Syrien:UN-Sicherheitsrat billigt weitere Hilfslieferungen für Syrien

Syrien: Humanitärer Hilfstransport für Syrien an einem UN-Verladepunkt auf der türkischen Seite der Grenze in Hatay.

Humanitärer Hilfstransport für Syrien an einem UN-Verladepunkt auf der türkischen Seite der Grenze in Hatay.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Auch Russland stimmt für Fortsetzung der Hilfe für den Nordwesten des Landes. Doch wie zuvor bleibt das Mandat für die Lieferungen über die Türkei auf sechs Monate begrenzt. Möglicherweise ist die Katastrophe also nur vertagt.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Mit 15 zu 0 Stimmen hat der UN-Sicherheitsrat am Montag eine zuletzt seltene Einigkeit gezeigt. Die Hilfslieferungen in den Nordwesten Syriens über die Türkei können fortgesetzt werden. Auf Druck Russlands ist das neue Mandat allerdings wie zuvor auf sechs Monate begrenzt.

Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) versorgen das von Rebellen kontrollierte Gebiet seit 2014 mit Lebensmitteln, Medikamenten, Zelten und Decken. Der türkische-syrische Grenzübergang Bab al-Hawa ist die Lebensader für über vier Millionen Menschen in der Provinz Idlib.

Der Winter bedroht das Leben von Millionen

Moskau ist ein Alliierter der syrischen Regierung und fordert seit Langem, die Lieferungen aus der Türkei zu beenden und das Rebellengebiet über von Damaskus kontrollierte Gebiete zu versorgen. Der Kreml hatte schon im Sommer eine von den Hilfsorganisationen geforderte Mandatsverlängerung um ein Jahr mit einem Veto verhindert.

Derzeit liegen die Temperaturen in der Region nachts weit unter dem Gefrierpunkt. UN-Generalsekretär António Guterres hatte vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York mehrmals davor gewarnt, dass womöglich Millionen Syrer den Winter nicht überstehen würden, sollten die Hilfskonvois aus der Türkei ausbleiben. Nach Angaben der Hilfsorganisation Care werden 80 Prozent der Menschen in Nordwestsyrien ausschließlich mit internationaler Hilfe versorgt werden.

Wie andere Hilfsorganisationen kritisiert Care die auf sechs Monate begrenzte Verlängerung des Mandats. "Wir können ohne eine langfristige Planungssicherheit unsere Hilfsmaßnahmen nicht auf das nötige Maß ausdehnen", so Care-Deutschland-Sprecher Quincy Stemmler. "Die humanitäre Krise wird durch die zeitliche Begrenzung der Hilfe noch verschärft. Unsere Partner vor Ort benötigen einen verlässlichen Finanzierungszyklus von einem Jahr, um Hilfe angemessen planen zu können."

In der Türkei und Syrien eingesetzte Mitarbeiter des UNHCR fordern gegenüber der SZ am Telefon die Öffnung weiterer Grenzübergänge. Denn seit der Schließung des Grenzübergangs al-Yarubiya im Januar 2020 hat sich auch die Lage im Nordosten Syriens zugespitzt. Die seit Jahren andauernde Trockenheit hat dort zu einer Trinkwasserkrise und dem Ausbruch von Cholera geführt. Laut Care ist die Unterernährung von Kindern im Nordosten Syriens in den letzten sechs Monaten um 150 Prozent gestiegen.

Damaskus will Hilfslieferungen nur über eigene Gebiete

Die nun im Juli anstehenden erneuten Verhandlungen zur Fortsetzung der Hilfe aus der Türkei dürften schwieriger denn je werden. Denn Moskau und Damaskus haben ihren Plan zur Umleitung der Hilfslieferungen über Regierungsgebiete wohl nur verschoben aufgrund der derzeit katastrophalen Lage in den Flüchtlingslagern. Eine Schließung des Grenzübergangs von Bab al-Hawa im kommenden Sommer aber würde nicht umgehend das Leben von Millionen Flüchtlingen gefährden.

Die Regierung von Baschar al-Assad behauptet, dass auch die nach Idlib geflohenen Rebellengruppen von den Hilfslieferungen aus der Türkei profitieren. Sie will beweisen, dass sie Idlib selbst versorgen kann. Am Dienstag rollte der zehnte Konvoi mit Decken und anderen Versorgungsgütern aus dem von der Regierung kontrollierten Aleppo über die Waffenstillstandslinie in das Rebellengebiet. Dort fällt aufgrund der Kälte und der zerstörten Infrastruktur zur Zeit immer wieder der Strom aus. Auch für die in ihren Häusern lebenden Bewohner von Idlib sind warme Kleidung, Benzin oder Material zum Heizen Mangelware.

Mit dramatischen Zahlen wirbt die Mission der Vereinten Nationen für Syrien für mehr Hilfe der internationalen Gemeinschaft: Laut UN-OCHA benötigen 14,6 Millionen Syrer humanitäre Hilfe, 90 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, 80 Prozent der Syrer können sich keine tägliche Mahlzeit leisten, unter anderem, weil das syrische Pfund über 80 Prozent seines Wertes verloren hat.

Ein Deal zwischen der Türkei und Syrien auf dem Rücken der Kurden?

Doch trotz der Krise geht das politische Ringen um die Nachkriegsordnung in Syrien weiter. Der Kreml will in dieser Woche die Außenminister Syriens und der Türkei in Moskau zusammenbringen: Aus der bisherigen Feindschaft der beiden Länder soll nach den Vorstellungen Moskaus eine Dreier-Allianz hervorgehen. Sogar ein Treffen von Recep Tayyip Erdoğan und Baschar al-Assad sei denkbar, lassen russische Diplomaten durchblicken. Das Kalkül: Die Türkei könnte die Unterstützung der Rebellen in der Provinz Idlib reduzieren, wenn die Regierung in Damaskus die kurdischen Milizen an der türkischen Grenze fallen lässt.

Die militärische Schwächung der Kurden würde allerdings den "Islamischen Staat" wiederbeleben. Tausende gefangener IS-Kämpfer sitzen derzeit in kurdischen Gefängnissen ein. Die eigentlich totgesagte Gruppe nutzt die humanitäre Krise in Idlib zur Rekrutierung junger Syrer und hat sich mittlerweile auf Angriffe gegen die ökonomische Infrastruktur Syriens verlegt. Ende Dezember ermordeten IS-Kämpfer zehn Arbeiter auf dem Ölfeld al-Taim. Auch die kurdisch geführten "Syrisch Demokratischen Kräfte" SDK wurden über Weihnachten in al-Raqqa Ziel von Angriffen der Radikalen.

Angesichts der Eskalation in Idlib will Ankara in diesem Frühjahr seine in Syrien stationierten Truppen reduzieren. Es gibt Signale aus der Türkei, die darauf hindeuten, dass die Regierung in Damaskus im kommenden Sommer ihren Plan, die Hilfslieferungen aus der Türkei zu beenden, vielleicht doch noch umsetzen kann. Der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin erklärte, die syrische Regierung solle die Rückkehr der Flüchtlinge beschleunigen und ihre humanitäre Versorgung sicherstellen.

Zur SZ-Startseite

Syrien
:Der gefährliche Frust der Jugend

Wieder einmal ist ein Anführer des "Islamischen Staates" für tot erklärt worden. Die Angst vor einem Wiederaufleben der Terrormiliz ist dennoch stets präsent: Viele junge Männer in Syrien und im Irak leben in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: