süleyman Shah als Einmarsch in die Türkei werten. Das Grab liegt in einer türkischen Exklave auf einer Halbinsel im Euphrat, etwa 30 Kilometer südlich der türkischen Grenze - mitten in syrischem Gebiet. Berichten zufolge werden dort türkische Soldaten seit Tagen von IS-Kämpfern belagert.

Weniger klar ist die rechtliche Situation, wenn türkische Soldaten in Syrien eine Pufferzone einrichten und dann von Assads Truppen oder IS-Kämpfern angegriffen werden. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte der ehemalige Nato-General und frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat: "Sollten türkische Truppen ohne syrisches Einverständnis und ohne UN-Mandat in Syrien agieren und dabei angegriffen werden, kann das niemals ein Bündnisfall sein." Zudem sei selbst im Bündnisfall keinesfalls sicher, dass Deutschland militärisch aktiv werden müsse, sagte Kujat weiter: "Was Deutschland dann konkret beiträgt, müsste im jeweiligen Einzelfall besprochen und entschieden werden."

Welche Ängste haben die Kurden?

Angesichts des IS-Vormarschs auf die belagerte syrische Grenzstadt Kobanê fürchten manche Kurden , dass die Türkei den dort bedrohten Kurden bewusst nicht zur Hilfe kommt. Am Donnerstag meldete sich Abdullah Öcalan zu Wort. Sollte die Türkei ihre Unterstützung verweigern, drohte der inhaftierte PKK-Chef, würde er den Friedensprozess beenden. Seit 2012 laufen Gespräche, um den 30 Jahre dauernden Kampf militanter Kurden für mehr Rechte zu beenden.

Am späten Donnerstagabend sicherte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu den Kurden in Kobanê Hilfe zu. "Wir würden nicht wollen, dass Kobanê fällt", sagte Davutoglu nach Angaben des Senders A Haber. "Wir werden tun, was immer nötig ist, um zu verhindern, dass das passiert."

Mit Material von dpa, Reuters und AFP.

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