Russland und die Türkei haben nun die Wahl: Sie können ihren Konflikt weiter verschärfen - verbal, politisch, militärisch gar. Oder sie lassen Vernunft walten. Vernunft ist allerdings bei diesen beiden Akteuren eine nicht besonders verbreitete Tugend. Die Vernunft hätte beide Seiten längst lehren sollen, dass sie ein paar Sicherungen einbauen müssen für ihre Syrien-Abenteuer.
Der Abschuss eines Flugzeuges war seit Wochen prophezeit worden, überraschen kann in diesem Krieg nur noch wenig. Wem es an Fantasie fehlt: Denkbar ist außerdem die Lieferung von Luftabwehrraketen, die in große Höhen reichen. Aufgetaucht sind sie bisher nicht, zu haben sind sie. Denkbar ist eine zufällige Kollision zweier Kampfflugzeuge in der Luft. Denkbar ist einfach alles in einem Kriegstheater, in dem einige Großmächte, hochpotente Regionalmächte, Stellvertreter-Armeen, Milizen und Terroristengruppen mitmischen, die mit nahezu allem ausgestattet sind, was explodiert.
Ob der russische Jet türkischen Luftraum verletzt hat, ob er dort oder über syrischem Gebiet abgeschossen wurde, ist fast schon zweitrangig. Der Abschussgrund liegt tiefer. Russland bombardiert seit Tagen die Turkmenen-Dörfer in der Nähe der türkischen Grenze. Die Turkmenen sind nicht nur die Schutzbefohlenen Ankaras, sie sind Verbündete in der Assad-Opposition und kontrollieren wichtige Nachschubwege. Russland nimmt sie deswegen ins Visier.
So lässt sich vergleichsweise billig der Spielraum für die Assad-Streitkräfte vergrößern und die Verhandlungsposition des Regimes verbessern für die anstehenden Friedensgespräche. Die Türkei hat diese Waffenhilfe seit Tagen massiv kritisiert, auch weil die Bombardements neue Flüchtlingsströme in die Türkei getrieben haben.
Logik der Bodentruppen
Es wird deswegen keinen guten Willen geben, die Eskalation zu bremsen. Der Abschuss und die Gesprächsunfähigkeit stehen ja für das eigentliche Problem im Syrienkrieg, das einen Verhandlungsfrieden fast unmöglich macht: Solange das politische Muster einer Nachkriegsordnung nicht zu erkennen ist, wird weiter gekämpft werden.
Nach der vorherrschenden Logik wird sich nur mit Truppen am Boden die Frage beantworten lassen, wer die Macht in Händen halten wird, wenn es Syriens Diktator Baschar al-Assad einst nicht mehr geben und der IS in Grund und Boden gebombt sein sollte. Diese Logik hat sich nun einmal mehr bestätigt.